Erstelle eine Website wie diese mit WordPress.com
Jetzt starten

Mensch. Tier. Macht. 

Postkoloniale Perspektiven auf Mensch-Tier-Verhältnisse

Wahlspecial: Tierschutz und Rassismus

von Annika Harzmann

Foto: Stefan Rieger

Zivilisierungsaufgabe, Klassenkampf und braune Utopie – Tierschutzideen mussten schon für so Manches herhalten. Dabei wird klar: Nicht immer geht es den Fürsprecher:innen darum, die Situation von Tieren nachhaltig zu verbessern. Denn Tiere lassen sich argumentativ wunderbar missbrauchen, sei es im Sinne eines kolonialen Projekts oder für rassistische Parolen. In diesem Wahlspecial möchte ich einen Blick auf die unheilvolle Liaison zwischen Tierschutz und Rassismus werfen und mich dabei auch mit den Wahlprogrammen zur Bundestagswahl befassen. Kann Tierschutz rassistisch sein? Welche Rolle spielen Tiere für die Parteien? Und was kannst du tun, um dich für Tiere einzusetzen?

Die rechte Szene liebäugelt mit dem Tier- und Naturschutz, die AfD gibt sich zuweilen als „Alternative für Vogelfreunde“[1], wie Rechtsextremismusexperte Andreas Speit karikiert. Wie kommt es, dass der Schutz von Tieren auch vermehrt Menschen mit rechter Gesinnung anzieht? Um dies zu beantworten, ist es hilfreich, sich mit der Geschichte des organisierten Tierschutzes auseinanderzusetzen – denn Rassismus und Tierschutz haben eine lange gemeinsame Tradition.

Zunächst: Das Engagement für Tiere hat recht unterschiedliche Gesichter. Das lassen schon die vielfältigen Protest- und Bewegungsgruppen vermuten. Ich verwende hier, einem Vorschlag von Klaus Petrus folgend, den Begriff der Tierbewegung, um die jeweiligen Einzelbewegungen zusammenzufassen. Gemeinsam ist ihnen das Bestreben, den Status von Tieren innerhalb der Gesellschaft zu verändern und sich für sie einzusetzen. Darunter fallen unter anderem die Tierschutzbewegung, die Tierrechtsbewegung und die Tierbefreiungsbewegung.[2] Erstere hat sich grundsätzlich dem allgemeinen Schutz und Wohl von Tieren verpflichtet, während sich die Tierrechtsbewegung dadurch auszeichnet, Grundrechte wie zum Beispiel das Recht auf Leben, Freiheit und Unversehrtheit für Tiere zu fordern. In Abgrenzung dazu sehen die meisten derjenigen Aktivist:innen, welche unter dem Label der „Tierbefreiung“ agieren, die Basis der Unterdrückung in der hierarchischen Strukturierung von Gesellschaftssystemen, die es zu abzuschaffen gelte.[3]

Und so unterschiedlich die Tierbewegung im Ganzen ist, so vielseitig sind auch die Gruppen, Menschen und Ideen, die sich für tierliches Leben engagieren. Dass auch Rechtsextremist:innen sich vermehrt in der Tierschutzszene tummeln, liege „nicht daran, dass Rechtsextreme ein besonders großes Herz für Tiere hätten, sondern an der problemlosen Instrumentalisierung des Themas“[4], so die Fachstelle für Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN). Mit dem Verweis auf Tierquälerei, Schlachtungen oder Massentierhaltung lässt sich verhältnismäßig leicht das Mitgefühl der Bevölkerung wecken – dies hatte schon in den Anfängen der Tierschutzbewegung hervorragend funktioniert.

Schlaglichter der Geschichte des Tierschutzes

Im Gegensatz zur (europäischen) Tierschutzidee, die bis in die Antike zurückgehe, sei der Tierschutz in seiner organisierten Form ein Phänomen des 19. Jahrhunderts, so die Historikerin Mieke Roscher.[5] Damit ist die Tierschutzbewegung in ihrer institutionellen Form die älteste der verschiedenen Zweige der Tierbewegung. Bereits 1824 wurde mit der britischen Society for the Prevention of Cruelty to Animals die erste Tierschutzorganisation gegründet. In Deutschland – das hier im Zentrum stehen soll – schlossen sich im Jahr 1837 Gleichgesinnte zum Tierschutzverein Stuttgart zusammen und dreißig Jahre später nahm die erste Vegetarier:innenvereinigung im deutschen Raum ihre Arbeit auf.[6]

