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Mensch. Tier. Macht. 

Postkoloniale Perspektiven auf Mensch-Tier-Verhältnisse

(Un)Sichtbare Tiere und die Kolonialität der Stadt

von Annika Harzmann

Versiegelt, betoniert und ausgegrenzt – beste Grundbedingungen finden die meisten Tiere[1] in der Stadt wahrlich nicht vor. Dennoch bieten die Innenstädte des globalen Nordens einer Vielzahl nichtmenschlicher Lebewesen ein Zuhause. Dennoch sind Tiere Teil eines gemeinsamen gesellschaftlichen Zusammenlebens und beeinflussen dieses. Und dennoch haben sie dabei die Stadt(geschichte) auf vielfache Weise geprägt – insbesondere im kolonialen Kontext. In diesem Text möchte ich mich auf die Spuren dieser verstrickten Geschichten begeben.

Wir/die Anderen, Kultur/Natur, Metropole/Provinz, Jetzt/Geschichte – worauf wir in dieser Beitragsreihe immer wieder stoßen werden, ist die erschreckende Wirkmächtigkeit und Kolonialität dieser Dichotomien. Im städtischen Raum wird dies ganz besonders deutlich: Die Stadt – so die Autorin Andrea Meza Torres mit Bezug auf einen Vortrag RamónGrosfoguels – lasse sich als „microcosm of an empire“ beschreiben. Die großen Städte des Globalen Nordens bilden für Torres gegenwärtige Manifestationen kolonialer Strukturen der ehemaligen Kolonialreiche – in Miniatur.[2] Eine dieser Grundfesten modernen/kolonialen Denkens ist die Trennung von Mensch/Tier, Kultur/Natur, die wohl nirgends so sinnbildlich wie in den städtischen Zentren zu Tage tritt. Versiegelt, asphaltiert und ausgegrenzt – vielen Tieren und Pflanzen bietet die City wirklich keinen guten Nährboden.

Wir/die Anderen, Metropole/Provinz, Kultur/Natur, Mensch/Tier – diese Kategorisierungen leben in den Städten fort. Torres beschreibt dabei insbesondere am Beispiel der Einkaufspassagen und Schaufenster in den Metropolen aus einem historischen Blickwinkel die Rolle des Zur-Schau-Stellens und des Inszenierens von allem, was als anders wahrgenommen wurde (und wird):


„In den Zeiten der Passage wurden »exotische« Waren und Objekte sowie Kulturen und Menschen (in diesem Fall fand das Zuschaustellen in sogenannten »human zoos« statt) durch allgemeine Ausstellungen im begrenzten Raum des Schaufensters, der Vitrine, gezeigt und wurden demzufolge als entfernt wahrgenommen.“[3]

Quelle: Torres, A. M. (2017: 140).

Zoos sind auch heute noch ein gutes Beispiel für dieses Zur-Schau-Stellen. In ihnen leben die Dichotomien moderner/kolonialer Denkmuster fort: Kultur/Natur, Mensch/Tier. Räumlich getrennt vom geschäftigen, kulturellen Treiben schmücken Zoologische Gärten das Antlitz zahlreicher Großstädte. Marianna Szczygielska, deren wissenschaftliche Arbeit feministische Perspektiven und Queer Theory sowie Ansätze der Human-Animal-Studies zusammenführt, hebt die Bedeutung tierlichen Lebens für das „koloniale Projekt“ am Beispiel von Elefanten hervor: Die beeindruckenden Tiere wurden zu Projektionsflächen kolonialer Sehnsüchte, ihre Körper zu Trophäen und in ihrer Gefangenschaft, insbesondere in Zoos, zeigten sich symbolisch imperiale Machtansprüche.[4]

Erprobt wurde das Prinzip der Trennung zwischen Mensch/Tier, Kultur/Natur bereits in den Kolonien: Wie der Historiker Bernhard Gissibl am Beispiel des deutschen Kolonialismus in der ehemaligen Kolonie Ostafrika darlegt, drangen die Kolonisator:innen auf eine fundamentale Reorganisation der Mensch-Tier-Beziehungen, die sich besonders in der Herausbildung von Wildreservaten abzeichnete.[5] Statt einer dynamischen Koexistenz zwischen Menschen und nicht-domestizierten Tieren sei damit unter deutscher Kolonialherrschaft „die Grundlage jener strikten Trennung von Mensch und Tier, Kultur und Natur geschaffen [worden]“[6], so Gissibl. Mit dieser Aussiedelung von „Natur“ in die Reservate ging jedoch auch ein folgenreicher Umkehrschluss einher: „Nur dort fand Natur statt und war schützenswert, außerhalb geriet sie zur beliebigen Verfügungsmasse“[7].

Und dies hatte fatale Folgen: Viele Tierarten wurden im Zuge des Kolonialismus stark dezimiert und teils sogar völlig ausgelöscht: Bereits der Dodo – ein besonders bekannter Vertreter ausgestorbener Spezies, den wir schon im letzten Beitrag kennenlernen konnten – fiel der Ausbreitung von Europäer:innen zum Opfer. Die circa einen Meter großen, flugunfähigen Vögel lebten etwa bis zum Ende des 17. Jahrhunderts auf der Insel Mauritius im Indischen Ozean.[8] Zur Zeit des Aussterbens des Dodos galt Mauritius als niederländischer Besitz und war in fester, eiserner Hand der niederländischen Ostindien-Kompanie. Vielleicht waren es auf den Schiffen mitgeführte Ratten, die den Dodo an den Rand seiner Existenz trieben. Vielleicht auch intensive Bejagung, wie der Historiker Frank Uekötter mutmaßt. Was ihn letztlich vom Antlitz dieser Erde tilgte, lasse sich ihm zufolge heute nicht mehr sagen. Der Dodo starb noch vor 1800 aus – ebenso wie mindestens 48 weitere endemische Arten auf der Inselgruppe der Maskarenen seit der Kolonialisierung.[9]

Über den Globus verteilt wüteten die Kolonisator:innen erbarmungslos. Die kolonialisierten Regionen „zahlten […] mit Genoziden und Ökosystemkollaps“[10] für den materiellen Reichtum Europas, wie Imeh Ituen und Rebecca Abena Kennedy-Asante vom Klimaschutzkollektiv BIPoC Environmental and Climate Justice Berlin deutlich machen. Raubbau an Ressourcen, Entwaldung und Umweltverschmutzungen gingen mit der europäischen Expansion Hand in Hand.[11]

Diese „verwobene […] Geschichte von Kolonialismus, Kapitalismus und Industrialisierung“[12] prägt bis heute unser Stadtbild: In die Höhe gebaut und in Stein gehauen erinnern prachtvolle Gebäude und Straßen an den Reichtum vergangener Tage – einen Reichtum, der zuweilen auf der Ausbeutung tierlichen Lebens (nicht nur metaphorisch gesprochen) aufbaut. Der transnationale Warenhandel, der dies ermöglichte, umfasste etwa den (Ver-)Kauf tierlicher Körperteile wie Elfenbein, aber auch den lebender Tierkörper – insbesondere zu Ausstellungszwecken in Zoos, wie Marianna Szczygielska beschreibt.[13] Auch in Augsburg finden sich Spuren dieser Verstrickungen. Wer sich etwa in den großen Festsaal des Schaezlerpalais begibt und den Blick der Decke zuwendet, bekommt einen Eindruck davon, welche Anziehung und Gier die Fauna der kolonialisierten Gebiete in den Europäer:innen entfachte: Das Deckengemälde kündet von der Handelsmacht Europas und preist dabei symbolisch durch die Abbildung von Elfenbein und einem Vogelstrauß die „Schätze“ des Kontinents Afrika.[14] Auch die Wände des Saals werden durch zahlreiche Tierabbildungen geschmückt.

All dies bleibt jedoch weitestgehend unerwähnt. Für die städtische Geschichtsschreibung scheinen Tiere jedenfalls keine Rolle zu spielen – für die Stadtkassen dafür umso mehr. Mit dem 2020 neu eröffneten Elefantenhaus des Augsburger Zoos etwa – einem echten Prestigeprojekt – ist auch heute noch die Hoffnung verbunden, durch die großen, beeindruckenden Tiere mehr Besucher:innen anzulocken.[15]

Tiere werden – ganz besonders im globalen Norden – bis zum Äußersten ausgebeutet. Nicht nur früher, nicht nur im Exzess des Kolonialismus. Mit den heutigen technisch-strukturellen Möglichkeiten in der Landwirtschaft hat die Ausbeutung ein anderes – blutiges, verzerrtes – Gesicht angenommen. Tiere sterben. Ihr Sterben durch menschlichen Einfluss ist so allgegenwärtig, so banal und so grausam zugleich, dass es einem „alltägliche[n] Hintergrundrauschen“[16] gleicht.

Und was passiert in der Stadt? Was ist mit dem Tierlichen in unseren Städten? Auch hier erfahren Tiere wohl kaum Gerechtigkeit. Weder in der Erinnerung noch in unserer Gegenwart. Dies bleibt jedoch verdeckt, unausgesprochen. Indem die moderne/koloniale Denkweise eine Trennung von Mensch/Tier, Kultur/Natur suggeriert, werden diese Geschichten unsichtbar gemacht. Wie können wir über Dekolonialisierung sprechen, wenn den Orten, an denen wir leben, koloniale Denkmuster in ihren Grundstrukturen, in Stein, Beton und Asphalt eingeschrieben scheinen?

Wir/die Anderen, Metropole/Provinz, Kultur/Natur, Mensch/Tier – was am Ende dieses Textes bleibt, ist die Frage nach dem Dazwischen: ein Darüber-hinaus-Gehen, ein Überschreiten kolonialer Dichotomien und Kategorien und das Entstehen eines Möglichkeitsraums. Platz für ein Dazwischen und ein Darüber-hinaus.


[1] Die kursive Schreibweise des Begriffs der Tiere dient dem Zwecke, auf die machtvolle Subsumierung unterschiedlichster Lebensformen unter diese Sammelbezeichnung aufmerksam zu machen. Es geht mir dabei darum, die Selbstverständlichkeiten zu irritieren, derer wir uns beim Nachdenken und Sprechen über nichtmenschliche Lebensformen versichern.

[2] Vgl. Torres, A. M. (2017): Dekolonisation des kollektiven Gedächtnisses in den Museen der Stadt. In: Zwischenraum Kollektiv (Hrsg.): Decolonize the City! Zur Kolonialität der Stadt – Gespräche, Aushandlungen, Perspektiven. Münster: Unrast, S. 136-155, hier S. 137ff.

[3] Ebd.: 140.

[4] Vgl. Szczygielska, M. (2020): Elephant empire: zoos and colonial encounters in Eastern Europe. In: Cultural Studies. Vol. 34, No. 5, S. 789-810, hier S. 790.

[5] Vgl. Gissibl, B. (2010): Das kolonialisierte Tier: Zur Ökologie der Kontaktzonen des deutschen Kolonialismus. In: Werkstatt Geschichte. Heft 56, S. 7-28, hier S. 26.

[6] Ebd.

[7] Ebd.

[8] Vgl. Uekötter, F. (2020): Von großen Zahlen, stillem Sterben und der Sprachlosigkeit der Menschheit. Eine kleine Geschichte des Artenschutzes. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Natur- und Artenschutz. 11/2020, S. 11-19, hier S. 14.

[9] Vgl. ebd.: 13f.

[10] Ituen, I./Kennedy-Asante, R. A. (2019): 500 Jahre Umweltrassismus. In: taz. URL: https://taz.de/Kolonialismus-und-Klimakrise/!5638661/ [letzter Aufruf: 20.10.2021].

[11] Vgl. ebd.

[12] Ebd.

[13] Vgl. Szczygielska 2020.

[14] Vgl. dazu auch: Geschichtswerkstatt Augsburg e.V./Werkstatt Solidarische Welt e.V. (1994): Augsburger Kolonialgeschichten – Ein Stadtrundgang. Broschüre.

[15] Vgl. Fuchs, F. (2020): Targa zieht um. URL: https://www.sueddeutsche.de/bayern/augsburg-zoo-elefantenhaus-eroeffnung-1.4783027 [letzter Aufruf: 19.02.2022].

[16] Thöne, Y. S./Milling, S./Müllner, I. u.a. (2016): Opfer – Beute – Hauptgericht. Tiertötungen im interdisziplinären Diskurs. In: Joachimides, A./Milling, I./Thöne, Y. S. (Hrsg.): Ders. Bielefeld: transcript, S. 11-22, hier S. 11.

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Mensch. Tier. Macht. 

Postkoloniale Perspektiven auf Mensch-Tier-Verhältnisse

„Wir werden sie jagen!“
– Über invasive Tierarten, Rassismus und koloniale Kontinuitäten

von Annika Harzmann

Bild: Stefan Rieger

Fremd, anders, unerwünscht – sogenannte „invasive Arten“ sorgen immer wieder für hitzige Diskussionen. Im Folgenden möchte ich aufzeigen, weshalb im Konzept der „Invasivität“ rassistische und koloniale Narrative fortleben. Ist der Nandu in Gefahr? Was haben Invasionsbiologie und Kolonialrhetorik gemeinsam? Und warum macht es die Klimakrise notwendig, über tierliche Migration zu sprechen?

Sie werden bis zu 1,40 Meter groß, erreichen geradezu athletische Laufgeschwindigkeiten von 60 km/h und sind – trotz stattlicher Flügel – flugunfähig. Die Nandus, große Laufvögel mit langen Hälsen und kräftigen Beinen, werden meist in Südamerika verortet. Innerhalb der letzten zwanzig Jahre konnte sich auch in Norddeutschland eine Population der Vögel etablieren. Zwischen 1999 und 2001 aus einem privaten Gehege in Schleswig-Holstein entkommen, haben sich einige der Tiere im Biosphärenreservat Schaalsee im Landkreis Nordwestmecklenburg ein neues Zuhause gesucht und dabei eine Menge Unmut auf sich gezogen. Denn die Nandus gelten als „gebietsfremde Art“.[1] 

Das Bundesamt für Naturschutz versteht unter diesen sogenannten Neobiota Tier- oder Pflanzenarten, „die von Natur aus nicht in Deutschland vorkommen, sondern erst durch den Einfluss des Menschen zu uns gekommen sind“[2]. Als „invasiv“ bzw. „potenziell invasiv“ werden Arten dann bezeichnet, wenn sie „unerwünschte Auswirkungen“ haben bzw. diese möglicherweise haben könnten, z.B. in Hinblick auf andere Arten, Lebensgemeinschaften und Biotope. Auch ökomische und gesundheitliche Aspekte fließen in diese Bewertung mit ein.[3] 2015 wurde der Nandu aus Sorge vor „negativen ökonomischen Auswirkungen“ für die Landwirtschaft auf die Beobachtungsliste „potenziell invasiver Arten“ gesetzt.[4] Landwirt:innen klagten über die Plünderung von Feldern. Raps scheint den flinken Vögeln besser zu schmecken, als es ihnen in Deutschland guttut: Seit letztem Jahr dürfen sie mit offizieller Genehmigung der Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern gejagt und getötet werden.[5]

Die Autorin Karolin Machtans hat die Debatten um den rechtlichen Status der norddeutschen Laufvögel näher beleuchtet und dabei erstaunliche Parallelen zu rassistischer und rechtspopulistischer Rhetorik nachgewiesen:

„In der Betonung der Andersartigkeit, Nicht-Integrierbarkeit und Invasivität der Nandus weisen die medialen Diskurse in Deutschland frappierende Ähnlichkeiten zu denen auf, die menschliche Immigrant*innen betreffen. Die Bezeichnungen der Laufvögel, die als biblische ‚Plage‘ in die Schaalsee-Region eingefallen seien, reichen von ‚Latino- Geflügel‘, ‚ungebetene Erntehelfer‘ über ‚gefiederte Immigranten‘ bis hin zu ‚Laufvogel mit Migrationshintergrund‘ und ‚Neubürger‘.“[6]

Quelle: Machtans, K. (2021: 69).

Fremd, schädlich und eine Bedrohung für „heimische Arten“ – während der Nandu weiterhin gerne die „Südamerika-Gehege“ deutscher Zoos schmücken darf, scheint seine Etablierung in den Naturlandschaften Deutschlands bei vielen Menschen unerwünscht, wie Machtans eindrücklich vor Augen führt.[7] Auch die Fachstelle für Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN) sieht in den Debatten um „invasive Arten“ die Gefahr einer ökologisch kaum zu rechtfertigenden Hierarchisierung „heimischer“ gegenüber „gebietsfremder“ Arten.[8] Hier biete sich ein Einfallstor für rechtsextremes Gedankengut, das rassistische Narrative von „dem ‚invasiven Einwanderer‘ und den ‚Fremdlingen‘, die für das Aussterben der ‚Deutschen‘ sorgen würden“[9], schüre. Maßnahmen dagegen? „Ausrottung und Bekämpfung der Plagen“[10]. Rechtsradikale und die Jagd auf „gebietsfremde“ Arten – vor diesem Hintergrund erscheint die Parole „Wir werden sie jagen!“ solch unsympathischer Zeitgenossen wie Alexander Gauland in einem ganz anderen Licht. Unter dem Label des Naturschutzes könnten so „menschenverachtende Vorstellungen von ‚Blut und Boden‘, der natürlichen Verbindung von Menschen und Arten an bestimmte Regionen“[11] verbreitet werden. Die Grundlage für eine solche Auslegung liefert, wie FARN hervorhebt, aber bereits das Fachvokabular im Naturschutz.[12] Denn es sind auch die Sprachbilder und Konzepte fachlicher Debatten, die Anschlussfähigkeit für rassistische Argumentationen gewährleisten. Kaum verwunderlich, stammen wesentliche Wissensbestandteile der Ökologie und Naturschutzbiologie doch mitunter aus kolonialen Kontexten.[13] Bei der Invasionsbiologie, die sich mit der Verbreitung „gebietsfremder Arten“ beschäftigt, tritt dies ganz besonders zutage. Im Folgenden möchte ich exemplarisch darlegen, inwieweit invasionsbiologische Grundannahmen kolonial geprägt sind und im Konzept der Neobiota Kolonialität fortwirkt. Dabei werde ich mich auf eine Auseinandersetzung damit beschränken, wann eine Art als „neu“ gilt und welche Implikationen damit einhergehen. An dieser Stelle sei jedoch darauf verwiesen, dass im Einsatz gegen „gebietsfremde“ und „invasive“ Spezies koloniale Denkmuster auch anderweitig reproduziert werden – nicht zuletzt dadurch, dass dabei menschliche Einflüsse als unnatürlich gelten und damit die Trennung von Menschen und Natur besiegelt wird.