Angesichts der Fülle an Konfrontationsflächen mit tierlicher Ausbeutung und Unterdrückung im Deutschland des 19. Jahrhunderts, scheint es besonders spannend, das Agenda-Setting in der Anfangsphase der Bewegung nachzuverfolgen. Welche Themen wurden behandelt? Wofür setzten sich die frühen Tierschützer:innen  ein? Ein Hauptaugenmerk lag – wie schon die Namensgebung des ersten Vereins „Prevention of Cruelty to Animals“ nahelegt – auf der Verhinderung von Tierquälerei, so die Historiker Uekötter und Zelinger[7]. Damit gerieten in erster Linie sozial niedriger gestellte Schichten der Bevölkerung ins Visier der meist bürgerlichen Tierschützer:innen. In Großbritannien etwa widmete man sich der Abschaffung von Hahnenkämpfen – einer „typische[n] Freizeitbeschäftigung der britischen Unterschichten“[8]. Tierschutz war in diesem Kontext vor allem „Zivilisierungsaufgabe“.[9]

Dieses Narrativ fügte sich besonders gut in die gängige Kolonial-Rhetorik ein. Die Behandlung von Tieren galt den Kolonialist:innen als Gradmesser der Zivilisation und bildete damit auch eine Legitimationsgrundlage für das koloniale Projekt.[10] Damit wurde Tierschutz fadenscheinig zum kolonialen Steckenpferd, wie Mieke Roscher am Beispiel Großbritanniens darlegt:

„Über das Engagement im Tierschutz ließen sich offensichtlich hervorragend gesellschaftliche Konflikte verhandeln, innerhalb derer die Tiere als Projektionsflächen dienten. So passte in die vorherrschende Doktrin des britischen Imperialismus als Zivilisierungsmission die beispielsweise über Tiere verhandelte Kolonialfrage, nach der es vor allem der Mangel an zivilisiertem Geist war, der ein weltweites Eingreifen Großbritanniens auch in puncto Tierschutz erforderlich machen würde.“[11]

Und dem nicht genug: Auch völkische Bewegungen machten sich bereits im Kaiserreich diese zivilisatorischen Vorstellungen zu eigen und verbreiteten unter dem Deckmantel des Tierschutzes antisemitische, rassistische Positionen, denen sich auch viele der deutschen Tierschutzvereine  nicht verwehrten.[12] Ein besonders prominentes Beispiel für diese antisemitischen Färbung der Tierbewegung ist der Einsatz gegen das Schächten – der rituellen Schlachtung ohne Betäubung – das in Teilen des Judentums und des Islams praktiziert wird. Das kam auch unter den Nazis gut an: Der Nationalsozialismus nahm viele Anliegen der Tierschützer:innen dankend auf und verarbeitete sie in eine rassistische Ideologie.[13] Bereits im April 1933 wurde in diesem Zuge beispielsweise das Schächten unter Strafe gestellt[14] und später mit dem Reichstierschutzgesetz die Grundlage für Ausgrenzung und Gewalt gegen insbesondere jüdische Menschen, Sinti:zze und Rom:nja.

Tierschutz von rechts

Viele dieser Narrative werden auch heute noch bedient: Wie die Fachstelle für Radikalisierungsprävention und Engagement im Naturschutz (FARN) darlegt, finden sich seit 1945 die gleichen Motive und Forderungen in Programmen rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien wieder. Ein Unterschied: Neben Antisemitismus kommt dabei auch antimuslimischem Rassismus ein immer größerer Part zu.[15] Auch das Schächten ist weiterhin ein bedeutendes Thema in rechten Kreisen.