1492 – Beginn der Invasion?

Ist von „gebietsfremden Arten“ als Neobiota die Rede, werden damit Tier- und Pflanzenarten angesprochen, die sich ab dem Jahr 1492 in ihnen neuen Gebieten ansiedeln konnten. Diejenigen Spezies, welche bereits vor dieser Zeit außerhalb ihrer „angestammten“ Orte Fuß fassen konnten, werden dagegen als Archäobiota bezeichnet. „Invasivität“ als Bewertungskategorie wird nur auf ersterer Gruppe angehörende Spezies angewendet.[14] Die europäische Kolonisation der Amerikas scheint in diesen Konzepten also eine wesentliche Wende zu markieren. So ist auf der Informationsseite zu Neobiota des Bundesamtes für Naturschutz etwa zu lesen:

„Der menschliche Handel und Verkehr spielen für die Einführung von Neobiota eine so wichtige Rolle, dass das Jahr 1492 (Entdeckung Amerikas und der sich mit ihr extrem verstärkende transkontinentale Handel) als „Stichtag“ für die Einführung von Neobiota bzw. Neozoen („Neu-Tiere“) und Neophyten („Neu-Pflanzen“) festgelegt wurde.“[15]

Quelle: Bundesamt für naturschutz

Neue Handelsrouten und Formen der Mobilität hätten nach dieser Erzählung auch zahlreiche Tierarten eingeladen, das nächste Frachtschiff zu besteigen und „zu neuen Ufern“ aufzubrechen. Bereits der Dodo – ein mittlerweile zur Ikone erhobener Vertreter ausgestorbener Spezies[16] – könnte womöglich auf Schiffen mitgeführten Ratten, also einer in diesem Kontext als „invasiv“ geltenden Art, zum Opfer gefallen sein, wie der Umwelthistoriker Frank Uekötter darlegt. Die circa einen Meter großen, flugunfähigen Vögel lebten etwa bis zum Ende des 17. Jahrhunderts auf der Insel Mauritius im Indischen Ozean. Wann genau der Dodo verschwand, lässt sich heute nicht eindeutig sagen – klar ist nur: Noch vor dem Anbruch des nächsten Jahrhunderts starb die Art aus. Als Inselbewohner:innen mit wenig tierlicher Feinden wären die flugunfähigen Vögel womöglich besonders empfindlich gegenüber sich neu etablierenden Spezies wie Ratten gewesen, so Uekötter.[17] Womöglich. Denn mit den Schiffen, welche die Nagetiere als Mitfahrgelegenheit nutzten, kamen auch Vertreter:innen einer anderen Gattung, welche die Geschichte von Mauritius nachdrücklich und fatal prägen sollte. Zur Zeit des Aussterbens des Dodos galt Mauritius als niederländischer Besitz und war in fester, erbitterter Hand der niederländische Ostindien-Kompanie. Vielleicht trieb auch schlichtweg die Bejagung durch hungrige niederländische Seefahrer:innen die wenig wehrhaften Tiere an den Rand ihrer Existenz, wie Uekötter mutmaßt. Was ihn letztlich vom Antlitz dieser Erde tilgte, ist nicht ganz klar. Der Dodo starb noch vor 1800 aus – ebenso wie mindestens 48 weitere endemische Arten auf der Inselgruppe der Maskarenen seit der Kolonialisierung.[18] Ob in Nordamerika, Südafrika oder den Polargebieten kam es im Zuge der europäischen Expansion zu einem „historisch beispiellose[n] Massaker“[19] an Großwild, beschreibt der Historiker Bernhard Gißibl. In Deutsch-Ostafrika etwa dezimierten deutsche Schießwütige – vom Jagd- und Elfenbeinfieber getrieben – insbesondere Elefantenherden erheblich und traumatisierten ganze Generationen von Tieren.[20] Auch die Einfuhr „gebietsfremder“ Spezies schien dem kolonialen Projekt dienlich gewesen zu sein: Australische Kamele – heute ein besonders berühmtes Beispiel der Etablierung „invasiver Arten“ – wurden von Engländer:innen Mitte des 19. Jahrhunderts nach Australien gebracht, um ihnen die Erschließung des australischen Inlands zu erleichtern. Auf Anordnung der Regierung wurden die Kamele vor dem Hintergrund einer verheerenden Dürre und den damit einhergehenden katastrophalen Waldbränden im Jahr 2020 aus Angst, die Tiere könnten die Wasserversorgung in dieser kritischen Lage desstabilisieren, zu Tausenden getötet. [21] Dieses Beispiel macht deutlich, wie verheerend sich viele der ökologischen Eingriffe kolonialen Ursprungs noch heute auswirken. Über den Globus verteilt wüteten die Kolonisator:innen erbarmungslos gegenüber den tierlichen wie menschlichen Bewohner:innen. Die kolonialisierten Regionen „zahlten […] mit Genoziden und Ökosystemkollaps“[22] für den materiellen Reichtum Europas, wie Imeh Ituen und Rebecca Abena Kennedy-Asante vom Klimaschutzkollektiv BIPoC Environmental and Climate Justice Berlin deutlich machen. Raubbau an Ressourcen, Entwaldung und Umweltverschmutzungen gingen mit der europäischen Expansion Hand in Hand.[23]In der „verwobenen Geschichte von Kolonialismus, Kapitalismus und Industrialisierung“[24] machen Ituen und Kennedy-Asante auch den „Ursprung der Klimakrise“[25] aus:

„Länder des Globalen Nordens sind für mehr als zwei Drittel der historischen Treibhausgasemissionen verantwortlich, Länder des Globalen Südens sind allerdings zwei bis drei Mal verletzlicher gegenüber Klimawandelfolgen. Bereits diese Zahlen sind Indiz dafür, dass die Klimakrise nicht von allen Menschen gleichermaßen verursacht wird. Nicht nur dass es vor allem Länder des Globalen Nordens sind, die für die historischen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind und von ihnen profitiert haben – auch der Prozess, in dem diese Emissionen zustande kamen, ist von Gewalt gezeichnet.“[26]

Quelle: Ituen, I./Kennedy-Asante, R. A. (2019)

Diese 500-jährige Geschichte des Umweltrassismus, welcher die beiden Aktivist:innen nachspüren, ist längst nicht zu Ende erzählt. Weiterhin kämpfen – und sterben – zahlreiche Umweltaktivist:innen im globalen Süden für Landrechte und Umweltschutz: Die Unterdrückung Indigener Menschen und BIPoC auf der einen und die Ausbeutung und Vernichtung von Ökosystemen auf der anderen Seite hängen auch heute eng zusammen, kritisieren Ituen und Kennedy-Asante.[27]

Während also mit der europäischen Kolonialisierung durchaus enorme ökologische Veränderungen einhergingen, erscheint das Jahr 1492 als Wendepunkt in der Verbreitung „invasiver Arten“ auf den ersten Blick willkürlich. Wie der Ökologe Franz Rebele in kritischer Auseinandersetzung mit der Invasionsbiologie ausführt, besteht ein Hauptargument dieser Disziplin darin, dass es sich bei den neueren „von Menschen verursachten ‚biologischen Invasionen‘ um einen unterschiedlichen Prozess im Gegensatz zu früheren […] Ausbreitungsprozessen handele“[28]. Hierin offenbart sich ein zutiefst eurozentrischer Fehlschluss. Auch vor der gewaltvollen Aneignung Nordamerikas hatten Native Americans das Land aktiv gestaltet, Tier- und Pflanzenwelt verändert und auf ökologische Prozesse eingewirkt.[29] Was hier geschürt werde, so Rebele, sei ein „Mythos von der wilderness als einem Gebiet ohne Menschen, der ‚unberührten Natur’ vor der europäischen Kolonisation Amerikas“[30]. Am Beispiel der deutschen Machenschaften in Ostafrika zeigt Gißibl die verheerenden Folgen eines solchen „Wildnis“-Narrativs, das sich insbesondere aus der physischen und visuellen Präsenz von Großwild speiste: Elefanten, Zebras, Antilopen und anderen Vertreter:innen charismatischer Tierarten beeindruckten die deutschen Kolonisator:innen und fügten sich nicht in europäische Auffassungen einer von Menschen geprägter „Kulturlandschaft“ ein. Die Anwesenheit von (Groß-)Wild diente damit als Sinnbild ursprünglicher Natur und bedeute in der Praxis eine „mentale Kolonisierung afrikanischer Landschaften als vermeintlich menschenleere und ‚natürliche’ Wildnis“[31]. Menschen und Tiere beheimatende Gebiete seien so in einen „zeit- und geschichtslosen Urzustand“[32] versetzt worden und korrelierten mit Vorstellungen von Ursprünglichkeit und Rückständigkeit.[33]

Gleichzeitig schienen charismatische Tierarten wie Löwen und Elefanten in der Imagination der Kolonisator:innen untrennbar mit den vorgefundenen Landschaften verbunden. Eingesponnen in eine ideologische Raumsemantik wurden sie, so Gißibl, zu „Signifikanten des sie prägenden Lebensraums“[34] erhoben.  Gestützt wurde dies durch damalige wissenschaftliche Theorien über vermeintlich jeweils charakteristische Spezies für verschiedene Regionen der Erde wie die des britischen Evolutionsbiologen Alfred Russel Wallace.[35] Auch die Invasionsbiologie ist heute in ihrer Unterscheidung „einheimischer“ und „nichteinheimischer“ Arten von der Auffassung geprägt, jede Art sei „natürlicherweise“ an ein Areal gebunden und außerhalb davon „fremd“.[36] Auch außerhalb von wissenschaftlichen Debatten sind diese Bilder einer „ursprünglichen Natur“ und einer zugehörigen Tierwelt wirkungsvoll. So hat die Autorin Tanja Ebner die mediale Berichterstattung um „invasive“ Arten diskursanalytisch beleuchtet und festgestellt, wie der Begriff der „Heimat“ genutzt wird, um die Ausgrenzung „gebietsfremder“ Spezies zu legitimieren.[37] Interessant dabei ist insbesondere, dass die „tatsächlichen Lebensumstände der Tiere […] missachtet [werden], um an einem historischen und gleichzeitig fiktiven Bild von Natur festzuhalten – ein bestimmter Punkt in der Geschichte wird (re-)konstruiert und als ‚natürliche Norm‘ imaginiert“[38]. Fremd, anders, unerwünscht – gegen diejenigen Tierarten, welche aus dem Konzept „ursprünglicher Natur“ ausgeschlossen werden, wird vorgegangen – zuweilen mit aller Härte. Ein Beispiel, bei dem diese drastischen Folgen besonders zutage treten, ist das der „verwilderten“ Schweine auf der Insel Santa Cruz Island vor der Küste Kaliforniens, das vor etwa zwanzig Jahren (und seither) für Aufregung sorgte. Durch spanische Kolonisator:innen angesiedelt und später ausgewildert, galten die Tiere 150 Jahre später als Problem. Die Anwesenheit der Schweine auf der Insel hätte Steinadler angezogen, die wiederum nun eine gefährdete und nur auf Santa Cruz vorzufindende Fuchsart bedrohten, lautete die Argumentation des Nature Conservancy, einer US-amerikanischen Naturschutz-Organisation. Fortan begann die Jagd auf die Schweine.[39] Auch hier trat ein bestimmtes Bild einer schützenswerten „Wildnis“ zutage, das zwar auf der Präsenz „wilder“ Tiere aufbaute, in dem jedoch „verwilderte“ Schweine keinen Platz fanden, so der Autor Vasile Stanescu.[40] „Wildnis“ – das ist das Andere, ein – wie Gißibl bezogen auf die koloniale Deutung der afrikanischen Savanne feststellt – vollständig gegensätzlicher Ort „zur geordneten und wirtschaftlich genutzten Natur Europas“[41]. Stanescu, der im Bereich der Critical Animal Studies forscht, weist dabei noch auf einen weiteren Zusammenhang hin: „Natur“ ist im Kapitalismus auch eine Ware, die es zu vermarkten gilt.[42] Bei der Bekämpfung „invasiver Arten“ unter dem Label des Naturschutzes geht es daher zuweilen auch um „die Generierung einer Natur als käufliches und verkäufliches Produkt“[43]. Zur Tötung der Schweine und deren Rechtfertigung im Sinne des Umweltschutzes führt er vor diesem Hintergrund aus:

„Es scheint stattdessen, dass die eigentlichen Motivationen ästhetischer Natur waren – die Tiere zu entfernen, weil sie den Besuchern als unnatürlich […] erscheinen würden. Das heißt, die ‚Natur‘ repräsentiert, immerhin in diesem spezifischen Falle, weniger eine Frage stabiler Ökosysteme, als einen edenhaften Mythos einer ‚unberührten‘ und ‚unverdorbenen‘ Wildnis. Die sichtbare Annäherung an diesen romantischen Mythos wurde erreicht durch eine chemisch induzierte Brunst, GPS-Ortung und Maschinengewehre.“

Quelle: Stanescu, V. (2014: 8).

All diese Beispiele sollten vor allem eines zeigen: Wissenschaft ist nicht neutral. Als Wissenschaftler:innen und Autor:innen forschen wir von einem bestimmten geo- und körperpolitischen wie soziostrukturellen Standpunkt aus. Der puertoricanische Soziologe Ramón Grosfoguel spricht dabei vom „locus of enunciation“[44]. Dass wissenschaftliche Texte inhaltlich unberührt vom Ort und der Person ihrer Produktion entstünden, ist eine Vorstellung, die wir auch im Rahmen dieses Blog-Projekts als Fortschreibung kolonialer Wissensbestände entlarven wollen. Auch naturwissenschaftliche Disziplinen wie die Invasionsbiologie müssen sich einer kritischen Überprüfung ihrer eigenen Grundannahmen stellen. Indem Konzepte wie die der Neobiota oder „invasiver Arten“ auf der grundsätzlichen Verschiedenheit menschlicher Einflüsse auf Tier- und Pflanzenwelt vor und nach der Eroberung der Amerikas ab 1492 gründen und dabei Bilder einer „unberührten Wildnis“ wecken, führen sie eurozentrische und rassistische Narrative fort und reproduzieren Kolonialität. Den Beginn einer Invasion markiert das Jahr 1492 nebenbei bemerkt trotzdem – nur ging diese nicht von Tieren aus.

Jagd auf den Nandu

Wie ich in diesem Text deutlich machen wollte, sind Begriffe wie „invasiv“, „gebietsfremd“ oder „heimisch“ keine unbefangenen Kategorien: Sie sind an rassistische und koloniale Narrative geknüpft und tragen auf diese Weise ihren Teil zu einer Form des Naturschutzes bei, der bestehende Machtverhältnisse festigt. Sie in Frage zu stellen, um sie zu streiten und über sie hinaus zu denken, ist deshalb Anliegen dieses Textes. Dabei geht es um mehr als nur Theoretisieren. Denn gilt eine Art erstmal als „(potenziell) invasiv“, ist ihr Schutzstatus und damit letztlich auch ihr Leben in Gefahr, wie Karolin Machtans hervorhebt.[45] Mit der EU-Verordnung „über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten“ sind die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union seit 2015 etwa dazu verpflichtet, Maßnahmen gegen die Verbreitung „invasiver“ Spezies zu ergreifen und diese – falls nötig – zu „beseitigen“.[46] Im Falle des Nandus hat die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern, nachdem Landwirt:innen über verwüstete Felder klagten, eine Sonder-Jagdgenehmigung erteilt. Seit 2020 sind die Laufvögel zum Abschuss freigegeben – und diesem Aufruf folgte die Jagd-Gemeinschaft offensichtlich nur allzu gerne. Hobby-Jäger:innen, selbsternannte „Artenschützer:innen“ und Schießwütige aus allen Ecken Deutschlands zogen also los, um dem Nandu den Garaus zu machen. Nur noch 157 Individuen wurden im Frühjahr 2021 gezählt, einige Monate zuvor waren es noch 247.[47] Bei all dem Getümmel mahnt ein Vertreter des Kreisjagdverbands Nordwestmecklenburg zu Bedacht: Schließlich wolle man die Art nicht ausrotten, nur die Stückzahl begrenzen.[48] Vielleicht werden hier altdeutsche Gefühle geweckt: Endlich wieder Großwildjagd! Zwischen Geschichten über Jagdtourismus und Trophäen-Sammeln schlägt der selbige Kreisjagdverbands-Angehörige bezeichnenderweise die Brücke zur großen „Safari“: „Das ist genauso, wie wenn Sie eine Afrika-Jagd machen. Einmal im Leben möchte jeder vielleicht einen Kudu schießen oder so. Ja, das ist das Seltene“[49], schwelgt er im NDR.

Wie können wir über tierliche Migration sprechen, ohne an koloniale und rassistische Motive anzudocken? Angesichts einer Vielzahl ökologischer Krisen scheint diese Frage an Bedeutung zu gewinnen. In seinem kürzlich erschienenen Buch Die Natur auf der Flucht beschreibt der Wissenschaftsjournalist Benjamin von Brackel eindrücklich, wie der Klimawandel zahlreiche Tier- und Pflanzenart dazu zwingt, in andere Klimazonen abzuwandern.[50] Diskussionen um „invasive“ Spezies kommt damit eine neue Dringlichkeit zu. Denn natürlich müssen wir über die Migration von Tieren sprechen. Und natürlich ist es problematisch, wenn durch die Etablierung neuer Arten die Lebensgrundlagen anderer Spezies gefährdet, Krankheiten übertragen oder Konflikte geschürt werden. Dafür braucht es Konzepte, die diese komplexen Zusammenhänge abbilden können und nicht in statischen und dazu rassistischen Vorstellungen von „Heimat“ und „Ursprünglichkeit“ verhaftet bleiben. Denn diese Welt ist nicht statisch – spätestens mit der Klimakrise wird klar: Die Natur ist in Bewegung. Wie werden wir mit diesen Herausforderungen umgehen?


[1] Vgl. Machtans, K. (2021): „Ich finde, sie gehören nicht in diese Landschaft – das sind so schleichende, komisch stapfende Tiere“. Rassistische Rhetorik, ‚Staatsbürgerschaft‘ und die Nandus von Nordwestmecklenburg. In: Ullrich, J./Middelhoff, F. (Hrsg.): Tierstudien. Tiere und Migration. 19/2021. Berlin: Neofelis Verlag, S. 67-77, hier S. 67f.

[2] Bundesamt für Naturschutz: Was sind Neobiota? Was sind invasive Arten? URL: https://neobiota.bfn.de/grundlagen/neobiota-und-invasive-arten.html [letzter Aufruf 20.10.2021].

[3] Vgl. ebd.

[4] Vgl. Nehring, S./Rabitsch, W./Kowarik, I. u.a. (Hrsg.) (2015): Naturschutzfachliche Invasivitätsbewertungen für in Deutschland wild lebende gebietsfremde Wirbeltiere. Bonn: Bundesamt für Naturschutz. URL: https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/service/Dokumente/skripten/Skript409.pdf [letzter Aufruf: 20.10.2021], S. 84f.

[5] Vgl. Burghardt, P. (2021): Nandus unter Beschuss. In: Süddeutsche Zeitung. URL: https://www.sueddeutsche.de/politik/nandu-wolf-deutschland-1.5267749 [letzter Aufruf: 20.10.2021].

[6] Machtans, K. (2021): „Ich finde, sie gehören nicht in diese Landschaft – das sind so schleichende, komisch stapfende Tiere“. Rassistische Rhetorik, ‚Staatsbürgerschaft‘ und die Nandus von Nordwestmecklenburg. In: Ullrich, J./Middelhoff, F. (Hrsg.): Tierstudien. Tiere und Migration. 19/2021. Berlin: Neofelis Verlag, S. 67-77, hier S. 69.

[7] Vgl. ebd.: 73.

[8] Vgl. FARN (Hrsg.) (2019): Wenn Rechtsextreme von Naturschutz reden – Argumente und Mythen. Ein Leitfaden. URL: https://www.nf-farn.de/system/files/documents/farn_leitfaden_wenn_rechtsextreme_von_naturschutz_reden.pdf [letzter Aufruf: 22.09.2021], S. 15f.

[9] Ebd.: 15.

[10] Ebd.

[11] Ebd.: 16.

[12] Vgl. ebd.: 15f.

[13] Vgl. Gißibl, B. (2010): Das kolonialisierte Tier: Zur Ökologie der Kontaktzonen des deutschen Kolonialismus. In: Werkstatt Geschichte. Heft 56, S. 7-28, hier S. 27.

[14] Vgl. Bundesamt für Naturschutz.

[15] Ebd.

[16] Für eine Betrachtung der zweifelhaften Berühmtheit des Dodo vgl. Turvey, S. T./Cheke, A. S. (2008): Dead as a Dodo: the fortuitous rise to fame of an extinction icon. In: Historical Biology. Vol. 20, No. 2, S. 149–163.

[17] Vgl. Uekötter, F. (2020): Von großen Zahlen, stillem Sterben und der Sprachlosigkeit der Menschheit. Eine kleine Geschichte des Artenschutzes. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Natur- und Artenschutz. 11/2020, S. 11-19, hier S. 14.

[18] Vgl. ebd.: 13f.

[19] Gißibl 2010: 10.

[20] Vgl. ebd.: 22.

[21] Vgl. Baier, T. (2020): Tausende Kamele in Australien abgeschossen. In: Süddeutsche Zeitung. URL: https://www.sueddeutsche.de/wissen/australien-invasive-arten-kamele-1.4754648 [letzter Aufruf: 11.10.2021].

[22] Ituen, I./Kennedy-Asante, R. A. (2019): 500 Jahre Umweltrassismus. In: taz. URL: https://taz.de/Kolonialismus-und-Klimakrise/!5638661/ [letzter Aufruf: 20.10.2021].

[23] Vgl. ebd.

[24] Ebd.

[25] Ebd.

[26] Ebd.

[27] Vgl. ebd.

[28] Rebele, F. (2017): Thesen zur „Invasionsbiologie“ und ihrem Einfluss auf den Naturschutz. URL: https://www.researchgate.net/publication/314285543_Thesen_zur_Invasionsbiologie_und_ihrem_Einfluss_auf_den_Naturschutz [letzter Aufruf: 18.10.2021], S. 2.

[29] Vgl. ebd.: 3.

[30] Ebd.

[31] Gißibl 2010: 24.

[32] Ebd.: 25.

[33] Vgl. ebd.: 24f.

[34] Ebd.: 24.

[35] Vgl. ebd.

[36] Vgl. Rebele 2017: 6.

[37] Vgl. Ebner, T. (2021): ‚Invasive‘ Tiere und der ‚Heimat‘-Begriff. Eine diskursanalytische Annäherung. In: Ullrich, J./Middelhoff, F. (Hrsg.): Tierstudien. Tiere und Migration. 19/2021. Berlin: Neofelis Verlag, S. 78-87.

[38] Ebd.: 81f.

[39] Vgl. Stanescu, V. (2014): Das „Judas-Schwein“: Wie wir „invasive Spezies“ unter der Vorgabe des „Naturschutzes“ töten. In: Journal für kritische Tierstudien (deutschsprachige Edition). Jg. 1, Heft 1, S. 1-15, hier S. 3.

[40] Vgl. Ebd.

[41] Gißibl 2010: 24.

[42] Vgl. Stanescu 2014: 8f.

[43] Ebd.: 8.

[44] Grosfoguel, R. (2007): The Epistemic Decolonial Turn. In: Cultural Studies. Vol. 21: 2-3, S. 211-223, hier S. 213.

[45] Vgl. Machtans 2021: 75.

[46] Vgl. Verordnung (EU) Nr. 1143/2014 des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rates vom 22. Oktober 2014 über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten. URL: https://eur-lex.europa.eu/legal-cotent/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014R1143&from=EN [letzter Aufruf: 24.10.2021].

[47] Vgl. Burghardt 2021.

[48] Vgl. NDR (2021): Kontroverse Nandu-Jagd in MV. URL: https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Kontroverse-Nandu-Jagd-in-MV,nandujagd100.html [letzter Aufruf: 24.10.2021].

[49] Ebd.

[50] Vgl. von Brackel, B. (2021): Die Natur auf der Flucht. Warum sich unser Wald davonmacht und der Braunbär auf den Eisbär trifft – Wie der Klimawandel Pflanzen und Tiere vor sicher hertreibt. München: Heyne Verlag.

Mein Bild gehört zu mir!

von Sophie Flickschuh


Liebe Leser:innen, mein Name ist Sophie Flickschuh, ich studiere Kunst- und Kulturgeschichte im Master  mit dem Schwerpunkt Europäische Ethnologie/ Volkskunde an der Universität Augsburg. Erst vor zwei Jahren habe ich mich das erste Mal mit Rassismus und postkolonialen Strukturen, innerhalb eines Seminars, auseinandergesetzt. Das musste ich auch vorher nicht, denn ich bin privilegiert aufgewachsen; in einem kleinen Dorf in Bayern, mit Akademiker:innen als Eltern. Erst die Recherche zu meinen Essays und die Teilnahme an verschiedenen Seminaren zum Postkolonialismus haben mir diese Privilegierung aufgezeigt. Dabei wurde mir auch klar, dass meine Privilegien als weiße heterosexuelle Frau auf der Abgrenzung und Diskriminierung von POCs aufgebaut wurden. Mein kleiner Beitrag soll die Diskriminierung bereits in den kleinsten, vermeintlich alltäglichen Dingen vor Augen führen, mit der Hoffnung diese Strukturen irgendwann auflösen zu können und mehr Privilegierten wie mir die Augen zu öffnen.


Bild:Albrecht Dürer, Katherina, Florenz, Gabinetto dei Disegni e delle Stampe, Uffizien, 1521.[1]

Triggerwarnung: In diesem Aufsatz werden Dinge angesprochen, die rassistisch sind und Rassismen reproduzieren. Diese stellen in keinster Weise meine persönliche Einstellung dar, sondern dienen der Veranschaulichung rassistischer Strukturen und Denkmuster.

Die 20 x 14 cm große, 1521 entstandene Silberstiftzeichnung von Albrecht Dürer mit dem Titel „Katherina“, die heute im Gabinetto dei Disegni e delle Stampe der Uffizien zu finden ist, zeigt das realistische Porträt einer Schwarzen weiblichen Person.

Die junge Frau, die bis zur Brust mit gesenktem Kopf seitlich porträtiert wurde, ist der zentrale Bildgegenstand und füllt beinahe die gesamte Fläche aus. Sie ist in Dreiviertelprofil von rechts porträtiert und blickt nach links unten am Betrachter vorbei. Sie trägt ein enganliegendes, gewickeltes Kopftuch um ihren Hinterkopf. Am Scheitel ist das Tuch mit einem Stein oder einer Brosche verziert und geht direkt über in eine Jacke oder einen Mantel mit Stehkragen, unter dem Katherina eine Bluse oder ein Kleid mit V-Ausschnitt trägt. Oberhalb des Kopfes steht in Handschrift geschrieben: „1521 Katherina allt 20 jar“. Im rechten, oberen Eck finden sich die Druckbuchstaben „AD“, vermutlich für die Initialen des Künstlers stehend.[2]

Doch was haben nun diese Beschreibung und das dazugehörige Bild von Albrecht Dürer mit postkolonialen Erinnerungsdebatten zu tun? Zunächst dürfte klar sein, dass Dürer sein Porträt zur Zeit der großen ersten europäischen Expansionen fertigte, der Handel nach Übersee in und aus den Kolonien war bereits in vollem Gange. Viel wichtiger erscheint jedoch die Frage nach der Erinnerungskultur: Welche Bedeutung kommt Bildnissen wie diesen im Kontext der Konstruktion des Anderen und kolonialen Denkmustern, die bis heute fortgeführt werden, zu? Um dies zu ergründen, soll eine kurze, aufgrund der begrenzten Mittel lückenhafte Provenienzforschung helfen. Derzeit sind besonders die NS-Raubkunst oder ethnografische Objekte Gegenstand der Provenienzforschung. Für deutsche Museen gehört diese Form der Forschung zum guten Ton.[3] Sie werden von staatlicher Seite finanziert und für ihre Forschungsprojekte honoriert.[4] Anhand Dürers Katherina soll erkenntlich werden, weshalb in Zukunft aber auch Objekte der Kunstgeschichte oder Fotografien, auf denen Personen der ehemaligen Kolonialgebiete abgebildet sind, Ausgangspunkt für Provenienzforschung sein müssten. Weiter soll anhand dieses Beispiels deutlich werden, weshalb auch die Debatte um Restitution immer mitgedacht werden sollte. Denn in vielen Abhandlungen über Provenienzforschung findet die Frage der Restitution derzeit leider keinen Platz.[5] Zu heikel scheint es, hierbei eine Position einzunehmen. Ich erachte es jedoch als zwingend notwendig, die beiden Terminologien gemeinsam zu diskutieren, weshalb im Folgenden nicht nur die Beweisführung eines Unrechtskontextes bei Katherina erörtert, sondern auch die Möglichkeit einer Restitution diskutiert wird.

Beginnen wir mit der Analyse und gehen gleich zurück zur Bildbeschreibung am Beginn des Essays: Sie scheint objektiv zu beschreiben, was auf der Zeichnung dargestellt ist. Bei genauerer Betrachtung des Bildnisses fällt auf, dass Albrecht Dürer keine Farbe verwendete für sein Porträt. Weshalb beschreibe ich Katherina dann als Schwarz?  An mir als Frau einer weißen Mehrheitsgesellschaft wird deutlich, dass die Einteilung in Schwarz und weiß immer noch vorhanden ist, sie ist historisch und kulturell erwachsen und beeinflusst die Art, Personen zu sehen, zu interpretieren und zu deuten.[6] Überhaupt der Hinweis auf die Hautfarbe, die meist mit einer Charakterisierung zu einer Ethnie einhergeht, ist bemerkenswert. Weiße Personen in einem Bild werden meist nicht benannt, da dies als gegeben vorausgesetzt wird. Somit gilt eine Schwarze Hautfarbe immer noch als Abweichung von der Norm in der eurozentrischen Kunstgeschichte.[7] Damit ist die allgemeine Problematik der europäisch erwachsenen Kunstgeschichte immanent, die das Sehen von Tausenden immer noch prägt. Hier wird deutlich, dass die eigene Wahrnehmung stets zu hinterfragen ist.

Nähern wir uns nun der Hauptperson, Katherina. Nach Angaben Dürers handelt es sich um eine 20-jährige versklavte Frau, die zum Zeitpunkt ihrer Porträtierung bei einem portugiesischen Handelsvertreter namens João Brandão in Antwerpen leben musste.[8] Im 16. Jahrhundert waren die Portugiesen mit schätzungsweise 1.000[9] verschifften Sklav:innen pro Jahr eine der führenden Handelsmächte und hatten insbesondere im Warenaustausch mit Westafrika eine Monopolstellung, weshalb auch hier davon auszugehen ist, dass Katherina aus dieser Gegend stammte.[10] Der Handelsvertreter Brandão, dem Dürer das Porträt der Versklavten vermutlich für dessen Gastfreundschaft schenkte,[11] war maßgeblich am Sklavenhandel beteiligt.[12] Hiermit sei der erste Unrechtskontext im Rahmen der Herstellung des Bildnisses angezeigt. Die 20-jährige Katherina lebte zum Zeitpunkt ihrer Porträtierung in Versklavung, konnte somit mit großer Wahrscheinlichkeit nicht selbst entscheiden, ob sie gemalt werden mochte oder nicht. Ein zweiter Punkt ist, dass ihr Bildnis anschließend in den Besitz des Herren kam, der vermutlich am Sklavenhandel beteiligt war. Sie hatte mit ziemlicher Sicherheit keine freie Verfügung darüber, was mit der fertiggestellten Zeichnung geschah. Insgesamt sind hier die ungerechten Mächteverhältnisse hervorzuheben, die im Entstehungskontext vorgeherrscht haben.

Bei genauerer Betrachtung der bereits erwähnten Tagebücher Dürers, in denen er seine Reisen beschreibt, bezeichnet er Katherina mit dem M-Wort.[13] Der hier verwendete Begriff wird abgeleitet vom griechischen Wort moros, was übersetzt dumm oder gottlos bedeutet und dem lateinischen maurus, was die Person als afrikanisch ausweist. Damit ist die Bezeichnung zunächst einmal vor allen Dingen rassistisch und abwertend.[14] Der Begriff wird aber noch in einem anderen Kontext von Dürer verwendet: In seiner Abhandlung Vier Bücher über die menschlichen Proportionen. Er stellt hier die von ihm als zwei ,Geschlechter‘ bezeichneten gegenüber: Weiße und schwarze Menschen, die er mit dem M-Wort abwertet. Letztere seien meist hässlich und hätten krumme Gliedmaßen, während die der Weißen, zu denen Dürer sich selbst zählt, deutlich wohlgeformter seien.[15] Weiter schreibt er etwas später, dass Hässliches im Bild vermieden werden sollte, dagegen helle, gerade und starke Dinge bevorzugt und geliebt würden.[16] In dieser Auseinandersetzung mit der Physiognomie von Menschen wird abermals ein deutlicher Rassismus zu Tage gebracht, in deren Kontext er durch dieselbe Bezeichnung auch Katherina bringt. Angesichts der Tatsache, dass Dürer zu einem der bekanntesten Renaissancekünstler Europas zählt und seine Abhandlung schon zur damaligen Zeit weit verbreitet waren,[17] kann davon ausgegangen werden, dass seine Äußerungen zu einem rassistischen Bild der Kunstgeschichte, sowie der weißen Mehrheitsgesellschaft beigetragen haben. In diesem Kontext ist bemerkenswert, dass in den meisten Abhandlungen und Internetquellen die Titulierung Katherinas mit dem M-Wort verwendet wird, obwohl nicht mal Dürer selbst sein Bild direkt mit dieser Bezeichnung beschriftete.[18] In einigen Fällen wurde das M-Wort sogar durch das stärker diskriminierende N-Wort ersetzt und bis heute beibehalten.[19] Es ist also festzuhalten, dass eine rassistische Bezeichnung für die hier Porträtierte beibehalten wurde und sie so noch heute degradiert. Weiter verweist die Verwendung bei Dürer darauf, dass bereits Renaissancekünstler:innen Wegbereiter:innen von Rassentheorien waren.[20]

Damit ist der koloniale Unrechtskontext, in dem das Bildnis entstand, unter Beweis gestellt. In solch einer Feststellung kann nun im Sinne Sarrs und Savoys der Eigentumsanspruch Europas in Frage gestellt werden. Sie folgern daraus, dass aus ethischer Sicht die Rückgabe an die Herkunftsgesellschaften unabdingbar sei.[21] Bei Dürers Porträt handelt es sich jedoch nun um ein Bild, das nicht als koloniales Kulturgut aus Westafrika entwendet wurde, sondern in Europa von einem Europäer hergestellt wurde. Sowohl die postkoloniale als auch die Provenienzforschung von NS-Raubkunst nutzen bisher einen kapitalistisch geprägten Eigentumsbegriff, welcher in der Regel nur eine einzelne Person, Angehörige oder eine Gruppe als Eigentümer anerkennt. Ich möchte wie auch Brigitta Häuser-Schäublin darauf plädieren, dass in außereuropäischen Gesellschaften andere Verständnisse von Eigentum herrschen, die in die Frage nach Restitution miteinbezogen werden sollten. So ist es häufig nicht die Erschaffer:in des Objekts, sondern das Wesen des Artefakts an sich, das die Eigentümer:in ausfindig macht.[22]

Um die Eigentums- und Restitutionsdiskussion weiter auszuführen, möchte ich nun die aktuelle Gesetzeslage heranziehen. Da Katherina realistisch wiedergegeben wurde und somit eindeutig als Person zu definieren ist, ist zu klären, ob sie oder ihre Hinterbliebenen aus heutiger Sicht ein Recht an ihrem Bild hätten. Hierfür ist besonders das Kunsturheberrechtsgesetz von Bedeutung. Zusammenfassend ist darin festgehalten, dass jede Person, die keinen Lohn erhielt oder eine Einwilligung gab, auch das Recht am eigenen Bild erhält. Im Falle Katherinas trifft dies zu. Ist die Person jedoch länger als 10 Jahre verstorben und keiner der Nachkommen hat in dieser Zeit die Urheberrechtsverletzung angezeigt, erlischt ihr Recht am Bild. Des Weiteren erlischt ihr Recht am Bild, wenn dieses einem höheren Interesse der Kunst dient, was im Falle des Künstlers Dürer anzunehmen ist. Wichtig erscheint der Beisatz von §23, dass Bilder nicht verbreitet werden dürfen, verletzen sie die Interessen der Dargestellten oder die deren Angehöriger.[23] Ziehe ich nun meine zuvor getätigten Ausführungen heran, könnte bewiesen werden, dass die Interessen der Angehörigen verletzt werden. Selbstverständlich bedarf diese Schlussfolgerung einer juristischen Überprüfung.

Weiter sollen nun die heutigen Besitzer:innen zur Aufklärung beitragen. Dürers Katherina befindet sich derzeit in Florenz, in der Abteilung für Zeichnungen und Drucke der Galleria degli Uffizi. Dort befinden sich über 177.000 Papiere, die nur zu Studienzwecken dienen und deshalb selten ausgestellt sind. Sie wurden ab etwa 1650 von Kardinal Leopoldo de`Medici gesammelt und durch Investitionen und Spenden erweitert.[24] Abermals wird die europäische Sammelwut deutlich, die häufig im Zusammenhang mit Provenienzforschung thematisiert wird. Die Sammlungen, die oftmals die Kapazitäten der Museen sprengen und eine angemessene Erforschung teilweise nicht ermöglichen,[25] könnten durch eine Restitution, in unserem Fall an Westafrika oder die Hinterbliebenen, entlastet werden: Eine Win-win-Situation. Des Weiteren ist die Abteilung für Zeichnungen und Drucke nicht frei zugänglich. Um in den Studienraum zu gelangen, benötigen Interessierte ein offizielles Schreiben einer Kulturinstitution und müssen sich mindestens zwei Wochen zuvor anmelden.[26] Damit scheint es für die Hinterbliebenen von Katherina oder afrikanische Wissenschaftler:innen schier unmöglich, kooperativ an der Provenienzforschung dieses Porträts teilzunehmen. Immer stärker werden der Kulturaustausch und die Beteiligung der Herkunftsgesellschaften gefordert. Was bei ethnografischen Objekten bereits erprobt wird, zum Beispiel innerhalb des Projektes „Tansania/Deutschland: Geteilte Objektgeschichten“, fehlt bei kunstgeschichtlichen Werken zum Teil gänzlich.[27] Es ist weiter darauf hinzuweisen, dass die Zeichnung sich immer noch in europäischem Besitz befindet, von einem weißen Kardinal gesammelt[28] und von einem Land in Besitz genommen wurde, welches ebenso Kolonialherrschaft und Sklavenhandel betrieb wie die Portugiesen.[29] Die Homepage des Museums zeigt jedoch ganz aktuell, dass die postkolonialen Debatten nicht spurlos an ihnen vorübergehen. Eine virtuelle Ausstellung mit dem Titel „On being present“ legt die Darstellungsweisen Schwarzer Personen auf Gemälden der Gallerie degli Uffizi offen und soll so Teil der Aufarbeitung werden.[30] Zu finden ist in jener Ausstellung ein anderes Gemälde Dürers, auf dem eine Schwarze Person zu sehen ist, im Hinweistext wird auf die Zeichnung Katherinas und ihre Lebensumstände verwiesen.[31]

Im Folgenden soll nun der Preis des Objektes näher betrachtet werden. Wie bei den meisten NS-Raubkunst Objekten handelt es sich auch hier um ein Kunstwerk von hohem ökonomischen Wert, denn es ist von einem berühmten Künstler erstellt worden, der von Kunsthistoriker:innen als herausragend bewertet wird.[32] Bei Sotheby’s wird eine Zeichnung von Dürer 2016 mit 1.000.000 bis 1.500.000 US-Dollar geschätzt.[33] Es kann davon ausgegangen werden, dass das Porträt von Katherina, das nach eigenem Ermessen eine höhere Qualität besitzt, einen noch größeren Gewinn erzielen würde. Es geht in diesem Zusammenhang auch darum, festzustellen, welchen tatsächlichen, ökonomischen Wert die weiße europäische Mehrheitsgesellschaft noch immer aufgrund der damaligen Porträtierung erhält. Der tatsächliche Geldwert des Bildes ist sowohl bei der Frage der Provenienz als auch den Debatten um Restitution wichtig, da er einen messbaren Gewinn anzeigt, den Europa im Gegensatz zu der Herkunftsgesellschaft der Dargestellten erhält. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass höchstwahrscheinlich eine beinahe lückenlose Provenienz des Porträts erstellt werden könnte, da der Wert häufig auch die Provenienz bestimmt.[34] Gleichzeitig wird, durch den hohen kunsthistorischen Wert, der dem Bild zugestanden wird, eine Rückführung des Porträts in das Herkunftsland Katherinas schwer zu erreichen sein.

Zusammenfassend ist deutlich geworden, dass kunsthistorische Objekte, auf denen nicht-europäische Personen im kolonialen Kontext dargestellt sind, einer Provenienzforschung bedürften und dies unter Berücksichtigung sowohl vergangener als auch gegenwärtiger Faktoren. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei nicht nur auf den Erwerbskontext gelegt werden, sondern vor allem auf die Darstellungsweise der Personen und deren Wirkungsmacht auf die Betrachter. Gleichzeitig darf sich die Provenienzforschung der Frage nach Restitutionen nicht verschließen: Die Provenienzforschung ist schließlich der ausschlaggebende Faktor, der eine Restitution oder deren Ablehnung begründet. Außerdem sehe ich es wie Savoy und Sarr, dass mit dem Unrechtsregime der Kolonialherrschaft die postkoloniale Restitution einhergeht. Jedoch plädiere ich nicht wie sie strikt für eine Rückführung, da es sich in vielen Fällen, wie bei diesem Beispiel auch, nicht um ein entwendetes Objekt handelt. Dagegen fordere ich mit Restitution eine Wiedergutmachung.[35] Darunter verstehe ich das Aufbrechen von rassistischen Sehgewohnheiten und eurozentrischen Denkmustern, Kulturgüteraustausch und offizielle Entschuldigungen, Entschädigungen in materieller oder immaterieller Form, sowie einen gemeinsamen wissenschaftlichen Diskurs und den Aufbau einer gleichberechtigten Beziehung. Denn mein Bild gehört zu mir!


[1] <https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/20/Albrecht_Dürer_-_The_Negress_Katherina_-_WGA07097.jpg&gt; (11.02.2020).

[2] Dürer, Albrecht: Tagebuch der Reise in die Niederlande. In: (= Dürer. Schriftlicher Nachlass, Bd. 1), hrsg. von Hans Rupprich. Berlin 1956, S. 194.

[3] Hauser-Schäublin, Brigitta: Ethnologische Provenienzforschung – warum heute? In: Förster, Iris u.a. (Hg.): Provenienzforschung zu ethnografischen Sammlungen der Kolonialzeit. Positionen in der aktuellen Debatte. Berlin 2018, S. 327.

[4] Hier sind im Besonderen der Vortrag von Dr. Martina Kleinert: Aus der Südsee ins Allgäu – und zurück? vom 04.12.2019 und der Vortrag von Lisa Wagner am 18.12.2019, die zum Stadtmuseum Kaufbeuren: Die Provenienz der Sammlungszugänge zwischen 1932 und 1964 referierte, zu nennen.

[5] So beispielsweise im Sammelband: Förster, Iris u.a. (Hg.): Provenienzforschung zu ethnografischen Sammlungen der Kolonialzeit. Positionen in der aktuellen Debatte. Berlin 2018.

[6] Greve, Anna: Farbe – Macht – Körper. Kritische Weißseinsforschung in der europäischen Kunstgeschichte. Karlsruhe 2013, S.57; S. 141.

[7] Ebd., S. 68.

[8] Dürer, 1956, S. 167. Siehe auch: Greve, 2013, S. 182.

[9] Andere sprechen von bis zu 100.000 Versklavten. Siehe hierzu: Greve, 2013, S. 183.

[10] Metcalf, Alida C.: Go-betweens. And the Colonization of Brazil. 1500-1600. Austin 2005, S. 168-171.

[11]Hirschfelder, Dagmar: Bildniszeichnungen als Tauschobjekte und Freundschaftsgaben. Dürers Strategien der Beziehungspflege in den Niederlanden (= Wallraf-Richartz-Jahrbuch, Bd. 74). Köln 2013, S. 114-116.

[12] Metcalf, 2005, S. 168-171.

[13] Dürer, 1956, S. 167.

[14] Hagen-Jeske, Ina: „Zu weiß für die Schwarzen und zu schwarz für die Weißen“. Der künstlerische Umgang mit Identität, Rassismus und Hybridität bei Samy Deluxe und B-Tight. Marburg 2016, S. 29.

[15] Dürer, Albrecht: Vier Bücher von menschlicher Proportion. Buch III. In: Vier Bücher von menschlicher Proportion (1528). Mit einem Katalog der Holzschnitte. Hrsg.; komment., übers. von Berthold Hinz. Altenburg 2011, S. 229.

[16] Ebd., S. 231.

[17] Greve, 2013, S. 182-183. Siehe hierzu auch: Dürer, 2011, S. 5.

[18] Siehe hierzu zum Beispiel: <https://www.bildindex.de/document/obj20271185>(12.02.2020). Oder:

[19] Siehe hierzu zum Beispiel: <https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Albrecht_Dürer_-_The_Negress_Katherina_-_WGA07097.jpg&gt; (12.02.2020).

[20] Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Übersetzung des Herausgebers Berthold Hinz, der „Geschlechter“ mit „Rasse“ übersetzt. In: Dürer, 2011, S. 229.

[21] Thiemeyer, Thomas: Restitution als symbolischer Akt. In: Zeitschrift für Volkskunde, 115 (2019), S. 261.

[22] Hauser-Schäublin, 2018, S. 330-331.

[23] Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (Hg.): Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Kunst und der Photographie. § 22, <https://www.gesetze-im-internet.de/kunsturhg/__22.html&gt; ( 12.02.2020). Und: Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (Hg.): Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Kunst und der Photographie. § 23, <https://www.gesetze-im-internet.de/kunsturhg/__23.html&gt; (12.02.2020).

[24] Le Gallerie degli Uffizi: Department of Prints and Drawings, <https://www.uffizi.it/en/pages/department-of-prints-and-drawings&gt; (12.02.2020).

[25] Ivanov, Paola/Weber-Sinn, Kristin: Shared Research. Zur Notwendigkeit einer kooperativen Provenienzforschung am Beispiel der Tansania-Projekte am Ethnologischen Museum Berlin. In: Förster, Iris u.a. (Hg.): Provenienzforschung zu ethnografischen Sammlungen der Kolonialzeit. Positionen in der aktuellen Debatte. Berlin 2018, S. 144-145.

[26] Le Gallerie degli Uffizi: Department of Prints and Drawings. Study Room Regulations, <https://uffizi-production-b8df82a1.s3.eu-central-1.amazonaws.com/production/attachments/1579509692774500-Uffizi-Galleries-Department-of-Prints-and-Drawings.pdf&gt; (12.02.2020).

[27] Dies empfehlen auch die Autorinnen in: Ivanov/Weber-Sinn, 2018, S.145-147.

[28] Le Gallerie degli Uffizi: Department of Prints and Drawings, <https://www.uffizi.it/en/pages/department-of-prints-and-drawings&gt; (12.02.2020).

[29] Zeuske, Michael: Handbuch Geschichte der Sklaverei. Eine Globalgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. Berlin/Boston 2013, S. 382.

[30] Le Gallerie degli Uffizi: On being present. The presence of the black identity in the collections of the Uffizi. < https://www.uffizi.it/en/magazine/article-blackhistorymonth&gt; (12.02.2020).

[31] Le Gallerie degli Uffizi: On being present. Recovering Blackness in the Uffizi Galleries, <https://www.uffizi.it/en/online-exhibitions/on-being-present#6&gt; (12.02.2020).

[32] Hauser-Schäublin, 2018, S. 330.

[33] Sotheby’s: Albrecht Dürer. Nuremberg 1471 – 1528. Christ being nailed on the cross, <https://www.sothebys.com/en/auctions/ecatalogue/2016/old-masters-collection-a-alfred-taubman-n09458/lot.28.html?locale=en&gt; (12.02.2020).

[34] Für bekannte und wertvolle Bilder gibt es häufig mehr Interessenten, die eine Provenienz durchführen möchten.

[35] Thiemeyer, 2019, S. 261-262.

Mensch. Tier. Macht. 

Postkoloniale Perspektiven auf Mensch-Tier-Verhältnisse

Wahlspecial: Tierschutz und Rassismus

von Annika Harzmann

Foto: Stefan Rieger

Zivilisierungsaufgabe, Klassenkampf und braune Utopie – Tierschutzideen mussten schon für so Manches herhalten. Dabei wird klar: Nicht immer geht es den Fürsprecher:innen darum, die Situation von Tieren nachhaltig zu verbessern. Denn Tiere lassen sich argumentativ wunderbar missbrauchen, sei es im Sinne eines kolonialen Projekts oder für rassistische Parolen. In diesem Wahlspecial möchte ich einen Blick auf die unheilvolle Liaison zwischen Tierschutz und Rassismus werfen und mich dabei auch mit den Wahlprogrammen zur Bundestagswahl befassen. Kann Tierschutz rassistisch sein? Welche Rolle spielen Tiere für die Parteien? Und was kannst du tun, um dich für Tiere einzusetzen?

Die rechte Szene liebäugelt mit dem Tier- und Naturschutz, die AfD gibt sich zuweilen als „Alternative für Vogelfreunde“[1], wie Rechtsextremismusexperte Andreas Speit karikiert. Wie kommt es, dass der Schutz von Tieren auch vermehrt Menschen mit rechter Gesinnung anzieht? Um dies zu beantworten, ist es hilfreich, sich mit der Geschichte des organisierten Tierschutzes auseinanderzusetzen – denn Rassismus und Tierschutz haben eine lange gemeinsame Tradition.

Zunächst: Das Engagement für Tiere hat recht unterschiedliche Gesichter. Das lassen schon die vielfältigen Protest- und Bewegungsgruppen vermuten. Ich verwende hier, einem Vorschlag von Klaus Petrus folgend, den Begriff der Tierbewegung, um die jeweiligen Einzelbewegungen zusammenzufassen. Gemeinsam ist ihnen das Bestreben, den Status von Tieren innerhalb der Gesellschaft zu verändern und sich für sie einzusetzen. Darunter fallen unter anderem die Tierschutzbewegung, die Tierrechtsbewegung und die Tierbefreiungsbewegung.[2] Erstere hat sich grundsätzlich dem allgemeinen Schutz und Wohl von Tieren verpflichtet, während sich die Tierrechtsbewegung dadurch auszeichnet, Grundrechte wie zum Beispiel das Recht auf Leben, Freiheit und Unversehrtheit für Tiere zu fordern. In Abgrenzung dazu sehen die meisten derjenigen Aktivist:innen, welche unter dem Label der „Tierbefreiung“ agieren, die Basis der Unterdrückung in der hierarchischen Strukturierung von Gesellschaftssystemen, die es zu abzuschaffen gelte.[3]

Und so unterschiedlich die Tierbewegung im Ganzen ist, so vielseitig sind auch die Gruppen, Menschen und Ideen, die sich für tierliches Leben engagieren. Dass auch Rechtsextremist:innen sich vermehrt in der Tierschutzszene tummeln, liege „nicht daran, dass Rechtsextreme ein besonders großes Herz für Tiere hätten, sondern an der problemlosen Instrumentalisierung des Themas“[4], so die Fachstelle für Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN). Mit dem Verweis auf Tierquälerei, Schlachtungen oder Massentierhaltung lässt sich verhältnismäßig leicht das Mitgefühl der Bevölkerung wecken – dies hatte schon in den Anfängen der Tierschutzbewegung hervorragend funktioniert.

Schlaglichter der Geschichte des Tierschutzes

Im Gegensatz zur (europäischen) Tierschutzidee, die bis in die Antike zurückgehe, sei der Tierschutz in seiner organisierten Form ein Phänomen des 19. Jahrhunderts, so die Historikerin Mieke Roscher.[5] Damit ist die Tierschutzbewegung in ihrer institutionellen Form die älteste der verschiedenen Zweige der Tierbewegung. Bereits 1824 wurde mit der britischen Society for the Prevention of Cruelty to Animals die erste Tierschutzorganisation gegründet. In Deutschland – das hier im Zentrum stehen soll – schlossen sich im Jahr 1837 Gleichgesinnte zum Tierschutzverein Stuttgart zusammen und dreißig Jahre später nahm die erste Vegetarier:innenvereinigung im deutschen Raum ihre Arbeit auf.[6]

Angesichts der Fülle an Konfrontationsflächen mit tierlicher Ausbeutung und Unterdrückung im Deutschland des 19. Jahrhunderts, scheint es besonders spannend, das Agenda-Setting in der Anfangsphase der Bewegung nachzuverfolgen. Welche Themen wurden behandelt? Wofür setzten sich die frühen Tierschützer:innen  ein? Ein Hauptaugenmerk lag – wie schon die Namensgebung des ersten Vereins „Prevention of Cruelty to Animals“ nahelegt – auf der Verhinderung von Tierquälerei, so die Historiker Uekötter und Zelinger[7]. Damit gerieten in erster Linie sozial niedriger gestellte Schichten der Bevölkerung ins Visier der meist bürgerlichen Tierschützer:innen. In Großbritannien etwa widmete man sich der Abschaffung von Hahnenkämpfen – einer „typische[n] Freizeitbeschäftigung der britischen Unterschichten“[8]. Tierschutz war in diesem Kontext vor allem „Zivilisierungsaufgabe“.[9]

Dieses Narrativ fügte sich besonders gut in die gängige Kolonial-Rhetorik ein. Die Behandlung von Tieren galt den Kolonialist:innen als Gradmesser der Zivilisation und bildete damit auch eine Legitimationsgrundlage für das koloniale Projekt.[10] Damit wurde Tierschutz fadenscheinig zum kolonialen Steckenpferd, wie Mieke Roscher am Beispiel Großbritanniens darlegt:

„Über das Engagement im Tierschutz ließen sich offensichtlich hervorragend gesellschaftliche Konflikte verhandeln, innerhalb derer die Tiere als Projektionsflächen dienten. So passte in die vorherrschende Doktrin des britischen Imperialismus als Zivilisierungsmission die beispielsweise über Tiere verhandelte Kolonialfrage, nach der es vor allem der Mangel an zivilisiertem Geist war, der ein weltweites Eingreifen Großbritanniens auch in puncto Tierschutz erforderlich machen würde.“[11]

Und dem nicht genug: Auch völkische Bewegungen machten sich bereits im Kaiserreich diese zivilisatorischen Vorstellungen zu eigen und verbreiteten unter dem Deckmantel des Tierschutzes antisemitische, rassistische Positionen, denen sich auch viele der deutschen Tierschutzvereine  nicht verwehrten.[12] Ein besonders prominentes Beispiel für diese antisemitischen Färbung der Tierbewegung ist der Einsatz gegen das Schächten – der rituellen Schlachtung ohne Betäubung – das in Teilen des Judentums und des Islams praktiziert wird. Das kam auch unter den Nazis gut an: Der Nationalsozialismus nahm viele Anliegen der Tierschützer:innen dankend auf und verarbeitete sie in eine rassistische Ideologie.[13] Bereits im April 1933 wurde in diesem Zuge beispielsweise das Schächten unter Strafe gestellt[14] und später mit dem Reichstierschutzgesetz die Grundlage für Ausgrenzung und Gewalt gegen insbesondere jüdische Menschen, Sinti:zze und Rom:nja.

Tierschutz von rechts

Viele dieser Narrative werden auch heute noch bedient: Wie die Fachstelle für Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN) darlegt, finden sich seit 1945 die gleichen Motive und Forderungen in Programmen rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien wieder. Ein Unterschied: Neben Antisemitismus kommt dabei auch antimuslimischem Rassismus ein immer größerer Part zu.[15] Auch das Schächten ist weiterhin ein bedeutendes Thema in rechten Kreisen.

Werfen wir beispielsweise einen Blick auf das diesjährige Wahlprogramm der AfD. Die Erwartungen können dabei durchaus hochgesteckt werden, schließlich inszenierte sich die Partei zuletzt bei der Landtagswahl in Sachsen als „Die Tierschutzpartei in Deutschland“. Diesen Erwartungen hält das Programm – na gut, vielleicht doch nicht so überraschend – nicht stand. Über umfassenden Tierschutz erfahren die Leser:innen hier nicht viel. Tatsächlich widmet die AfD die Hälfte ihres ohnehin kurzen Statements zur Situation von Tieren dem Verbot des Schächtens, der Regulation von als halal oder koscher gekennzeichneten Fleisch und Seitenhieben gegen „Tierschutzrechtverstöße in Drittländern“ – 564 von 1.082 Zeichen (ohne Leerzeichen), um genau zu sein.[16]

Dass dabei gleichzeitig der Abschuss von Wölfen, die „Entnahme“ invasiver Arten und die Angst vor dem Fleischverzicht – genauer: die „Bewahrung unserer traditionellen Esskultur in öffentlichen Einrichtungen“[17] – propagiert werden, scheint sich nicht auszuschließen. Hengameh Yaghoobifarah schrieb bereits 2019 für die taz: „Tierschutz ist besonders unter Rechten ein Thema, solange sie sich dadurch als zivilisiert und überlegen profilieren können. Das Schächten verurteilen und sich gleichzeitig für Schweinefleisch als Menschenrecht einsetzen? Für rechtsextreme Parteien wie NPD und AfD kein Widerspruch“[18].

Und nun? Wie sieht eine antirassistische Antwort aus? Werfen wir den Tier- und Artenschutz über Bord? Weg mit den „Tierwohl“-Standards und noch mehr Intensivhaltung! Nur noch 30.000 Koalas nach den letzten Extrembränden – so what? Tierversuche? I like. Mit diesem Text geht es mir natürlich nicht darum, den Einsatz für Tiere und deren gesellschaftlichen Status abzuwerten. Wie schon im letzten Beitrag deutlich geworden ist: Artenschutz bzw. der Schutz der Biodiversität sprechen auch Fragen von (globaler) Umwelt- und Klimagerechtigkeit an und sind insofern – nicht zuletzt unter einem postkolonialen Blickwinkel – wichtige Schlagworte politischer Diskussionen. Der Anteil der Landwirtschaft an der Biodiversitäts- und der Klimakrise sowie – schließlich sind wir noch inmitten einer Pandemie – an der Ausbreitung von Zoonosen macht es umso nötiger, sich mit dem Umgang von Menschen mit Tieren und Umwelt, insbesondere in Hinblick auf die industrielle Tierhaltung, auseinanderzusetzen. In den Wahlkampf-Debatten zur Bundestagswahl mag biologische Vielfalt noch nicht angekommen sein, viele deutsche Bürger:innen mögen sich deren Bedrohung und der damit einhergehenden Gefahren noch nicht bewusst sein – die Biodiversitätskrise nimmt darauf keine Rücksicht.

Und Hey: Braucht es wirklich ein großes Aufgebot an Argumenten, um den Wunsch zu wecken, dass die Lebensbedingungen einer Vielzahl von Tieren zumindest ein bisschen besser sein sollten – ein bisschen weniger Gewalt, eine Prise weniger Ausbeutung? Ganz zu schweigen davon, das Herrschaftsverhältnis zwischen Menschen und Tieren tatsächlich zu verändern, Mensch-Tier-Verhältnisse tatsächlich neu zu verhandeln.

Tiere, Menschen, Politik – Ein Blick in die Wahlprogramme

Wie reagieren also politische Parteien auf die Dringlichkeit dieser Fragen? Die großen Parteien, deren Wahlprogramme ich vor diesem Hintergrund näher untersucht habe, gehen mit diesen Themen sehr unterschiedlich um, widmen ihnen mal mehr, mal weniger Raum. Nur um einen Eindruck dieser Diskrepanzen zu geben: 54-mal und damit am weitaus häufigsten wird das Wort „Tier(e)“ im Wahlprogramm der Grünen erwähnt – die SPD spricht „Tier(e)“ lediglich sechsmal direkt an. Bei der AfD kommen die Begriffe „Biodiversität“, „Biologische Vielfalt“ und „Artenvielfalt“ gar nicht vor. In den Programmen der Grünen und der Union zumindest 18- bzw. 14-mal. Auch in puncto „Tierschutz“ gibt es erhebliche Unterschiede – die Nennungen reichen von null- bis 14-mal. Umwelt- und Klimagerechtigkeit spielen nur bei den Grünen und der Linken überhaupt eine Rolle. Ich habe die Wahlprogramme außerdem auf die Stichworte „Artenschutz“, „Artensterben“ und „Klimawandel“ untersucht. Dies legt Relevanzen offen. Die Ergebnisse seht ihr hier:

Eine inhaltliche Beschäftigung mit den verschiedenen Argumenten ersetzt dies selbstverständlich nicht. Schließlich ist das Starkmachen für Tierschutz – das sollte am Ende dieses Beitrags deutlich geworden sein – nicht immer das, wonach es scheint. Der Einsatz für Tiere ist nicht immer progressiv, zuweilen ist er rückschrittlich und abgegriffen. Und manchmal vor allem menschenverachtend. Mensch-Tier-Verhältnisse sind umkämpft. Was macht Tiere aus? Wie unterscheiden sie sich von „uns“? Und wer ist eigentlich „wir“? Dürfen Menschen Tiere nutzen? Wer darf das – und wer nicht? Sollten „wir“ sie essen? Sie für medizinische Versuche verwenden? Oder ihnen ihre Lebensgrundlagen entziehen? Müssen sie geschützt werden? Welcher Platz wird tierlichen Lebewesen in Gesellschafteneingeräumt? Die bevorstehende Bundestagswahl wird über diese Fragen mitentscheiden. Du kannst das auch – in den Wahlkabinen, Universitäten, in deinem Alltag. Offen, diskriminierungsfrei und solidarisch.


[1] Speit, A. (2020): Die Alternative für Vogelfreunde. Die AfD als Umweltpartei. In: JUNGLE.WORLD 20/29. URL: https://jungle.world/artikel/2020/29/die-alternative-fuer-vogelfreunde [letzter Aufruf: 22.09.2021].

[2] Vgl. Petrus, K. (2015): Tierrechtsbewegung. In: Ferrari, A./Petrus, K. (Hrsg.): Lexikon der Mensch-Tier-Beziehungen. Bielefeld: transcript, S. 368.

[3] Einen Überblick über die verschiedenen Strömungen der Tierbewegung und deren Argumente könnt ihr euch hier verschaffen: Ferrari, A./Petrus, K. (Hrsg.): Lexikon der Mensch-Tier-Beziehungen. Bielefeld: transcript.

[4] FARN (Hrsg.) (2019): Wenn Rechtsextreme von Naturschutz reden – Argumente und Mythen. Ein Leitfaden.  URL: https://www.nf-farn.de/system/files/documents/farn_leitfaden_wenn_rechtsextreme_von_naturschutz_reden.pdf [letzter Aufruf: 22.09.2021].

[5] Vgl. Roscher, M. (2015): Tierschutzbewegung. In: Ferrari, A./Petrus, K. (Hrsg.): Lexikon der Mensch-Tier-Beziehungen. Bielefeld: transcript, S. 371.

[6] Uekötter, F./Zelinger, A. (2012): Die feinen Unterschiede – Die Tierschutzbewegung und die Gegenwart der Geschichte. In: Grimm, H./Otterstedt, C. (Hrsg.): Das Tier an sich. Disziplinübergreifende Perspektiven für neue Wege im wissenschaftsbasierten Tierschutz. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 121.

[7] Vgl. ebd.: 124f.

[8] Ebd.: 125.

[9] Vgl. Roscher, M. (2019):  Geschichte des Tierschutzes. Von der Aufklärung bis zur vergangenen Revolution. In: Diehl, E./Tuider, J. (Hrsg.): Haben Tiere Rechte? Aspekte und Dimensionen der Mensch-Tier-Beziehung. Bonn: Bpb, S. 41.

[10] Vgl. Roscher 2015: 371f.

[11] Roscher 2019: 43.

[12] Vgl. ebd.: 45f.

[13] Vgl. Uekötter/Zelinger 2012: 127f.

[14] Vgl. Roscher 2019: 46.

[15] Vgl. FARN 2019: 22.

[16] Vgl. Wahlprogramm der AfD, S. 201f.

[17] Ebd.: 204.

[18] Yaghoobifarah, H. (2019): Rassismus und Tierschutz in Deutschland: Nicht ohne meinen Hayvan. URL: https://taz.de/Rassismus-und-Tierschutz-in-Deutschland/!5606492/ [letzter Aufruf: 22.09.2021].

Mensch. Tier. Macht. 

Postkoloniale Perspektiven auf Mensch-Tier-Verhältnisse

Start unserer neuen Beitragsreihe! 

von Annika Harzmann 

Foto: Stefan Rieger

Kann Tierschutz rassistisch sein? Was hat das Aussterben von Tieren mit imperialen Ansprüchen zu tun? Sind Naturschützer:innen Kolonialist:innen? Diesen Fragen möchten wir künftig gemeinsam mit euch einmal im Monat nachgehen. Ab September starten wir mit einer neuen Beitragsreihe zu Beziehungen zwischen Menschen und Tieren, zu Rassismus, Macht und Privilegien.  

Liebe Leser:innen, 

vielleicht fragt ihr euch, wie das zusammenpasst – Tiere und Postkolonialismus? Vielleicht seid ihr euch auch nicht sicher, ob ihr hier richtig seid. Mit Tieren, ihrem Wohl und ihren Rechten habt ihr euch noch nicht näher beschäftigt? Artenschutz und Biodiversitätsverlust sind nicht euer Fachgebiet? Dann habt ihr nun die Gelegenheit, eine neue Perspektive einzunehmen. 

Diese Beitragsreihe versteht sich auch als Einladung, sich fächerübergreifend mit Mensch-Tier-Verhältnissen zu beschäftigen. Weil diese Fragen für jede:n von uns relevant sind. Weil hier Dinge verhandelt werden, die von Bedeutung sind – auch unter einem postkolonialen Blickwinkel. Deshalb ist es mir als Autorin und als Studentin im Studiengang Sozialwissenschaften ein Anliegen, mich mit den mannigfachen Interaktionen und Beziehungen zwischen Menschen und Tieren auseinanderzusetzen. In den kommenden Monaten soll es in unserer neuen Rubrik darum gehen, diese Verhältnisse unter einer postkolonialen Perspektive zu betrachten und dabei Fragen von Rassismus, Macht und Privilegien in den Mittelpunkt zu stellen. Mit diesem ersten Beitrag möchte ich euch einen Eindruck vermitteln, was euch dabei erwarten wird.  

Zunächst – und dies ist eine persönliche wie auch naheliegende Antwort darauf, warum ich über Verhältnisse zu Tieren sprechen möchte – finde ich es schlichtweg falsch, dass eine Vielzahl von Tieren durch menschliches Handeln eingeschränkt oder ausgebeutet wird, ihnen grundlegende Bedürfnisse verwehrt bleiben, sie ihrer Freiheit beraubt werden, Schmerzen erleiden oder sterben. Denn das tun sie, jeden Tag. Das Sterben von Tieren (durch menschliche Einflüsse) ist ein „alltägliche[s] Hintergrundrauschen“ (Thöne et al. 2016: 11). Dafür braucht es nicht nur das Schreckensbeispiel der Massentierhaltung. Um das Sterben nichtmenschlicher Lebewesen zu beobachten, reicht auch ein Blick in unsere Wälder, Gewässer und Städte. Der Biodiversitätsverlust ist eine der größten Gefahren für das Leben auf der Erde. Er ist aufs Engste mit der Klimakrise verbunden, verstärkt sie und wird durch sie weiter angetrieben (vgl. Brasseur et al. 2014: 13). 

Artenschutz bzw. der Erhalt der Biodiversität[1] wird damit auch für uns Menschen zur Überlebensfrage. Deutlich wird dies nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie. Denn je kleiner die Lebensräume von Tieren werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Krankheitserreger auf Menschen überspringen. Das Risiko von Infektionskrankheiten nimmt also zu – in erster Linie durch anthropogene Umweltveränderungen, wie der Weltbiodiversitätsrat IPBES 2020 in einem Bericht zu Pandemien bestätigte (vgl. IPBES 2020: 2). Auch überfüllte Ställe in der industriellen Nutztierhaltung sind echte Brutstätten für sogenannte Zoonosen (vgl. Chemnitz & Dewitz 2021). Wie wir als Menschen mit Tieren umgehen, hat also ebenso Auswirkungen auf unser eigenes Leben – global wie regional. 

Wie hängt dies nun mit postkolonialen Debatten zusammen? Kehren wir beispielsweise zurück zur Biodiversität: Denn hier werden auch (globale) Ungleichheiten angesprochen. Weder Verantwortlichkeit noch Betroffenheit sind derzeit gleich verteilt. So kann die Biodiversitätskrise etwa als Folge der Ausbeutung von Mensch und Natur durch den globalen Norden begriffen werden – als Resultat einer imperialen Lebensweise, wie sie Ulrich Brand und Markus Wissen in ihrem gleichnamigen Buch herausarbeiten (vgl. Brand & Wissen 2017).

Die Autorin Trinda Storey fordert weiterhin, die Thematik auch unter der Perspektive von Umwelt(un)gerechtigkeit zu beleuchten: „The issue of biodiversity loss is often discussed when considering the conservation of species, it also needs to be discussed in terms of environmental injustice. The loss of biodiversity affects poor and indigenous communities by impinging on their rights to clean water, safe air, and means of livelihood, including land, and to live healthily” (Storey 2020). Biodiversitätserhalt ist eine Überlebensfrage, ja. Für die gesamte Menschheit? Ja, vielleicht. Für einige Gruppen von Menschen definitiv schon heute.

Wie also auf den Verlust der Biodiversität reagieren? Oft werden dafür Schutzregionen ausgewiesen. Problematisch dabei: Der Artenschutz in Schutzgebieten war und ist stets auch ein Weg, Dominanz auszuüben (vgl. Uekötter 2020: 15f.). Der kenianische Ökologe Mordecai Ogada spricht in einem Interview für das GEO Magazin gar von Naturschutz als neue Form des Kolonialismus (vgl. Gottschalk 2020). Der Arbeit von Naturschutzorganisationen in den Nationalparks Afrikas hafte auch heute noch ein rassistisches Narrativ an: eine „Geschichte von weißen Heilsbringern, die die Tierwelt in Afrika retten – und zwar vor den Afrikanern“ (ebd.). Diese Erzählung setzt sich auch in heutigen Debatten um Wilderei fort (vgl. ebd.).

Dass neben dem Artenschutz auch Tierschutz(-politik) nicht immer etwas mit dem Wunsch zu tun hat, nichtmenschliche Lebewesen vor Unheil zu bewahren, werde ich in meinem nächsten Beitrag zeigen. Pünktlich zur Bundestagswahl möchte ich dabei in Auseinandersetzung mit den Wahlprogrammen der Parteien deutlich machen, warum das Argument des „Tierwohls“ oft auch zur Durchsetzung einer rassistischen Agenda genutzt wird. Ich freue mich darauf, gemeinsam mit euch eine neue Perspektive auf Menschen, Tiere und Macht zu gewinnen!


[1]Biodiversität beschreibt die Vielfalt des Lebens auf der Erde. Neben der Vielfalt der Arten geht es um die Diversität der Gene, der Ökosysteme sowie der Wechselwirkungen zwischen Spezies und Ökosystemen (vgl. Brasseur et al. 2014: 12).

Brand, U./Wissen, M. (2017): Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. München: Oekom Verlag.  

Brasseur, G./Mosbrugger, V./Schaller, M. u.a. (2014): Einführung. In: Ebd. u.a. (Hrsg.): Klimawandel und Biodiversität. Folgen für Deutschland. 2., Auflage. Darmstadt: WGB, S. 12-22. 

Chemnitz, C./Dewitz, I. (2021): Zoonosen: Tierproduktion, Pandemie und Gesundheit. URL: https://www.boell.de/de/2021/01/06/zoonosen-tierproduktion-pandemie-gesundheit [letzter Aufruf: 16.09.2021]. 

IPBES (2020) Workshop Report on Biodiversity and Pandemics of the Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services. URL: https://ipbes.net/sites/default/files/2020-12/IPBES%20Workshop%20on%20Biodiversity%20and%20Pandemics%20Report_0.pdf [letzter Aufruf: 16.09.2021]. 

Gottschalk, G. (2020): Mordecai Ogada: „Naturschutz ist der neue Kolonialismus“. URL: https://www.geo.de/natur/oekologie/23131-rtkl-umweltschutz-afrika-naturschutz-ist-der-neue-kolonialismus [letzter Aufruf: 16.09.2021] 

Storey, T. (2020): Biodiversity injustice. The interrelationship of biodiversity loss and environmental injustice. URL: https://storymaps.arcgis.com/stories/69bafe2cad3648acaaeb3244890d60fd [letzter Aufruf: 15.09.2021]. 

Thöne, Y. S./Milling, S./Müllner, I. u.a. (2016): Opfer – Beute – Hauptgericht. Tiertötungen im interdisziplinären Diskurs. In: Joachimides, A./Milling, I./Thöne, Y. S. (Hrsg.): Ders. Bielefeld: transcript, S. 11-22.  

Uekötter, F. (2020): Von großen Zahlen, stillem Sterben und der Sprachlosigkeit der Menschheit. Eine kleine Geschichte des Artenschutzes. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Natur- und Artenschutz. 11/2020, S. 11-19. 

“Was es für uns bedeutet, eine Stimme zu haben…”

Gedanken zur Bundestagswahl 2021

Eine Stimme als Wähler*in staatlich reguliert zugesprochen zu bekommen, gehöre zu den grundlegenden und unverzichtbaren Prinzipien jedes freiheitlich demokratischen Rechtsstaates, wie es auf der Website des “Bundeswahlleiters” heißt. Die Repräsentant*innen der (Staats)Bürger*innen seien eine Vertretung, die aus Wahlen hervorgeht und auch wieder durch Wahlen abgelöst wird. “Der permanente Prozess der Meinungs- und Willensbildung der Staatsbürger[*innen] mündet ein in den Akt der Wahl der Volksvertretung als dem wichtigsten Mitwirkungsrecht in der Demokratie.” (Der Bundeswahlleiter 2021)

Die Bundestagswahl 2021 steht vor der Tür: Am Sonntag, 26. September ist es soweit. Wir, Annika, Lisa und Kathrin von Postcolonial Realities möchten unsere Gedanken teilen, warum es für uns unabdingbar ist, wählen zu gehen.

“Es macht doch sowieso keinen Unterschied, ob ich wählen gehe oder nicht.” Wie eine abgedroschene Stammtischparole betäubt diese Aussage oft fruchtbare Diskussionen zur Bundestagswahl. Wählen gehen scheint zur Ja/Nein-Frage zu verkommen. Unsere komplexe Welt ist damit aber bei Weitem nicht bedient.

Initiativen wie #Wahlboykott21 rufen etwa zur Ächtung der Wahl auf – als Zeichen „der Ablehnung und des Widerstandes gegen die herrschende Ordnung“. Wirkliche Veränderungen würden nicht in den Parlamenten, sondern auf der Straße beschlossen. Ja, es ist wahr, dass wir das System durch diese Wahlen nicht ändern werden: Der Kapitalismus – für diese Vorhersage müssen wir uns nicht besonders weit aus dem Fenster lehnen – wird diese Wahl überdauern. Strukturellen Rassismus schafft keine Regierung, selbst wenn sie dazu gewillt ist, innerhalb einer Legislaturperiode ab. Und selbst wenn Klimapolitik in Zukunft eine größere Rolle spielen wird – wir können die Klimakrise und Biodiversitätsverluste nicht ungeschehen machen.

Aber wir* können MITENTSCHEIDEN und MITBESTIMMEN! Darüber, wie schlimm es noch werden soll. Wie stark Menschen unter den Folgen leiden werden. Wie viel Unterstützung sie dabei erfahren werden. Wie viel Raum rassistische Parolen einnehmen werden können, mit wie viel Nachdruck rechte Gewalt verfolgt wird, inwiefern und wie weit Strukturen aufgebrochen werden, ob Deutschland in Zukunft inklusiver, solidarischer und gerechter sein kann – über all das und noch viel mehr wird diese Wahl – und wirst DU mit DEINER STIMME – (mit)entscheiden. Dies gilt auch, wenn du dich dazu entschließt, deine Stimme nicht zu nutzen und nicht wählen zu gehen.

Die zur Ja/Nein-Frage verkommene Positionierung zur Stimmabgabe an der Bundestagswahl 2021 ist nicht nur Resultat einer Gesellschaft, die “aus den Vollen schöpft”. “Wählen – ja oder nein?” – sich diese Frage stellen zu können, ist auch Ausdruck einer äußerst privilegierten Situation: weil die vorherrschenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen die Lebensumstände privilegierter (Nicht-)Wähler*innen bekräftigen und deren unbeschwerte Bequemlichkeit bestärken. “Ist doch alles gar nicht so schlimm.” Die Entscheidung, nicht wählen zu gehen, ist  dominantes Festhalten an und Bekundung der eigenen, privilegierten Position im vorherrschenden System!

Dies hat Folgen für dich, mich, uns, das Leben aller und einzelner Menschen in Deutschland. Und um diese Leben muss es gehen, sollte es doch immer gehen!? Wer kann sich wie und wo öffentlich äußern? Wem wird zugehört – und geglaubt? Wer hat – in Anlehnung an Gayatri Spivak – eine Stimme? Diese Fragen sind auch heute aktuell und gerade zur Bundestagswahl greifbare Praxis. 

Auf Twitter beispielsweise ruft @zuherjazmati regelmäßig dazu auf, solidarisch mit Menschen zu wählen, die nicht Teil der Mehrheitsgesellschaft sind, deren Perspektiven in politischen Diskussionen oft ungehört bleiben, die von Diskriminierung und/oder Gewalt betroffen sind. Wenn in einigen Tagen die Wahlkabinen öffnen, sollten wir* als “zur-Wahl-Berechtigte” also an Menschen denken, die diese “Berechtigung” nicht besitzen. Und auch an Menschen, die zwar wahlberechtigt sind, aber außerhalb der Dominanzgesellschaft stehen. An Geflüchtete, an queere Menschen, an jene, die von rechter, rassistischer, antisemitischer Gewalt betroffen sind, wie @zuherjazmati deutlich macht. Und auch an Menschen, die sich fragen, wie ihr Aufwachsen und Leben in einer Welt aussehen wird, die aus den Fugen geraten ist. Es liegt in unserer* Verantwortung, solidarisch mit und für Marginalisierte, für Menschen, die nicht repräsentiert, nicht gehört oder gesehen werden, für Menschen, welchen der (wissensbasierte) Zugang zur Wahl fehlt oder verwehrt wird, zu wählen. Um das ohrenbetäubende Dröhnen eines patriarchal-kapitalistischen Egos etwas leiser werden zu lassen.

Deshalb: Geht wählen und wählt solidarisch!


*Menschen über 18 Jahre mit deutscher Staatsbürgerschaft

Augsburger Friedensfest*21

# Fürsorge

Foto: privat

Familiengeschichten

Kinder, die nicht ihre sind. Eine Familie, zu der sie nie so richtig gehört. Ein Haushalt, für den sie sorgen muss. Dieser Text erzählt von einem Leben, das oft im Verborgenen stattfand. Er beschäftigt sich mit Familienstrukturen, mit dem Sorgen um und für andere und mit der Frage, wie Care-Arbeit in weibliche Biografien eingeht. Im Mittelpunkt steht eine Frau, die ich selbst nie kennengelernt habe, jedenfalls nicht bewusst. Ich muss noch sehr klein gewesen sein, als sie gestorben ist. Der Beitrag entstand aus Gesprächen und Erinnerungen. Vieles musste ich mir zusammentragen, darauf schließen, vermuten – oder gänzlich meinem Vorstellungsvermögen überlassen. Er ist kein Tatsachenbericht. Will er auch gar nicht sein. Er ist geprägt von all der Ungewissheit, dem Schweigen, dem stillen Übereinkommen. Vielleicht auch von Scham. Es ist eine persönliche Reflexion über einen Teil meines eigenen Aufwachsens, von dem ich bisher nichts wusste. Womöglich nichts wissen wollte. Eine Reise in die Vergangenheit.

Ich habe dafür in meinen Familienannalen geblättert, bin ganz tief hinabgestiegen, auf der Suche nach einem Namen, einem Leben, einer Geschichte – und auf leere Seiten gestoßen.

Natürlich habe ich keine Annalen über die Geschichte der Familie. Wenn ich sie hätte, wenn ich Eltern gehabt hätte, deren Stammbaum feinsäuberlich in dicken, in ledergebundenen Büchern stehen würden – so stelle ich mir das jedenfalls vor – hätte ich vermutlich ein anderes Leben geführt.  Wäre vielleicht in den Winterferien zum Skifahren unterwegs gewesen. Hätte nicht gleich den Kopf eingezogen, wenn Kommiliton*innen in den ersten Semestern wichtige Worte verwendeten, die ich noch nie zuvor gehört hatte. Aber sei es darum. Ich wollte euch, lieber Leser*innenschaft, nur dieses Bild vor Augen führen. Nur für den Effekt. Also, lasst euch kurz darauf ein. Dicke Wälzer, kunstvoll dargestellte Stammbäume, Kerzenschein, auf dem Tisch verteilt auch noch ein paar alte Fotos, schwarz-weiß. Hier, das war mein Urgroßvater mütterlicherseits und da, ja schaut genau hin, diese Frau hat er geheiratet, hier ist sie. Das hier waren ihre Kinder. Sehen sie nicht hübsch aus? Und auf der nächsten Seite – nichts. Da steht nichts mehr. Leer. Könnt ihr es euch vorstellen?

Was ist das überhaupt für ein Bild? Wo ist aller machtkritischer Anspruch hin? Eurozentrischer, patriarchaler, heteronormativer Bullshit. Scheiß auf die Annalen, scheiß auf das alles – Decolonize family structures – ey!

Dann stellt euch eben was anderes vor. Ist mir doch egal, welche Bilder ihr vor Augen habt. Aber die leeren Seiten, die Unsichtbarkeit, die bleiben. Die gehen nicht weg. Ich fange jetzt einfach an.

„Wer genau war diese Frau denn?“, frage ich meine Mutter. „Ich weiß überhaupt nichts über diese Person.“ Sie eigentlich auch nicht, meint sie. Nett sei die gewesen, immer freundlich, hat einem immer etwas zu essen gemacht, wenn man Hunger hatte. Und auch wenn man keinen hatte. Hat sich um alle gekümmert. Es wäre eigentlich nie wirklich darüber geredet worden, warum das so sei. Naja, eigentlich sei insgesamt wenig geredet worden. Jedenfalls über Vergangenes.

Meine Mutter spricht in ihr Handy, während ich auf der anderen Seite der Leitung meine Gedanken zu ordnen versuche. Wir haben uns zum Telefonieren verabredet. Ich hätte ein paar Fragen an sie, habe ich ihr angekündigt. Ich weiß nicht, warum ich genau jetzt danach frage. In den letzten Tagen habe ich mich mit dem Thema Care-Arbeit beschäftigt. Darüber nachgedacht, was es darüber zu sagen gäbe. Was schon gesagt wurde. Wollte etwas darüber schreiben, etwas Persönliches. Und da war sie plötzlich: diese Leerstelle in der Familiengeschichte. Es war mir immer etwas suspekt. Ich habe mich dabei seltsam gefühlt, wenn mir diese Augen auf den Familienfotos entgegenschauten. Und die Antworten meiner Verwandten trugen nicht dazu bei, mir dieses Gefühl zu nehmen. Eigentlich wusste ich nur drei Dinge von dieser Frau: Sie war eine Verwandte meiner Urgroßmutter. Sie hat in deren Haus gewohnt. Und sie machte den Haushalt.

Meine Urgroßmutter floh nach Ende des zweiten Weltkriegs aus dem heutigen Tschechien nach Bayern. Mit einem kleinen Kind, meinem Großvater, unehelich, der Vater den Anderen unbekannt – ein weiteres Thema, über das in der Familie nicht geredet werden sollte. Mit ihnen waren auch ihre Mutter und ein Onkel gekommen. Und eine Tante, um die es hier gehen soll.

Viel mitnehmen hätten sie nicht können. Sind mit leeren Händen angekommen. Aus ihrem Dorf waren sie vertrieben worden. Nun hieß es neu anfangen. Nur wie? Nach der Ankunft wurden sie auf einem kleinen landwirtschaftlichen Hof einquartiert und arbeiteten hart. Später lernte meine Urgroßmutter einen Mann kennen. Sie heirateten. In das neue Haus, auf das man so stolz war, das man selbst gebaut hatte, mit Schweiß und Tränen, wurden alle aufgenommen. Während beide Eheleute berufstätig waren, half die Tante im Haus. Zog ihren Sohn mit groß, putzte, kochte. Als das zweite Kind geboren wurde, hat man alle Unterstützung gebraucht. Und ja, sicher, auch auf die Enkelkinder könne die Gute aufpassen. Ist ja sowieso daheim. So hübsche Kinder, so brav. Die anderen müssen ja Geld nach Hause bringen. Da müssen eben alle mithelfen.

Und es halfen alle mit. Bis sie alt und faltig war, hielt diese, mir so fremde Frau meiner Urgroßmutter und ihrer Familie den Rücken frei. Dann zwei, drei Jahr Altersheim. Später Beisetzung im Familiengrab. Wenn sie ehrlich sein solle, meint meine Oma, habe sie das so empfunden: „Jetzt kann sie nicht mehr arbeiten, jetzt braucht man sie nicht mehr“.

So richtig dazu gehört habe die Greisin nicht. Zum Essen habe sie sich immer auf ihr Zimmer zurückziehen sollen, erinnert sich meine Mutter, die oft zu Besuch bei den Großeltern war. „Die haben sie ganz schön herumkommandiert.“ Ihr sei das falsch vorgekommen. Einmal habe man die alte Frau in den Keller geschickt, um Getränke zu holen. Meine Mutter schildert, wie sie selbst stattdessen aufgestanden sei. Als Kind habe sie ihren Freund*innen erzählt, die Frau wäre schon hundert Jahre alt. So alt sei sie ihr vorgekommen.

„Sie war halt einfach da. Mehr war da nicht.“ Als „guter Geist im Haus“ beschreibt meine Oma sie. Manchmal sei sie im Dorf spazieren gegangen. Meine Mutter kann sich hingegen nicht daran erinnern, dass sie das Grundstück überhaupt verlassen hätte. Von anderen Kontakten wissen beide nichts.

„Sie hat ihre Rente abgeben müssen und dafür ein Taschengeld bekommen.“

„Ein Taschengeld?“ Das macht mich wütend. Ich weiß nicht, wohin mit der Wut. Wie kann es sein, dass ich fünfundzwanzig Jahre alt werden musste, um mich aufrichtig dafür zu interessieren? Ich schlafe im gleichen Zimmer wie sie einst. Wo sie ihre Tage in einem kleinen Wohnraum verbrachte, ist heute mein Badzimmer.

Wütend sein allein reicht nicht. Dass die Frau nicht alleine hätte leben können, wird mir erzählt. Dass sie keinen Beruf erlernt durfte, noch nie außerhalb des Hauses gearbeitet hätte. Man nicht glaube, dass sie schreiben konnte. Sie nur wenig Rente bekommen habe. Was hätte sie sonst machen können? Ja, was sonst? Und die Kinder, die habe sie wirklich gerne gemocht. Hätte sich immer gefreut, wenn sie was zu tun hatte.

Ich versuche mir vorzustellen, was meiner Urgroßmutter durch den Kopf ging, wenn sie an ihre Tante dachte. Beide Frauen hatten nicht nur die Erfahrung der Vertreibung und Flucht geteilt, sondern auch die des Fremdseins – und die Erinnerung an die frühere Heimat. Und dennoch – man muss ja schauen, wo man bleibt. Wo soll sie sonst hin? Kann ja froh sein, dass sie hier wohnen kann. Hatten viel Glück. Jeder muss was leisten. So ist das. Anders geht es nicht. Von was sonst leben? War für uns auch nicht einfach. War nie einfach.

Die Sorge um und für andere zieht sich durch viele weibliche Biografien: Es wird Frühstück vorbereitet, Kinder gefüttert, kranke Menschen umsorgt, Familienangehörige gepflegt, andere getröstet, ihnen Mut zugesprochen, Wäsche gewaschen, Flure geschrubbt, gekocht, Kinder ins Bett gebracht und dann – dann beginnt am nächsten Tag alles von vorn. Unsere Gesellschaft baut auf diese – oft unbezahlten – Tätigkeiten. Ohne sie ginge nichts. Diese als Care-Arbeit bezeichneten Abläufe sind die Basis allen gesellschaftlichen Lebens und werden dabei gleichzeitig allzu oft übersehen oder nicht ausreichend honoriert.

Ein Großteil dieser Arbeiten wird von Frauen erledigt. Immer noch. Aus dem zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung von 2015 ging etwa hervor, dass Frauen in Deutschland täglich circa 52 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit aufwenden als Männer. Diese Differenz wird als Gender Care Gap bezeichnet. Befinden sich in einem Haushalt außerdem Kinder, ist diese Lücke besonders groß. Der zeitliche Mehraufwand liegt hier bei etwa 84 Prozent. Gerade berufstätige Mütter stehen daher oft vor der Frage, wie sie Erwerbsarbeit und Care-Verpflichtungen stemmen können. Für einige besteht die Antwort darin, Haus- und Familienarbeit an eine dritte Person weiterzugeben.

Und auch hier sind es wiederum Frauen, welche diese Aufgaben übernehmen. Meist unterbezahlt, meist unbeachtet, oft illegal. Und nicht nur in den Privathaushalten: Ob in Pflegeheimen oder Großraumbüros sind es oft geflüchtete Frauen oder Angehörige anderer marginalisierter Gruppen, die in Deutschland diejenigen Sorgetätigkeiten zu schlechtesten Bedingungen übernehmen, die sonst keiner machen will. Es gibt ein Wort dafür: Ausbeutung. „Je mieser die Arbeit bezahlt wird, je illegaler oder je niedriger der Status dieser Arbeit ist, desto häufiger findet man genau dort Frauen, die Nachnamen tragen, die der AfD ein Dorn im Auge sind“, so die Schauspielerin und Autorin Mateja Meded. Die Illegalität vieler Tätigkeiten im Care-Sektor, auf welche Arbeitgeber*innen und Firmen bauen, bietet hierfür einen perfekten Deckmantel. Soziolog*innen wie Ursula Apitzsch und Marianne Schmidbaur sprechen dabei aufbauend auf den Arbeiten der Berkeley-Professorin Arlie Russell Hochschild von der „Hinterbühne des globalen Marktes“, auf der Sorge-Dienstleistungen verkauft und gekauft werden – weitgehend ohne staatlichen Eingriff.

Die Frau, auf deren Spuren ich mich gemacht habe, war in vielerlei Weise privilegiert. Auch wenn die bayerischen Dorfgemeinschaften nicht freundlich auf die vielen Menschen reagierte, die ab 1944 durchs Land zogen – auf der Flucht vor dem näherkommenden Krieg, vor Armut und Hunger, vertrieben oder auf dem Heimweg nach der Verschleppung durch die Nazis – sie war eine weiße Frau, mit einem Familiennamen, der in der Nachbarschaft nicht weiter auffiel.

Es ist wichtig, darauf aufmerksam zu machen. Es ist wichtig, sich darüber bewusst zu sein, dass es einen Unterschied macht. Dass Marginalisierung wenig Türen offen lässt. Dass diese Gesellschaft Möglichkeiten eingrenzt, Zwänge und Abhängigkeiten schafft. Für jeden. Für manche jedoch stärker als für andere.

Die Erfahrung, von anderen abhängig zu sein, zieht sich auch durch die hier erzählte Geschichte. Denn sie ist eine, die viele Frauen nur allzu oft machen:

Auch meine Urgroßmutter wurde zu einer Entscheidung gedrängt: Verpflichtungen abgeben, anderen aufladen – oder etwas opfern. Eigene Wünsche vielleicht, Träume. Womöglich auch das eigene Überleben, satt werden, genug haben.

Sie wurde aufgenommen. Verliebte sich vielleicht. Heiratete den Mann. Sie bauten ein Haus, bekamen ein Kind, vergrößerten das Haus. Eine Festanstellung, das eigene Geld. Freitagabend Freunde zu Besuch, sonntags in die Kirche. Und dann noch der Frauenverein. Sie lebten gut. „Wir können froh sein, dass wir hier sind“, habe die Urgroßmutter manchmal gesagt.

Die Frau, um die es in diesem Text ging, konnte sich kein eigenes Leben aufbauen, nicht Fuß fassen. Das gute Ende, diese vermeintliche Erfolgsgeschichte, sie war nicht ihre.

Ich weiß nicht, ob sie glücklich damit war. Vielleicht war sie es. Vielleicht wollte sie es so. Womöglich sah sie aber auch schlicht keine andere Option für sich.

Care-Arbeit bleibt oft unsichtbar. Sie wird einfach gemacht. Jeden Tag, überall. Die Geschichte, die ich zu erzählen versucht habe, soll das Unsichtbare in den Blick rücken. Auf dass wir sie sehen. Auf dass wir darüber sprechen. Auf dass wir nachfragen.

Augsburger Friedensfest*21 #Fürsorge – Who cares?

Un-Sichtbare Care-Arbeit

Die meisten im privaten Haushalt tätigen Personen sind unbezahlt. Die Arbeit geschieht in der Regel im eigenen Haushalt, dem der engsten Familie oder eines hilfsbedürftigen Familienmitglieds. Doch wer macht diese unbezahlte Arbeit?

Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2018 haben Männer* pro Woche 7 Stunden mehr Freizeit als Frauen*. Das liegt v.a. daran, dass Frauen* mehr im privaten Haushalt arbeiten und sich zudem häufiger ehrenamtlich engagieren.

Im Rahmen des Augsburger Friedensfestes*21 gehen wir mit unserer Fotoreihe auf diese sozialen Problematiken der Care­Arbeit und vor allem deren Un­Sichtbarkeit ein und setzen sie künstlerisch in Szene. Ziel ist es, auf private Care­Arbeit und damit zusammenhängende gesellschaftliche Vorstellungen und Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen. Die Bilder und Texte findest du hier: https://postcolonialrealities.home.blog/who-cares/

Die Aktion soll auch zum Mitmachen anregen und dadurch die Belange verschiedener Menschen sichtbar machen.

Ihr wollt selbst mit einem Foto (und einem kurzen Text dazu) Care-Arbeit sichtbar machen? Dann sendet uns eure Werke gerne per Mail zu: postcolonialrealities@outlook.de und werdet Teil unserer Online-Galerie.


Repräsentation nationaler Fußballmannschaften

von Marvin Erdner


Ich zähle mich als weißer, europäischer Cis-Mann zu der privilegiertesten Bevölkerungsgruppe überhaupt. Die einzigen Berührungspunkte mit Diskriminierung musste ich selbst nur erleben, da ich offen zur LGBTQAI*-Community gehöre. Dabei ist mir aufgefallen, dass Diskriminierung sehr subtil auftritt und nicht zu selten aus den ‘eigenen Reihen’ kommt. Es gibt scheinbar nicht nur Vorurteile gegenüber einer Minderheit von außenstehenden Personen, sondern auch Klischees von anderen Diskriminierten, sobald die eigene Person nicht ins idealisierte Profil des Randgruppenmitglieds passt. Für Fußball an sich interessiere ich mich übrigens nicht besonders, allerdings sehe ich es trotzdem als sehr vielversprechend, Diskriminierung im Massensport zu untersuchen. 


alle Fotos: Pixabay/Unsplash

Triggerwarnung: Reproduktion rassistischer, stereotyper Äußerungen


Der Sommer von 2006 dürfte vielen Fußballfans* hierzulande ein Begriff sein. Zwar wurde die deutsche Nationalmannschaft[1] der Männer* bei dieser WM nur Dritte und musste sich im Halbfinale Italien geschlagen geben, allerdings fand das internationale Turnier[2] nach 32 Jahren wieder in Deutschland statt und sogar der Slogan drückte es bereits aus: Wir[3] hatten als Gastgeberland die Welt zu Gast. Daher war es auch kein Wunder, dass gefühlt alle im absoluten Fußballwahn waren. Ich fand damals, mit elf Jahren, den Sport genau so langweilig wie jetzt. Allerdings fand ich das Panini-Stickerheft höchst interessant, welches meine Oma mir geschenkt hatte: Jede Woche bekam ich von ihr ein kleines Paket mit fünf Stickern, die ich dann in besagtes Heft einkleben konnte – so packte dann wohl auch mich das Fußballfieber – wenn auch eher analog und nicht im TV.

Bei genauerer Betrachtung des Kaders von 2006 fällt auf, dass die Namen von damals auch heute noch eine gewisse Bekanntheit haben: Oliver Kahn, Michael Ballack, Lukas Podolski, Miroslav Klose, etc.[4] Diese Personen dürften auch den größten Sportmuffeln durchaus bekannt sein. Mir waren die Namen ehrlich gesagt sehr zweitrangig, denn für mich war es die größte Herausforderung, die selbstklebenden Bildchen möglichst gerade auf die Seiten zu heften. Dass zwei Nationalspieler phänotypisch nicht zu den anderen Männern des Teams passten, fiel mir nicht auf. Doch dann sagte meine Großmutter etwas, das meine idealistische und simplifizierte Kinderwelt nachhaltig prägte: „Schon witzig, dass auch zwei Schwarze für uns Deutsche spielen dürfen!“ Was daran jedoch witzig war, erschloss sich mir nicht.

Zugehörigkeit innerhalb, mit oder durch eine Mannschaft

Ab dieser für mich damals belanglosen Unterhaltung änderte sich schlagartig mein Blick auf die Welt der Fußballmannschaften. Ich befasste mich unterbewusst damit, wie die meisten Spieler*innen aus bestimmten Nationalmannschaften aussahen. Natürlich hatte meine Oma keine böse Absicht mit dieser Aussage, allerdings verstand ich ziemlich gut, dass die Zugehörigkeit der zwei Spieler* Gerald Asamoah und David Odonkor zum Nationalkader bei ihr für eine gewisse Verwunderung sorgte. Aus heutiger Sicht kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass dieser Satz sicherlich nicht per se rassistisch-ideologisch fiel, aber Raum dafür gab, rassistische Denkweisen zu begünstigen. Durch Aussagen wie die meiner Oma wird nämlich auch innerhalb derselben Mannschaft eine Differenzierung gemacht, die allein auf der phänotypischen Ausprägung körperlicher Merkmale fußt und doch wirklich nichts über die Leistung, den Erfolg oder gar den Charakter des*der Spielers*in aussagt.

Verglichen mit dem Wunder von Bern von 1954 ist aus einer konventionellen und fast schon verstaubten Weltanschauung sicherlich bemerkenswert, dass Spieler*innen eine Mannschaft repräsentieren, die nicht den zeitgemäßen Vorstellungen der Zuschauer*innen entspricht. Zugegeben, in den Nachkriegsjahren, als das ‘Dritte Reich’ noch nicht lange her war und Deutschland durch die Teilung ohnehin schon stark ideologisiert wurde, verwundert es nicht wirklich, dass die Auswahl der Fußballnationalmannschaft nicht wirklich progressiv ablief. Aber von einem Kader im Jahr 2006 bzw. dessen Akzeptanz in der Gesellschaft darf das wirklich erwartet werden. „Auf dem Fußballplatz – da ist die Welt noch in Ordnung!“ – Das sagt zumindest eine alte Fußballweisheit. Wenn es wirklich nur um den bloßen Sport ginge, dann wären gesellschaftskritische Tendenzen wahrscheinlich kein Thema. Allerdings interessieren sich inzwischen auch viele Anhänger*innen von Sportler*innen für das Privatleben der Spieler*innen und eine Auskunft über die Kindheits- und Jugendzeit gehört zur Imagepflege der Fußballprominenz. Bei der Europa- oder Weltmeisterschaft im Fußball läuft es soziopsychologisch nicht wirklich anders ab als bei den Olympischen Spielen oder auch dem Eurovision Song Contest: Eine Person oder eine Gruppe von Personen ‘repräsentiert’ in diesem Moment eine ganze Nation oder ein Land. Zwangsläufig ist es nicht möglich, die Vielfalt der heutigen Gesellschaft durch diese kleine Zahl an Repräsentant*innen politisch korrekt und nicht wertend abzubilden. Beim europäischen Gesangswettbewerb wird dann auch musikalisch, modisch oder durch das Bühnenbild stark auf Vorurteile gesetzt. Zwar mögen die Stereotype auch teilweise bei manchen Anteilen der Bevölkerung zutreffen, aber es ist irreführend und fatal, alle Angehörigen einer Nationalität derart über einen Kamm zu scheren. Dies führt nämlich zu einer Reproduktion von Vorurteilen auch außerhalb dieser Gruppe.

Beim Sport fallen natürlich Nationaltrachten und (stereo)typische Klänge weg, allerdings können immer noch die Athlet*innen miteinander verglichen werden. Dabei werden nicht zu selten rassistische Strukturen reproduziert, welche über die Hautfarbe versucht werden zu legitimieren. Bei den Olympischen Spielen ist es erstaunlich, wie sehr sich das Olympische Komitee (engl. IOC) gegen angekündigte Gesten des Protests stellt: Die amerikanische Welt-Fußballmeisterin Megan Rapinoe, die auch von Team USA[5] Rückendeckung erhält, kündigte für die kommenden Sommerspiele in Tokio in diesem Jahr an, trotz des Verbotes Zeichen gegen Rassismus setzen zu wollen.[6] Das Komitee hingegen beruft sich auf die Regel 50, die seit 1968 offensichtliche Gesten im Einsatz gegen Diskriminierung verbietet. Damals hob der Afroamerikaner und Olympiasieger Tommie Smith bei den Sommerspielen in Mexiko-Stadt seine geballte Faust, um auf die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung in den USA aufmerksam zu machen. Das IOC beendete sofort im Anschluss seine vielversprechende Karriere und wollte ihm gar nachträglich den Sieg entziehen.[7] Inzwischen räumten die Vereinigten Staaten ein, damals nicht im Sinne der Gleichbehandlung gehandelt zu haben und stärken nun Athlet*innen wie Rapinoe für künftige Wettbewerbe.[8]

Aufflackernder Patriotismus

Die UEFA-Europameisterschaften sowie die FIFA-Weltmeisterschaften sind dahingehend skandalfrei. Allerdings sollte auf den Aufreger 2018 während der WM in Russland verwiesen werden, als öffentlich darüber diskutiert wurde, ob Nationalspieler die Nationalhymne vor einem Länderspiel auch zwingend mitsingen müssen. Der damalige Spieler Mesut Özil wurde dabei beobachtet, wie er nicht – wie seine Teamkameraden – auch die Lippen leise mitbewegte, sondern einfach in Gedanken versunken war. In einem Interview stellte er klar, dass er in der Zeit betete und daher nicht mitsingen könne.[9] Für viele Fußballfans ein absoluter Eklat. Ein Repräsentant der eigenen Nationalmannschaft, der ein patriotisches Symbol nicht würdigte. Wahrscheinlich wäre es gar nicht zu einem derart reißerischen Dilemma gekommen, hätte der betroffene Spieler z. B. Philipp Lahm geheißen und hätte er nicht vorher den türkischen Regierungschef Erdoğan getroffen. Ein vermeintliches unpatriotisches Verhalten kann eben sehr viel schneller angeprangert werden, wenn der vermeintliche Täter schon von Rassismus betroffen ist: Viele Fans sahen in dem unkonventionellen Verhalten Özils Ignoranz, Desinteresse oder gar vorgeheuchelten Nationalstolz, der die tatsächliche Zugehörigkeit zum Islam verstecken würde. In einem Moment des gesellschaftlichen Zwangs, in dem ein Fußballspieler*sich klar zu seiner Nationalität bekennen muss, zu beten, schien für viele Personen intolerabel.

Allerdings wurde in der Debatte vergessen, dass der bloße Akt des Gebets, das heißt in jenem Augenblick seinem Glauben nachzukommen, auch die deutsche Kultur repräsentiert. Laut einer Umfrage der Bundeszentrale für politische Bildung[10] bezeichnen sich nur 26,9 % der in Deutschland lebenden Personen als Atheisten, Agnostiker oder „nicht gläubig“. Alle anderen Personen fühlen sich einer Glaubensgemeinschaft zugehörig. Daher verwundert es schon sehr, dass es als untypisch und verwerflich gewertet wird, wenn ein Repräsentant der deutschen Nationalmannschaft ein Verhalten zeigt, welches 73,1 % der Bevölkerung zumindest teilweise bekannt vorkommen sollte. Dieser Aufreger zeigt deutlich, dass es einen unmittelbaren Verhaltenskodex gibt, wie sich ein „guter Fußballer“ als Repräsentant der Nation zu verhalten habe. Den Text der Nationalhymne kennen laut einer neuen Umfrage von 2021 lediglich 47 % der Deutschen.[11] Daher erhält die Forderung nach einem prototypischen Repräsentanten als Sänger der Nationalhymne des eigenen Landes einen faden Beigeschmack. Deutschland und der Patriotismus – niemals „darf“ Deutschland scheinbar so patriotisch sein wie zu Zeiten sportlicher Rivalitäten. Aufgrund der dunklen Vergangenheit Deutschlands zeigt sich dieses gewöhnlicherweise nicht besonders stolz. Das scheint zu EM-Zeiten jedoch anders zu sein: Überall werden Flaggen gehisst, Gesichter werden mit schwarz-rot-goldenen Streifen geschminkt und die Wir-Form wird zur geläufigen Erzählform des vergangenen Spiels sowie dessen Ergebnisse. Außerdem ist es auch wieder die Zeit der 82 Millionen Bundestrainer*innen, denn schließlich weiß so mancher Fan* sowieso besser über die Aufstellung, Taktiken und Auswechslungen Bescheid als der gute Herr Löw. Versemmelte Torchancen, nicht angenommene Pässe und nichtverwandelte Ecken – alle Zuschauer*innen könnten es besser als Neuer, Müller und Goretzka.

Zwar ist es schön, ein wachsendes Zusammengehörigkeitsgefühl mitzuerleben, allerdings ist es fraglich, wieso ausgerechnet zu Zeiten von Sieg und Niederlage die Vergangenheitsbewältigung eine solch untergeordnete Rolle spielt. Während Welt- oder Europameisterschaften bekommt der Sieg der Nationen des Globalen Nordens gegen ihre Kontrahenten aus dem Globalen Süden eine doppelmoralische Komponente: Schließlich können diese Staaten ohne die finanziellen Mittel bspw. der UEFA gar keine Fördermaßnahmen und die notwendige Infrastruktur aufbauen und keine Starspieler*innen ausbilden. Auf diese Weise bleiben die Siegprämien und Gewinne durch Übertragungsrechte und Werbung immer in den ohnehin schon erfolgreichen Fußballnationen. Im Grunde werden die meisten asiatischen und afrikanischen Mannschaften instrumentalisiert, damit der Wettbewerb möglichst international wirkt, aber die Endrunden werden dann schließlich wieder unter den europäischen Teams ausgetragen. In der Europameisterschaft findet dieses Ungleichgewicht auf Spielebene zwar nicht in einem so großen Rahmen statt, allerdings reichen sich auch hier die wohlhabenden Nationen den Pokal weiter und die wirtschaftlich ausgebeuteten Länder bleiben sieglos.[12]

Besonders gute Fußballspieler*

Viele eingefleischte Fans* werden jetzt sicher widersprechen und betonen, dass es beim Fußball nicht per se ums Verlieren geht, sondern eher um den Sieg. Allerdings befasst sich die Rassismusforschung auch damit, dass vermeintlich positiv konnotierte und „nett gemeinte“ Attribute für gewisse Nationalitäten oder Länderzugehörigkeiten ebenso einen Weg für rassistisches Denken ebnen können. Aussagen wie „Die Brasilianer sind eh gut im Fußball!“, „Die Spieler* aus Ghana sind die Schnellsten!“ oder „Alle Italiener sind sowieso sehr sportlich!“ reproduzieren Vorurteile – dabei ist es irrelevant, ob diese positiv oder negativ gemeint werden. Die Konsequenz dieser vermeintlichen Gefälligkeiten ist im Umkehrschluss nämlich, dass alle anderen Nationalitäten nicht diese ‘positive Eigenschaft’ tragen. Zum einen fördert dies eine leicht zu kippende Erwartungshaltung bei den Rezipient*innen der Aussagen, zum anderen degradiert es wiederum andere Nationalidentitäten.

Dieser sogenannte „Positive Rassismus“ wird in der Wissenschaft ebenso scharf kritisiert wie ‘klassischen Formen’ von Diskriminierung. Im Endeffekt ist es auch nicht zielführend anzunehmen, dass bejahende und glorifizierende Verallgemeinerungen dazu führen könnten, dass verneinende und ausgrenzende Anfeindungen verschwinden. Das Schubladendenken muss wenn dann ganz aufhören. Im anglophonen Sprachraum ist bei diesem Phänomen oft vom Benevolent Prejudice die Rede. In Abgrenzung dazu entstand auch der Ausdruck Reverse Racism, der oft mit „Umgekehrten Rassismus“ übersetzt wird. Hierbei werden bewusst Menschen ausgeschlossen, die historisch gesehen die privilegierte Gruppe darstellten.[13] An dem Beispiel der Nationalmannschaften würde diese Gegenbewegung dann also bedeuten, einen Kader aus Personen einzuberufen, die früher als „nicht geeignet“ gegolten haben. Allerdings bleibt es höchst fraglich, ob im geldgesteuerten Fußballsport eine sogenannte Quote für von der Dominanzgesellschaft Exkludierter Sinn machen würde oder gar umsetzbar ist.[14] In der Literatur (wie z. B. in Bonilla-Silva, Eduardo & Forman) zumindest sind derartige positive Maßnahmen, welche die Diskriminierung eindämmen sollen, überaus umstritten: „Farbenblindheit erlaubt es Weißen, nichtrassistisch zu erscheinen, ihren privilegierten Status zu erhalten, Schwarzen die Schuld für ihren niedrigeren Status zu geben und jeden institutionellen Ansatz – wie affirmative Maßnahmen – zu kritisieren, der Ungleichheit zwischen ethnischen Gruppen verringern soll.“[15]

Können zwei Dutzend Männer eine ganze Nation vertreten?

Was bedeutet eine globalisierte Gesellschaft mit vermeintlicher Vielfalt also nun für die Weltanschauung von in Deutschland aufwachsenden Kindern, wenn diese kleine Porträts von Spielern* der deutschen Nationalmannschaft in ihre Heftchen kleben? Immerhin gibt es Fortschritte, was die Auswahl der Repräsentanten der Nationalelf angeht. Jedoch scheinen Multikulturalität und Weltoffenheit noch nicht in den Köpfen der Fans* angekommen zu sein. Ich bin mir sicher, dass ich in jedem Fall irgendwann darauf aufmerksam gemacht worden wäre, dass es zwei SchwarzeFußballer zum Einkleben in mein Sticker-Heft gab. Diesen Gedanken hätte also auch jemand anderes mit mir teilen können. Allerdings scheint es – nun über zehn Jahre später – immer noch eine Seltenheit zu sein, Deutschland repräsentieren zu können, sofern der Phänotyp nicht den klischeebehafteten weißen Vorstellungen des Publikums entspricht.

Bei der aktuellen EM spielten übrigens vier SchwarzeDeutsche für die Nationalmannschaft Deutschlands.[16] Ein wichtiges Auswahlkriterium für einen Kader ist bei vielen Sportwettbewerben, dass die Athlet*innen in dem zu repräsentierenden Land geboren sind und/oder deren Staatsbürgerschaft haben. Spätestens da ist die Frage hinfällig, ob einer der Spieler*innen die jeweilige Nation vertreten darf. Wichtiger als die pure Frage der Repräsentation der Mannschaftsmitglieder durch ideologisierte und abstrakte Fantasien ist ohnehin die Frage, wie die Fan*gemeinschaft so aufgeklärt werden kann, dass es keine Rolle mehr spielt, wie „deutsch ein deutscher Fußballspieler*“ sein muss oder sein darf. Viele Fußballer*innen berichten immer wieder von unterschwelligen und teilweise auch sehr direkten Anfeindungen auf Grund ihrer zugeschriebenen Herkunft. Wie gesagt ist ein Umdenken jedoch schwierig, wenn die eigene Identifikation mit dem Sport, das Prestige der Siegenden sowie patriotische Verhaltensweise durch die Harmlosigkeit des deutschen ’Volkssports Nummer 1’ verherrlicht werden und die Fans* sich der von ihnen reproduzierten sozio-psychologischen Gefahr nicht bewusst sind.

Ein Nationalkader besteht immer noch überwiegend aus etwa 25 jüngeren, sportlichen, heterosexuellen cis-Männern, die aus Leistungsgründen keine Behinderung haben dürfen. Daher ist eine vollumfassende Repräsentation des ganzen Landes durch diese kleine Gruppe eine wahre Utopie. Die Fußballmannschaft spiegelt lediglich das wider, was die Nation momentan im Rahmen vorherrschender Standards im Fußball leisten kann – nicht mehr und nicht weniger.


[1] Der Artikel benutzt die Begrifflichkeiten „Nation“, „Staat“ und „Land“ synonym miteinander, obwohl diese auch deutlich voneinander abzugrenzen sind. Im Falle des Vereinigten Königreiches als politische Einheit wird daher der Einfachheit halber angenommen, dass die vier Mannschaften von Schottland, England, Nordirland und Wales je ihre Nation vertreten. Ein gesamtbritisches Fußballteam gibt es hingegen nicht und daher sollte auch nicht von „Repräsentation des Landes“ oder des „Staates“ die Rede sein. Andere Möglichkeiten der Repräsentation wie „Völker“ oder „Kulturen“ werden ebenso vernachlässigt.

[2] Der gesamte Artikel befasst sich mit der Fußballwelt- oder Europameisterschaft der Herren. Rassistische Strukturen wirken unabhängig des Geschlechts, auch im sportlichen Pendant der Damen.

[3] Die Wir-Form meint hier die Gesamtheit der in Deutschland lebenden Personen, die umgangssprachliche als „Deutsche“ gelten.

[4] Informationen über den Kader von weltfussball.de/teams/deutschland-team/freundschaft-2006/2/ (Letzter Aufruf am 27.06.2021)

[5]  Das „Team USA“ entspricht dem „Deutschen Olympischen Sportbund“ in den USA.

[6] Siehe Redaktionswerk Deutschland: rnd.de/promis/rassismus-fussballerin-megan-rapinoe-will-trotz-verbot-bei-olympischen-spielen-in-tokio-protestieren-HD7BJYN655UORPYAI57V5WXXR4.html (Letzter Aufruf am 27.06.2021)

[7] Siehe NWZ Online: nwzonline.de/sport/olympische-spiele-starke-us-ansage-anti-rassismus-protest-bei-olympia-erhofft_a_50,11,842391612.html (Letzter Aufruf am 27.06.2021)

[8] Siehe auch Spiegel Sport: spiegel.de/sport/olympia/anti-rassismus-protest-bei-olympischen-spielen-starke-ansage-aus-den-usa-a-a0af0b29-b691-40d9-bd55-8f6f18b68254 (Letzter Aufruf am 27.06.2021)

[9] Siehe Stern.de: stern.de/sport/fussball/wm-2018/mesut-oezil–darum-singt-er-die-nationalhymne-nicht-mit-8135136.html (Letzter Aufruf am 27.06.2021)

[10] Siehe Studie zu „Religion“ durch die Zentrale für bpb.de/nachschlagen/zahlen-und-fakten/soziale-situation-in-deutschland/145148/religion (Letzter Aufruf am 27.06.2021)

[11] Siehe Studie auf presseportal.de/pm/32522/1441256 (Letzter Aufruf am 27.06.2021)

[12] Bisher gewannen ausschließlich wohlhabende Staaten (gemessen an ihrem BIP) in Europa und Südamerika (4x Deutschland, 3x Italien, 2x Frankreich, England, Spanien, 5x Brasilien, 2x Argentinien, 2x Uruguay) die Weltmeisterschaft. Die Europameisterschaft gewannen bisher tendenziell reichere Länder sowie die nicht mehr existierenden Sowjetunion und ČSSR (also die Tschechoslowakei): 3x Spanien, 3x Deutschland, 2x Frankreich, Portugal, Niederlande, Griechenland, Dänemark, Italien).

[13] Vann R. Newkirk II. The Myth of Reverse Racism. The Idea of White Victimhood is increasingly Central to the Debate over Affirmative Action. The Atlantic: theatlantic.com/education/archive/2017/08/myth-of-reverse-racism/535689/ (Letzter Aufruf am 27.06.2021)

[14] Gerritzen, Nana. Ich hatte einen Exotenbonus. Die Zeit: zeit.de/gesellschaft/2018-08/diskriminierung-metwo-metoo-rassismus-sexismus-positiv-negativ (Letzter Aufruf am 27.06.2021)

[15] Bonilla-Silva, Eduardo & Forman, Tyrone A. “I Am Not a Racist But…”: Mapping White College Students’ Racial Ideology in the USA. 2000. https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/0957926500011001003

[16] Laut weltfussball.de/teams/deutschland-team/em-2020/2/ sind dies Antonio Rüdiger, Leroy Sané, Serge Gnabry sowie Jamal Musiala.

Die Reproduktion von rassistischen Ressentiments im Fußball

von Daniel Guggeis


Liebe Leser*innen, mein Name ist Daniel Guggeis, ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen und dazu bin ich weiß, männlich und cis. Aktuell arbeite ich als Sportjournalist, habe aber auch einen akademischen Hintergrund an der Universität Augsburg. Als weißer Europäer genieße ich Privilegien auf Grund eurozentrischer und rassistischer Denkweisen, die mir meiner Ansicht nach nicht zustehen und zudem andere Menschen benachteiligen. Deswegen will ich mich am Diskurs beteiligen und einen konstruktiven Teil beitragen, um unsere Gesellschaft diskriminierungsfreier zu gestalten. Als Sportjournalist und zugleich Beobachter und Konsument von Sportmedien ist mir nämlich aufgefallen, wie früh die Reproduktion rassistischer Ressentiments im Männer*-Fußball schon beginnt. Dieser Beitrag soll exemplarisch die Problematik aufzeigen, aber auch Lösungsansätze bieten.


Foto: flickr

Triggerwarnung! Der Text behandelt die Reproduktion rassistischer Ressentiments im Fußball und verweist, benennt und beschreibt aufgrund dessen eben jene.

„Say No to Racism“ betont die UEFA seit vielen Jahren in ihren großspurig angelegten Kampagnen gegen Rassismus im Fußball[1]. Rassistische Ausfälle wie „Affenlaute“ oder rassistische Beschimpfungen – insbesondere in Stadien – sind seit einigen Jahren zum Glück nicht mehr konsensfähig unter den Fans*. Dennoch gibt es weiterhin problematische Fanszenen und beim Kampf gegen Rassismus im Stadion sind wir noch nicht am Ende. Schwarze Fußballer* sind weiterhin Rassismus und Diskriminierung ausgesetzt. Wie sich Rassismus aktuell auf betroffene Spieler* auswirkt, was sich im Vergleich zu früher verbessert oder sogar verschlechtert hat, kann ich als weißer Europäer nicht beurteilen, denn ich bin in einer Beobachterposition und nicht selbst von Rassismus betroffen. Aber dass ein Fußballspiel nach beleidigenden Schmähungen gegen Mäzen Dietmar Hopp quasi abgebrochen wird, wohingegen es bei rassistischen Beleidigungen in Deutschland noch dazu kommen kann, dass der mit rassistischen Lautenbeleidigte Schwarze Spieler* mit Rot vom Platz geschickt wird (Fall Jordan Torunarigha), zeigt mir zumindest, wie viel Aufklärungsbedarf im Fußball besteht, wie viel Aufholbedarf der deutsche, aber auch der europäische Fußball hier noch hat.

Es braucht mehr Sensibilisierung für Rassismus im Fußball und die darf nicht erst bei verbalen Entgleisungen von Fans* beginnen, sondern muss schon viel früher ansetzen, und zwar beim Wording[2]. Als Sportjournalist und Beobachter der deutschen Sportmedienlandschaft fallen mir immer wieder rassistische Denkweisen über bestimmte Spieler*typen auf. So fiel der ehemalige deutsche Nationalspieler Steffen Freund am 29. November letzten Jahres in der Fußball-Talkshow „Doppelpass“ mit rassistischen Äußerungen negativ auf: In der Sendung ging es unter anderem um die Krisenstimmung bei Schalke 04 und die damals suspendierten Spieler* Nabil Bentaleb, Amine Harit und Vedad Ibisevic. Wozu sich Studiogast Steffen Freund folgendermaßen äußerte:

„Nabil Bentaleb kenne ich persönlich [von] Tottenham Hotspur – war dort Spieler, ist dort groß geworden – unglaublich viel Talent. Einer der besten Spieler dann auch und im Endeffekt bei Schalke gelandet. Aber er ist französisch-algerischer Herkunft. Charakter – wenn sie den Kaderplaner haben, muss man wissen, dass da auch eine bestimmte Aggressivität, auch eine Disziplinlosigkeit schnell kommt, wenn er nicht derjenige ist, der gesetzt ist. Das muss man wissen auf Schalke – Malochen, das ist das allerwichtigste. Jeder Spieler muss bereit sein, sein Herz auszuschütten für den Verein. Dann bin ich auch bei Harit, auch er kann das natürlich nicht mit diesen Wurzeln. Also falsche Spieler gekauft. Nicht von der individuellen Klasse her, beide können Spiele entscheiden.“

Sport1 – DoPa – Doppelpass vom 29.11.2020 ab Minute 54:
https://www.youtube.com/watch?v=dhUptm3X7Y4

Dieser Vorfall ist für mich exemplarisch dafür, was im Umgang und auch im Wording in Bezug auf Spieler* falsch läuft: und zwar dass Spieler* nach ihrer Herkunft beurteilt werden. Hier müssen wir, also insbesondere weiße privilegierte Fußball-Fans*, ehemalige Spieler* oder Journalist:innen reflektieren, welche Worte sie benutzen, um Spieler* zu beschreiben. Steffen Freund hat sich am späten Nachmittag des Vorfallstages dann via Twitter für seine rassistischen Aussagen entschuldigt:

Die Entschuldigung selbst offenbart in meinen Augen ein falsches Verständnis von Rassismus. Sein Statement erinnert sehr an den von Claus Melter geprägten Begriff des sekundären Rassismus, denn der ehemalige Nationalspieler* reflektiert weder seinen internalisierten Rassismus noch übernimmt er Verantwortung dafür. Insbesondere als weiße Person muss ich mir meine Privilegien bewusst machen und anerkennen, dass wir in einer Gesellschaft leben, die postkoloniale und rassistische Verhältnisse reproduziert und unterstützt. Wir sind nicht alle Rassist*innen, ‘wir’ werden rassistisch sozialisiert und das Gesellschaftssystem marginalisiert Menschen mit anderer Hautfarbe. Rassistische Diskriminierung steht hier auf der Tagesordnung und auch derartige rassistische Aussagen tragen ihren Anteil dazu bei. Sich vermeintlich „missverständlich“ ausgedrückt zu haben ist für mich lediglich ein Kaschieren des eigenen rassistischen Denkens, welches nun mal auch im Fußball vorherrscht. Steffen Freund spricht unter anderem an, dass die Kaderplaner:innen Fehler gemacht haben, indem sie mit Bentaleb und Harit zwar individuell starke Spieler*, aber zugleich charakterschwache Spieler*typen geholt haben und bezieht das wiederum rein auf die Herkunft. Er reproduziert dadurch Rassismus.

Dass sowohl bei der Kaderplanung als auch beim Scouting von Spielern* auch auf die zugeschriebene Herkunft geachtet wird und dabei zugleich Rückschlüsse auf mögliches individuelles Verhalten gezogen werden, ist leider nichts Neues und nichts anderes als rassistisch. 2018 wurde ein Skandal beim französischen Klub Paris Saint-Germain aufgedeckt: Hier wurde über mehrere Jahre hinweg schon beim Rekrutieren der Jugendspieler die “Ethnie” erfasst, was in Frankreich verboten ist. Auch der Rassismus-Skandal am FC Bayern-Campus offenbarte eine rassistische Denkweise schon im Jugendbereich: Spieler* wurden auf Grund ihrer Herkunft beurteilt, abgelehnt oder in trainerinternen WhatsApp-Chats sogar offenkundig rassistisch beleidigt.

Dabei spielt oft nicht mal die nicht-deutsche Staatsbürgerschaft eine Rolle, wie viele Spieler* mit Migrationsbiografie beweisen, denn auch Spieler*, die in Deutschland, Frankreich oder England aufgewachsen sind und es bis ins Nationalteam schaffen, werden auf Grund ihrer zugeschriebenen Herkunft verurteilt oder angegangen. Das zeigen die Diskussionen immer wieder, wenn es um Spieler* wie Mesut Özil, Jérôme Boateng, Romelu Lukaku oder Mario Balotelli geht. Sie werden anhand anderer Maßstäbe beurteilt und haben, wie der Belgier* Lukaku selbst in einem starken Beitrag bei PlayersTribune beschreibt, schon früh mit rassistischen Erfahrungen kämpfen müssen:

When I was 11 years old, I was playing for the Lièrse youth team, and one of the parents from the other team literally tried to stop me from going on the pitch. He was like, “How old is this kid? Where is his I.D.? Where is he from?”

https://www.theplayerstribune.com/articles/romelu-lukaku-ive-got-some-things-to-say

Schwarzen Spielern* wird oft vorgeworfen, bei ihrem Alter zu schummeln und so zu betrügen. Auch der jüngste BL-Spieler* der Historie, Youssoufa Moukoko, wird immer wieder Opfer solcher Vorwürfe. Dahinter stecken klar rassistische Denkweisen: So sind vornehmlich weiße Fans* misstrauisch, dass ein Schwarzer Spieler* so viel besser sein kann als die weißen Spieler* im gleichen Alter, also muss da was falsch dran sein. Bei weißen Spielern*, welche ebenfalls körperlich weiter sind und dadurch im Jugendbereich ebenfalls Top-Leistungen bringen, gibt es solche Diskussionen jedenfalls nie. Auch die sozialen Netzwerke spielen bei der Verbreitung rassistischer Ressentiments eine große Rolle, denn auch dort werden viele Schwarze Spieler* angegangen. Sie fühlen sich von den Betreiber:innen dieser Plattformen im Stich gelassen. Erst im Mai gab es von zahlreichen Vereinen und Spielern* einen mehrtägigen Social-Media-Boykott gegen rassistischen Hate-Speech. 

Klar ist Rassismus und Hetze in sozialen Medien ein gesamtgesellschaftliches Problem, dennoch sehe ich hier auch den Fußball in der Pflicht, mehr zu geben als reine Kampagnenarbeit. Meiner Meinung nach kann der Fußball positiv genutzt werden, um auf solche Lebensrealitäten aufmerksam zu machen, zugleich Symptome früh zu behandeln und den Ursachen auf den Grund zu gehen. Denn in kaum einem Beruf treffen meiner Meinung nach so viele Menschen unterschiedlicher Herkunft aufeinander wie auf dem Fußballplatz. Zudem ist auch das Fußballstadion ein Ort der gemeinsamen Begegnung unterschiedlicher sozialer Milieus. Im Vorfeld zum Stadionbesuch gilt insbesondere für die, die es vermeintlich besser als Fans* wissen könnten – und zwar meine ich hier die Fußball-Expert:innen, egal ob Ex-Profis oder Journalist:innen, ihr Wording im besten Wissen und Gewissen genaustens zu reflektieren. Sie müssen verstehen (lernen), welche Bilder sie schüren und was sie dabei bei den Fans* auslösen. Zu einer derartigen Sensibilisierung kommt es allerdings nur, wenn auch mehr Menschen mit Rassismuserfahrung Räume einnehmen, sprechen können und gehört werden.


[1] Hier ist explizit der Männer*-Fußball gemeint.

[2] Hiermit sind typische Formulierungen oder Ausdrucksweisen gemeint – Kommentaror:innen oder Journalist:innen haben sich auf ungeschriebene Sprachregeln im Fußball festgelegt, welche es zu hinterfragen gilt.