Werfen wir beispielsweise einen Blick auf das diesjährige Wahlprogramm der AfD. Die Erwartungen können dabei durchaus hochgesteckt werden, schließlich inszenierte sich die Partei zuletzt bei der Landtagswahl in Sachsen als „Die Tierschutzpartei in Deutschland“. Diesen Erwartungen hält das Programm – na gut, vielleicht doch nicht so überraschend – nicht stand. Über umfassenden Tierschutz erfahren die Leser:innen hier nicht viel. Tatsächlich widmet die AfD die Hälfte ihres ohnehin kurzen Statements zur Situation von Tieren dem Verbot des Schächtens, der Regulation von als halal oder koscher gekennzeichneten Fleisch und Seitenhieben gegen „Tierschutzrechtverstöße in Drittländern“ – 564 von 1.082 Zeichen (ohne Leerzeichen), um genau zu sein.[16]

Dass dabei gleichzeitig der Abschuss von Wölfen, die „Entnahme“ invasiver Arten und die Angst vor dem Fleischverzicht – genauer: die „Bewahrung unserer traditionellen Esskultur in öffentlichen Einrichtungen“[17] – propagiert werden, scheint sich nicht auszuschließen. Hengameh Yaghoobifarah schrieb bereits 2019 für die taz: „Tierschutz ist besonders unter Rechten ein Thema, solange sie sich dadurch als zivilisiert und überlegen profilieren können. Das Schächten verurteilen und sich gleichzeitig für Schweinefleisch als Menschenrecht einsetzen? Für rechtsextreme Parteien wie NPD und AfD kein Widerspruch“[18].

Und nun? Wie sieht eine antirassistische Antwort aus? Werfen wir den Tier- und Artenschutz über Bord? Weg mit den „Tierwohl“-Standards und noch mehr Intensivhaltung! Nur noch 30.000 Koalas nach den letzten Extrembränden – so what? Tierversuche? I like. Mit diesem Text geht es mir natürlich nicht darum, den Einsatz für Tiere und deren gesellschaftlichen Status abzuwerten. Wie schon im letzten Beitrag deutlich geworden ist: Artenschutz bzw. der Schutz der Biodiversität sprechen auch Fragen von (globaler) Umwelt- und Klimagerechtigkeit an und sind insofern – nicht zuletzt unter einem postkolonialen Blickwinkel – wichtige Schlagworte politischer Diskussionen. Der Anteil der Landwirtschaft an der Biodiversitäts- und der Klimakrise sowie – schließlich sind wir noch inmitten einer Pandemie – an der Ausbreitung von Zoonosen macht es umso nötiger, sich mit dem Umgang von Menschen mit Tieren und Umwelt, insbesondere in Hinblick auf die industrielle Tierhaltung, auseinanderzusetzen. In den Wahlkampf-Debatten zur Bundestagswahl mag biologische Vielfalt noch nicht angekommen sein, viele deutsche Bürger:innen mögen sich deren Bedrohung und der damit einhergehenden Gefahren noch nicht bewusst sein – die Biodiversitätskrise nimmt darauf keine Rücksicht.

Und Hey: Braucht es wirklich ein großes Aufgebot an Argumenten, um den Wunsch zu wecken, dass die Lebensbedingungen einer Vielzahl von Tieren zumindest ein bisschen besser sein sollten – ein bisschen weniger Gewalt, eine Prise weniger Ausbeutung? Ganz zu schweigen davon, das Herrschaftsverhältnis zwischen Menschen und Tieren tatsächlich zu verändern, Mensch-Tier-Verhältnisse tatsächlich neu zu verhandeln.

Tiere, Menschen, Politik – Ein Blick in die Wahlprogramme

Wie reagieren also politische Parteien auf die Dringlichkeit dieser Fragen? Die großen Parteien, deren Wahlprogramme ich vor diesem Hintergrund näher untersucht habe, gehen mit diesen Themen sehr unterschiedlich um, widmen ihnen mal mehr, mal weniger Raum. Nur um einen Eindruck dieser Diskrepanzen zu geben: 54-mal und damit am weitaus häufigsten wird das Wort „Tier(e)“ im Wahlprogramm der Grünen erwähnt – die SPD spricht „Tier(e)“ lediglich sechsmal direkt an. Bei der AfD kommen die Begriffe „Biodiversität“, „Biologische Vielfalt“ und „Artenvielfalt“ gar nicht vor. In den Programmen der Grünen und der Union zumindest 18- bzw. 14-mal. Auch in puncto „Tierschutz“ gibt es erhebliche Unterschiede – die Nennungen reichen von null- bis 14-mal. Umwelt- und Klimagerechtigkeit spielen nur bei den Grünen und der Linken überhaupt eine Rolle. Ich habe die Wahlprogramme außerdem auf die Stichworte „Artenschutz“, „Artensterben“ und „Klimawandel“ untersucht. Dies legt Relevanzen offen. Die Ergebnisse seht ihr hier:

Eine inhaltliche Beschäftigung mit den verschiedenen Argumenten ersetzt dies selbstverständlich nicht. Schließlich ist das Starkmachen für Tierschutz – das sollte am Ende dieses Beitrags deutlich geworden sein – nicht immer das, wonach es scheint. Der Einsatz für Tiere ist nicht immer progressiv, zuweilen ist er rückschrittlich und abgegriffen. Und manchmal vor allem menschenverachtend. Mensch-Tier-Verhältnisse sind umkämpft. Was macht Tiere aus? Wie unterscheiden sie sich von „uns“? Und wer ist eigentlich „wir“? Dürfen Menschen Tiere nutzen? Wer darf das – und wer nicht? Sollten „wir“ sie essen? Sie für medizinische Versuche verwenden? Oder ihnen ihre Lebensgrundlagen entziehen? Müssen sie geschützt werden? Welcher Platz wird tierlichen Lebewesen in Gesellschafteneingeräumt? Die bevorstehende Bundestagswahl wird über diese Fragen mitentscheiden. Du kannst das auch – in den Wahlkabinen, Universitäten, in deinem Alltag. Offen, diskriminierungsfrei und solidarisch.


[1] Speit, A. (2020): Die Alternative für Vogelfreunde. Die AfD als Umweltpartei. In: JUNGLE.WORLD 20/29. URL: https://jungle.world/artikel/2020/29/die-alternative-fuer-vogelfreunde [letzter Aufruf: 22.09.2021].

[2] Vgl. Petrus, K. (2015): Tierrechtsbewegung. In: Ferrari, A./Petrus, K. (Hrsg.): Lexikon der Mensch-Tier-Beziehungen. Bielefeld: transcript, S. 368.

[3] Einen Überblick über die verschiedenen Strömungen der Tierbewegung und deren Argumente könnt ihr euch hier verschaffen: Ferrari, A./Petrus, K. (Hrsg.): Lexikon der Mensch-Tier-Beziehungen. Bielefeld: transcript.

[4] FARN (Hrsg.) (2019): Wenn Rechtsextreme von Naturschutz reden – Argumente und Mythen. Ein Leitfaden.  URL: https://www.nf-farn.de/system/files/documents/farn_leitfaden_wenn_rechtsextreme_von_naturschutz_reden.pdf [letzter Aufruf: 22.09.2021].

[5] Vgl. Roscher, M. (2015): Tierschutzbewegung. In: Ferrari, A./Petrus, K. (Hrsg.): Lexikon der Mensch-Tier-Beziehungen. Bielefeld: transcript, S. 371.

[6] Uekötter, F./Zelinger, A. (2012): Die feinen Unterschiede – Die Tierschutzbewegung und die Gegenwart der Geschichte. In: Grimm, H./Otterstedt, C. (Hrsg.): Das Tier an sich. Disziplinübergreifende Perspektiven für neue Wege im wissenschaftsbasierten Tierschutz. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 121.

[7] Vgl. ebd.: 124f.

[8] Ebd.: 125.

[9] Vgl. Roscher, M. (2019):  Geschichte des Tierschutzes. Von der Aufklärung bis zur vergangenen Revolution. In: Diehl, E./Tuider, J. (Hrsg.): Haben Tiere Rechte? Aspekte und Dimensionen der Mensch-Tier-Beziehung. Bonn: Bpb, S. 41.

[10] Vgl. Roscher 2015: 371f.

[11] Roscher 2019: 43.

[12] Vgl. ebd.: 45f.

[13] Vgl. Uekötter/Zelinger 2012: 127f.

[14] Vgl. Roscher 2019: 46.

[15] Vgl. FARN 2019: 22.

[16] Vgl. Wahlprogramm der AfD, S. 201f.

[17] Ebd.: 204.

[18] Yaghoobifarah, H. (2019): Rassismus und Tierschutz in Deutschland: Nicht ohne meinen Hayvan. URL: https://taz.de/Rassismus-und-Tierschutz-in-Deutschland/!5606492/ [letzter Aufruf: 22.09.2021].

Werbung

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: