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Archiv

Selbstpositionierung Blogteam 2019/2020:

Eine Selbstpositionierung

Die wohl einfachsten und doch keineswegs unwesentlichen Fragen zugleich:

Wer sind wir? Und wo stehen wir innerhalb der Gesellschaft?

·  Wir sind vier junge Frauen im Masterstudium.

·  Wir sind in Deutschland aufgewachsen und haben einen deutschen/europäischen Pass.

·  Wir haben alle eine weiße Hautfarbe.

Dies mögen nur ein paar Gemeinsamkeiten sein. Allerdings sind wir bereits durch diese wenigen sozialen Merkmale Teil einer weltweit extrem privilegierten Gesellschaftsgruppe. Denn uns werden Türen geöffnet, Chancen angeboten und weltweite Wege ermöglicht, die für anderen Personen grundsätzlich verschlossen bleiben. Die Mehrheit der Mitarbeiter*innen an unseren Universitäten in Deutschland sind wie wir, obwohl die Außendarstellung oft ein diverses Bild der Universitätslandschaft zeigt. Unsere Privilegien sind keineswegs natürlich, sondern durch hegemoniale und koloniale Machtstrukturen gewachsen, auf die wir in diesem Blog aufmerksam machen wollen.

Wir kommen aus Europa, dessen Einwohner*innen aktuell nur ca. 10 % der gesamten Weltbevölkerung ausmachen, im Vergleich dazu kommen 60 % aus Asien und 17% vom afrikanischen Kontinent. Trotzdem bestimmen bis heute die sog. westlichen Gesellschaften weltweite idealtypische soziale, kulturelle und auch wissenschaftliche Denktraditionen. Wir wollen fragen:

Wie kommt das? Und was können wir tun?

Im Seminar “Rassismus. Macht. Privilegien.” des Lehrstuhls für Europäische Ethnologie/Volkskunde1 an der Universität Augsburg haben wir uns im Wintersemester 2018/2019 mit strukturellen Ungleichheiten aus einer postkolonialen Perspektive beschäftigt. In diesem Blog werden ausgewählte Texte aus dem Seminar vorgestellt, um kursinterne Diskussionen öffentlich zu machen. Außerdem bieten wir eine Materialsammlung mit Videos, Bildungsmaterial und wissenschaftlichen Texten an. Folgende Themen werden wir in den Texten behandeln:

·  Kolonialvergangenheit Deutschlands und anderer europäischer Nationen

·  Rassismus im Alltag

·  Institutioneller Rassismus (z.B. an Universitäten)

·  Provenienzforschung

·  Affirmative Action

·  White Privilege

Entsprechend dem kritischen wissenschaftlichen Arbeiten sind wir uns der ständigen Unvollständigkeit unseres Wissens und der Subjektivität aller Mitwirkenden bewusst. Trotzdem möchten wir zu einer fairen Diskussion und neuen Denkanstößen anregen.

Auf unserem Instagramkanal @postcolonial.realities gibt es passende visuelle Beiträge zu den einzelnen Texten.

Euer Blogteam

Julia Appel, Theresa Fritz, Sara Glaser und Miriam Hedrich

1 Ist der Begriff der Volks- oder Völkerkunde zwar noch häufig in der Bezeichnung von ethnologischen Instituten und Einrichtungen zu finden, möchten wir uns doch von diesem distanzieren.

Blog-Beiträge
bis Oktober 2020

Decolonize yourself!

Rebekka Utesch

Foto: Miriam Hedrich

Ein Semester lang habe ich mich nun im Rahmen eines Seminars intensiv mit Rassismus1 und Diskriminierung auseinandergesetzt. Dabei ging es auch um alltägliche Dinge, die uns Seminarteilnehmer*innen auf den ersten Blick gar nicht so bewusst gewesen sind, wie unsere Sprache oder Musik, die nebenbei im Auto oder beim Sport als Hintergrundgeräusch läuft. Wir haben uns auf die Suche nach Spuren des Kolonialismus2 begeben, haben ihn in Deutschland gesucht und immer noch gefunden. Wir haben hitzig diskutiert, als wir uns gemeinsam Kinderbücher angesehen haben. Einig sind wir uns nicht geworden, ob Kinderbücher umgeschrieben werden sollen/dürfen. Das Schwierigste war, und ist bis heute, jedoch die Selbstreflektion über das eigene Handeln, die eigene Sprache, das Bewusstmachen der eigenen Stellung in der Gesellschaft, der eigenen Privilegien. Was ist ein Privileg3? Was sind meine Privilegien?

Die Definition von Privileg empfinde ich als sehr schwierig. Zunächst ist ein Privileg etwas, das mir in irgendeiner Form einen Vorteil gegenüber einer beliebigen anderen Person oder Personengruppe verschafft. Um dieses Privileg zu erhalten, muss ich selbst nichts getan haben. Ich kann es also von Geburt an besitzen. Dabei kann das Land, in dem ich zufällig geboren wurde, der gesellschaftliche Stand meiner Eltern, mein Geschlecht, meine Hautfarbe oder meine körperliche Verfassung maßgeblich sein. Auf all diese Faktoren kann ich keinen Einfluss nehmen. Ich kann mir bestimmte Privilegien aber auch erarbeiten, vor allem wenn sie sich auf mein berufliches Umfeld beziehen, frei nach dem Motto, wer hart arbeitet wird dafür belohnt werden. Das bedeutet aber auch, dass Privilegien nicht exklusiv mir gehören – insbesondere dann nicht, wenn man sie sich erarbeiten kann. Solche Privilegien sind leichter wieder zu verlieren als jene, die angeboren sind. Als eine Art Geburtsrecht sind diese Privilegien fast untrennbar mit mir verknüpft. Diese Privilegien sind ganz individuell auf mich zugeschnitten, denn so wie ich bin, so wie ich lebe gibt es mich nur ein Mal. Es gibt aber viele Menschen auf der Welt, die ähnliche Privilegien wie ich besitzen, wenn sie unter ähnlichen Voraussetzungen wie ich geboren wurden. Ähnlich schwer wie es sein wird, mir diese Privilegien zu nehmen, wird es noch schwerer sein, von selbst Abstand von den Privilegien zu nehmen bzw. je nach dem, auf welcher ‚Rangstufe‘ ich mich befinde wird es auch schwer sein, noch höher aufzusteigen, wenn das überhaupt erstrebenswert ist.

Ich bin eine weiße, junge Frau, geboren in Deutschland, Bayern. Aufgewachsen in einer bayerischen Kleinstadt in einem Reihenhaus, das in Familienbesitz ist. Mein Vater ist Akademiker, meine Mutter war verbeamtet. Meine Eltern konnten es sich leisten, dass meine Mutter für meinen älteren Bruder und mich zu Hause blieb bis ich in der achten Klasse war. Sowohl mein Bruder als auch ich hatten freie Schulwahl. Ich ging auf ein Gymnasium und machte Abitur. Meine Eltern unterstützen mich bei meinen Entscheidungen. Sie ermöglichten mir mein Studium. Ich musste mir während meiner schulischen Ausbildung nie Sorgen um meinen Schlafplatz machen, ich hatte sogar ein eigenes Zimmer, das ich nach meinen Wünschen einrichten durfte. Ich wusste jedes Mal beim nach Hause kommen, dass etwas zu Essen im Haus war. Ich wusste jedes Mal, dass man mich herzlich willkommen heißen würde. Wir hatten einen Familienhund, dem ich meine Ängste und Geheimnisse anvertrauen konnte. Ich hatte ein Zuhause. Heute führe ich ein selbstbestimmtes Leben, gehe regelmäßig einkaufen, absolviere ein Masterstudium und kann mich auch weiterhin darauf verlassen, dass der Großteil meines Alltags einfach so funktioniert.

Die Reflektion der eigenen Privilegien dient dazu, sich die strukturellen Unterschiede der Gesellschaft bewusst zu machen. Hierbei fällt auf, dass ich als weiße Frau in Deutschland ohne größere Probleme meinen Alltag bestreiten kann. Selbstverständlich ist nicht jeder Tag gleich, und auch regional lassen sich Unterschiede finden. Dennoch ist das Leben im Großen und Ganzen leicht. Zu einem meiner größten Privilegien habe ich nichts beigetragen: Ich bin weiß. Noch dazu hatte ich das Glück in Europa, ja sogar in Deutschland geboren worden zu sein. Es gibt gewiss viele Menschen, mich eingeschlossen, die Kritik an Deutschland und seiner Politik üben können. Ich kann Kritik daran üben, dass ich mich als Frau immer noch in gesellschaftlich vorgefertigte Rollenbilder einfügen soll. Und dennoch ist es in Deutschland sicher. Ich muss nicht um meinen Leib und mein Leben fürchten und auch die Wirtschaft ist stabil. Ich habe keinen Präsidenten, der mein Land mit Mauern eingrenzen lassen will. Ich kann mich frei bewegen. Ich habe die Möglichkeit, meine Meinung frei zu äußern. Und ich bin weiß. Ich sehe täglich überwiegend weiße Menschen. Überall. Sei es in der Werbung, auf der Straße, im Fernsehen, in der Uni (Studierende und Dozierende gleichermaßen). Egal, wo ich hingehe, ich kann mich, ausgehend von der Hautfarbe, mit dem Großteil der Menschen identifizieren. Und diese Menschen können sich mit mir identifizieren. Das Weißsein äußert sich bei genauerer Betrachtung in fast jeder alltäglichen Situation. Da stehe ich nun in einem Drogeriemarkt, vor dem Regal mit Shampoo. Mein Blick ist natürlich mittlerweile geschärft. Kann ich denn nirgendwo mehr hinsehen, ohne dass mir auffällt, dass alles weiß ist? Deutschland ist bunt, wortwörtlich. Doch nicht alle von uns können einfach in eine Drogerie spazieren und sich ein Shampoo kaufen. Es gibt nämlich keines für Afro-Haar. In der Makeup-Abteilung wird man mittlerweile auf der Suche nach für unterschiedliche Hauttypen passende Produkte wenigstens ein bisschen fündig. Aber auch nur ein bisschen. Nebenan ist ein Douglas. Die Farbpalette, die hier zur Auswahl steht, ist schon deutlich größer, aber auch teurer. Warum müssen Schwarze Menschen für ihre Produkte entweder in spezielle Läden gehen, mehr bezahlen, oder Produkte online bestellen? Weil es immer noch ein weißes Privileg ist, einfach und unbeschwert alle alltäglichen Aufgaben erledigen zu können. Durch diese ‚Abschiebung‘ der Produkte aus den Standardmärkten wird erklärt, dass Schwarze Menschen immer noch eine Minderheit in Deutschland sind, die nicht repräsentiert werden muss. Auch in der Werbung fand sich lange kein Schwarzes oder PoC4-Model. Mittlerweile nimmt die Werbung mit Models unterschiedlicher Herkunft immer mehr zu, wodurch sie hoffentlich bald gänzlich als Teil der deutschen Bevölkerung anerkannt werden. Leider ist es immer noch häufig zu beobachten, dass Schwarze Menschen im Alltag aufgrund vorherrschender Vorurteile Opfer diskriminierender Aussagen werden. Manchmal sprechen bereits die Blicke in der Straßenbahn Bände. Ich kann mich nahezu ungesehen bewegen. Wenn ich nicht gesehen werden will, werde ich nicht auffallen. Als Schwarzer Mensch in Deutschland hat man diese Möglichkeit jedoch nicht. Besonders die Fahrten mit der Straßenbahn bieten regelmäßig Gelegenheit, um diskriminierende, ausgrenzende Szenen zu beobachten. Da ist die schwangere Schwarze Mutter mit zwei Kindern, die gesagt bekommt, die Afrikaner*innen bekämen doch schon genug Kinder und ob sie es nicht bei einem hätte belassen können. Oder die beiden jungen Schwarzen Männer, die von einem älteren Herren beschimpft werden, dass sie bei sich zu Hause Frauen vergewaltigen sollen. Das Traurigste an den Situationen ist jedoch, dass nur im seltensten Fall ein dritter Fahrgast eingreift und die Täter*innen zur Rede stellt. Das ist das traurige Privileg der Weißen.

Jede*r Deutsche, jeder Mensch sollte sich seiner eigenen Privilegien bewusst werden und sich überlegen, wie er*/sie* in Zukunft mit ihnen umgehen kann. Jede*r von uns kann seine*/ihre* Privilegien teilen, indem man sie erkennt, andere auf sie aufmerksam macht und sich für die Privilegien von weniger bevorteilten Menschen einsetzt. Wir haben das Privileg, uns nicht mit Diskriminierung auseinandersetzen zu müssen, wenn wir das nicht wollen. Es wäre an der Zeit, als erstes Privileg von vielen genau dieses aufzuheben.

1Begriffserklärung siehe Glossar „Rassismus“.

2Begriffserklärung siehe Glossar „Kolonialismus“.

3Begriffserklärung siehe Glossar „White Privilege“.

4Begriffserklärung siehe Glossar „POC“.


Nur weil du…

Wiebke Meiwald

Foto: Miriam Hedrich

„Du hast den Studien-/ Arbeitsplatz doch nur bekommen, weil du eine Frau, Schwarz1, oder behindert bist!“, mit diesem Vorwurf sehen sich Menschen, die von sog. positiver Diskriminierung profitieren, häufig konfrontiert. Manchmal offen, manchmal eher indirekt. Sei es der ‚Exotenbonus‘2, der unausgesprochen und teilweise subtil wirkt, oder festgeschriebene und bisweilen staatlich geförderte Bevorzugungs- und Förderungsmaßnahmen. In Diskussionen zu dem Thema werden häufig Regelungen zur Förderung von Frauen, beispielsweise die Frauenquote, mit Maßnahmen der Affirmative Action 3in den USA verglichen. In diesem Essay soll untersucht werden, welche Einwände gegen diese Maßnahmen in den jeweiligen Ländern erhoben werden, und mit welchen Argumenten ihnen begegnet werden kann. Inwieweit sind also die Debatten um die Frauenquote in Deutschland und die Affirmative Action in den USA vergleichbar?

Das Konzept der Affirmative Action wurde in den USA in den 1960er Jahren entwickelt und hat die Unterstützung von marginalisierten gesellschaftlichen Gruppen zum Ziel. Entsprechende Programme förderten seit Beginn der 1970er Jahre vor allem die Gruppe der Afroamerikaner*innen, sowie später andere ethnische Minderheiten4. Es beruht auf der Erkenntnis, dass die entsprechenden Gruppen in staatlichen Institutionen, an Universitäten und an gut bezahlten Positionen im Beruf disproportional unterrepräsentiert sind. Entscheidend für die Entwicklung entsprechender Förderungsprogramme, war der Konsens weiter Teile der Gesellschaft, dass sich die bisherige Ungleichverteilung mit Diskriminierungsmechanismen und einer Ungleichbehandlung, als Folge der Praxis der Sklaverei und damit verbundener Gesellschaftsstrukturen, erklären lasse. Um dieser Benachteiligung entgegenzuwirken wurden und werden staatliche Maßnahmen als legitim und notwendig erachtet.5 Sie setzen auf unterschiedlichen Ebenen an. Ein Pfeiler ist die Vergabe von öffentlichen Aufträgen vorzugsweise an Unternehmen, die eigene Förderungsprogramme für Mitglieder*innen von Minderheitengruppen, oder inzwischen auch Frauen*, haben. Dies soll als positiver Anreiz für Entscheidungsträger*innen in Unternehmen wirken, sich entsprechende Gedanken zu machen und Strategien umzusetzen. Ein anderer Pfeiler sind Mechanismen, die im Verfahren zum Hochschulzugang Menschen marginalisierter Gruppen besonders fördern, um ihre Unterrepräsentanz zu bekämpfen. Als Begründung dafür wird angeführt, dass der Zugang zu tertiärer Bildung in den USA sehr lange (z.T. bis in die 1970er Jahre) nur weißen Männern* offenstand.6 Hierbei werden in den komplexen Bewerbungsverfahren entweder Punkte hinzugerechnet oder im Rahmen einer Einzelfallprüfung eine anderweitige Bevorzugung umgesetzt und Vorteile ermöglicht.

Die in Deutschland und Europa diskutierte Frauenquote verfolgt in Teilen ähnliche Ziele. Verbindliche Quoten bei der Verteilung von politischen Ämtern oder auf beruflichen Posten sollen die Ungleichheit der Verteilung zwischen den Geschlechtern aufbrechen. Hierdurch sollen bestehende Lohn- und Machtunterschiede reduziert werden. Konkret geht es beispielsweise um eine verbindliche Quote von 30% Frauen* in Aufsichtsräten großer Wirtschaftsunternehmen.7 Eine weitere Forderung ist die in Zahlen gleich verteilte Besetzung von politischen Posten durch Frauen* und Männer*. Dies soll durch rechtlich verbindliche Quotenregelungen realisiert werden, die beispielsweise Einfluss auf die Besetzung von Wahllisten und Ämtern innerhalb der Parteien und in gewählten Gremien haben8.

Befürworter*innen begründen die Notwendigkeit, trotz rechtlicher Gleichstellung, mit nach wie vor wirkenden Diskriminierungsmechanismen in der Gesellschaft, die über Rollenstereotype9 oder ‚Männerseilschaften‘, Frauen* eine gleichberechtigte Teilnahme und ein erfolgreiches Fortkommen erschweren. Deutlich wird dieses Phänomen an dem Begriff der ‚Gläsernen Decke‘.

Sowohl in Deutschland als auch in den USA gibt es unterschiedliche Kritik an den (geforderten) staatlichen Programmen und Vorgaben. Das Argument, welches in beiden Fällen wohl am häufigsten angebracht wird, ist, dass entsprechende Regelungen ihrerseits zur Diskriminierung beitrügen. Schließlich müssten zur Bevorzugung der Zielgruppe, andere Gruppen Nachteile, beispielsweise im Bewerbungsprozess, in Kauf nehmen. In der US-amerikanischen Debatte ist vom Phänomen des Reverse Racism die Rede,10 in der deutschen Auseinandersetzung von der sogenannten ‚Männerdiskriminierung‘. Dass die Zahlen diesen Befürchtungen widersprechen, und die Positivdiskriminierung bislang weder dazu geführt hat, dass sich nicht-weiße Studierende überproportional häufig auf den Colleges und unter Stipendienempfänger*innen befinden11, noch dazu, dass es in Aufsichtsräten und Vorständen deutscher Unternehmen nun an Männern* mangelt12, ändert wenig an der Beliebtheit dieser Argumentation.

Auffällig ist, dass sie sich in beiden Debatten ziemlich ähnlich wiederfindet. In beiden Fällen wird sie aufgebracht von denjenigen, die um ihre Position im Wettkampf um die knappen Güter ‚Bildungszugang‘, ‚hochbezahlte Stellen‘ sowie ‚politische Macht‘ fürchten. Es handelt sich in der Regel also um Menschen, die sich im Grunde um ihre Privilegien sorgen. Dabei geht es in der Regel nicht um Privilegien, die sie sich selbst erarbeitet haben, sondern vor allem um solche Vorteile, die sie aufgrund ihrer Geburt in Form ihres Geschlechtes und/oder ihrer Hautfarbe zugedacht bekommen (haben). Eine Reflektion über das Zustandekommen der Privilegien, die sie genießen, wird häufig genauso abgelehnt, wie die Vorstellung sie zu teilen.

Stattdessen wird als weiteres Argument angeführt: Die Regelungen laufen dem Leistungsprinzip in der aktuellen Gesellschaftsform entgegen und sind damit nicht gerecht.13 In der Regel geht mit dieser Argumentation keine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gerechtigkeitsbegriff und möglichen Modellen von Gerechtigkeit einher. Stattdessen wird er genutzt, um bestehende Ungerechtigkeiten zu zementieren. Aufgrund ihrer, in der Regel, privilegierten14 Situation fällt es den Gegner*innen der Affirmative Action, bzw. der Frauenquote leicht, ihre Positionen in großen Medien darzustellen und in die Debatte einzubringen.

Eine weitere, vor allem in den USA beliebte Form gegen positive Diskriminierung vorzugehen, sind Klagen an den entsprechenden Gerichten, mit dem Inhalt, dass mögliche Quotierungen oder Bevorzugungen dem Diskriminierungsverbot widersprächen. Konkrete Klagen in den USA, die die Diskriminierung weißer Studienbewerber*innen im Zulassungsverfahren zum Inhalt hatten und deren Ablehnung anfechten wollten, sind je nach Bundesstaat und Einzelfall unterschiedlich entschieden worden. Hierbei ist auffällig, dass die Bevorzugung dann als rechtmäßig verstanden wird, wenn sie nicht pauschal stattfindet, indem beispielsweise alle nicht-weißen Bewerber*innen durch Extrapunkte bevorteilt werden, sondern wenn eine Einzelfallbetrachtung stattfindet.15

Ein weiterer Kritikpunkt in Diskussionen über das Für und Wider von Quoten, seien sie bezogen auf ethnische Zugehörigkeit oder auf das Geschlecht, ist, dass nicht nur Frauen* oder nicht-weiße Menschen diskriminiert werden, oder aus anderen Gründen schlechtere Startbedingungen im Wettkampf um Bildungsabschlüsse und Jobchancen haben. Es gäbe auch noch viele andere benachteiligte Gruppen in der Gesellschaft, die nun einer Doppeldiskriminierung ausgesetzt seien. Deswegen könnten Quotenregelungen für ausgewählte Gruppen keine Probleme lösen. Bis zu einem gewissen Grad ist dieses Argument korrekt und nicht von der Hand zu weisen. Natürlich gibt es in den USA auch viele weiße Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind. Diese kann sich gegen ihre Herkunft aus einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht, ihre Religion, ihre Sexualität oder auch eine Behinderung richten. Gleiches gilt für viele Männer* in der deutschen Gesellschaft. Sie leiden unter Diskriminierung aufgrund ihrer sozioökonomischen Familiensituation, ihrer Sexualität, einer Behinderung, ihres (vermeintlichen) Migrationshintergrundes oder werden Opfer von (strukturellem) Rassismus. Auch diese weiteren Formen von Diskriminierung müssen selbstverständlich angegangen werden, jedoch sollten sie nicht als Argumente gegen Quotenregelungen für Frauen* in Vorständen oder nicht-weiße Bewerber*innen für Universitätsplätze angebracht werden. Denn die Quotenregelungen bekämpfen zwar nur einen Ausschnitt des Problems, können und sollen aber einen Anfang schaffen, Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft grundsätzlich abzubauen. Dafür spricht, dass Diskriminierung in Gesellschaften häufig nach ähnlichen Prinzipien funktioniert.

Kritiker*innen der Quotenregelungen, häufig jene, die es gut meinen, führen außerdem an, dass sie eine gerechte, diskriminierungsfreie Gesellschaft anstreben, in der Quoten überflüssig wären. Diesen Wunsch unterstützen auch viele Menschen, die die Quotenregelungen befürworten. Jedoch wird betont, dass solange es keine ausreichende gesamtgesellschaftliche Änderung gäbe, entsprechende Regelungen als Werkzeuge nötig sein, um für Chancengleichheit in der Konkurrenz um Arbeits- und Studienplätze sowie andere knappe Güter zu sorgen.

Dieser erste, knappe Vergleich zeigt, dass die Debatten, die um die positiv diskriminierenden Maßnahmen geführt werden durchaus große Ähnlichkeiten aufweisen. Eine tiefere Analyse wäre sicher hilfreich und notwendig, um tiefer liegende Unterschiede, die sich in unterschiedlichen Gesellschaftsstrukturen und zeitlichen Entwicklungen begründen, herauszuarbeiten.

1‚Schwarz‘ und ‚weiß‘ verstehe und verwende ich nicht als biologistische oder kulturalistische Benennungen, sondern als gesellschaftliche und politische Konstrukte. Sie werden als analytische Kategorien genutzt um Rassismus und koloniale Kontinuitäten benennen und untersuchen zu können. Die Großschreibung von Schwarz weist zudem auf eine Strategie der Selbstermächtigung hin.

2Nana Gerritzen (201(): „Ich hatte den Exotenbonus“. Zeit Online. <https://www.zeit.de/gesellschaft/2018-08/diskriminierung-metwo-metoo-rassismus-sexismus-positiv-negativ&gt; (17.01.2019).

3Siehe Begriffserklärung im Glossar „Affirmative Action”.

4Peters, A., & Birkhäuser, N. (2005). Affirmative Action à l’Americaine – Vorbild für Europa? In Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Bd. 65, S. 1–34). S.11.

5Ebd. S.3.

6Ebd. S.18.

7FidAR, „FidAR fordert wirksame Maßnahmen“ https://www.fidar.de/ueber-fidar/ziele-und-massnahmen.html (01.02.2019)

8Frauen Macht Politik, „Neue Wege gehen: Modelle und Umsetzungsbeispiele aus anderen Ländern” https://www.frauen-macht-politik.de/paritaet-in-der-politik/wege-zu-paritaet.html (01.02.19)

9Begriffserklärung siehe Glossar “Stereotype”.

10Vann R. Newkirk II (2017): „The Myth of Reverse Racism“, The Atlantic,

https://www.theatlantic.com/education/archive/2017/08/myth-of-reverse-racism/535689/ (17.01.2019)

11Vann R. Newkirk II 2017.

12 BCG(2018), „Henkel führt den DAX in Sachen Geschlechtervielfalt an“, BCG, https://www.bcg.com/de-de/d/press/BCG_2018_Dez21_PM_DiversityChampions-210364 (01.02.2019)

13Huffington Post, “Warum die Frauenquote Männer diskriminiert”, https://www.huffingtonpost.de/guenter-buchholz/warum-die-frauenquote-maenner-diskriminiert_b_5989244.html

14Begriffserklärung siehe Glossar “White Privilege.

15Peters, A. & N. Birkhäuser (2005). Affirmative Action à l’Americaine – Vorbild für Europa? In Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (Bd. 65, S. 1–34). S.25.


Schwarze Superheld*innen braucht das Land

Die Rolle der Repräsentation im Film

Bild: Miriam Hedrich

Essay von Julia Appel

Nicht selten steht die Filmindustrie in der Kritik. Hollywood sei zu weiß, die Oscars reine Show, die Bezahlung von Schauspielern und Schauspielerinnen nicht gerecht. Der Branche wird ihr größter Freund offenbar auch mal zum Verhängnis; die Öffentlichkeit.

Längst ist auch die Unterhaltung kein bloßer Ort der Bespaßung mehr. Sie hat sich als zentralen Ort gesellschaftlicher Debatten entpuppt. Gerade in den Sozialwissenschaften wird den Medien eine immer größere Rolle zugesprochen, da sie als externe Einflüsse in Sozialisierungsprozesse des Menschen eingreifen. Auch in den Postcolonial1 und Gender Studies verdienen sie Beachtung, da bspw. im Film scheinbar en passant Themen wie Diskriminierung, Männlichkeit und Weiblichkeit, Sexismus oder Rassismus2 verhandelt werden.

Insofern trägt er auf der einen Seite zur Tradierung von Strukturen, Bildern und Wissen bei und kann doch, auf der anderen Seite, ein Instrument von Veränderung sein und festgefahrene Denkmuster der Gesellschaft in Frage stellen oder gar brechen. Wo dies ganz klar geschieht, ist etwa im Afrofuturismus3 (Space Is the Place, 1974). Hier entstehen alternative Welt- und Zukunftskonzepte, frei von Kolonialvergangenheit und Rassenideologie.

In diesem Essay möchte nun vor allem eine Debatte aufgreifen, nämlich die der filmischen Repräsentation gesellschaftlicher Diversität. Welche Relevanz hat filmische Repräsentation von People of Colour4 im Kontext von Rassismus, Macht und Privilegien?

Repräsentation als Privileg?

Beginnen möchte ich mit Peggy McIntoshs bahnbrechendem Aufsatz White Privilege5: Unpacking the Invisible Knapsack (1988). Dieser Text ist zugegebenermaßen nicht einfach zu lesen. Es war mir persönlich unangenehm und zugleich wusste ich wie ungeheuer wichtig allein diese Leseerfahrung war. Sie erzeugte einen Moment der Wahrheit, einen realisierenden Geschmack davon, was es eigentlich heißt weiß zu sein. Daher möchte ich an dieser Stelle Aspekt Nummer fünf ihrer Aufzählung von alltäglichen Privilegien, die sie für sich im Vergleich zu ihren afroamerikanischen Kolleg*innen, Freund*innen und Bekannten beobachtet, aufgreifen:

I can turn on the television or open to the front page of the paper and see people of my race widely and positively represented.6

McIntosh beschreibt hier das Privileg der Repräsentation in Medien wie dem Fernsehen oder der Zeitung. Dabei geht es folglich im Umkehrschluss um die Unterrepräsentation, die Unsichtbarkeit, von Minderheiten. Vergleichbar mit dem Prinzip ‚aus den Augen, aus dem Sinn‘ werden bestimmte Menschengruppen ausgespart, nahezu zensiert. Diese Unterrepräsentation von (BI)PoC im Film transportiert konkrete gesellschaftliche Konzepte der Hierarchisierung und Diskriminierung wodurch die Verteilung von Macht(-positionen) ebenfalls sichtbar wird. Denn erst durch das Erlangen von Sichtbarkeit können Rechte auf Anerkennung und Gleichbehandlung demonstriert und normalisiert werden. Und wer entscheidet darüber? Die vornehmlich weißen, männlichen Riegen der Branche7.

Weg von rassistischen Rollenmustern

Auch mit dem Casting von BIPoC für Filmrollen ist es leider nicht getan. Problematisch wird es dann, wenn BIPoC explizit gecastet werden um dann (rassistische) Klischees zu verkörpern. Ob den ‚unterhaltsamen schwarzen Mitbewohner‘, den ‚intelligenten asiatischen Mitschüler‘ oder die ‚schlagfertige Latina‘. Es handelt sich offenbar um Stereotype8, um wiederkehrende Muster, austauschbare Charaktere, die als Sidekick der meist weißen Hautfigur Quoten erfüllen. Verständlich, dass es da zu Protesten kommt, denn Gleichbehandlung sieht anders aus. Es kann nicht sein, dass BIPoC nur explizite BIPoC-Rolle bekommen können.

Im Film lassen sich Vorurteile und Stereotype reproduktiv verarbeiten, was auch rassistische Denkmuster zunehmend normalisiert. Mit der Forderung der filmischen Repräsentation von BIPoC geht also ebenfalls der Bruch und Abbau von Vorurteilen einher. Immerhin scheint die Debatte Kreise zu ziehen und so auch Filmproduzent*innen davon zu überzeugen, ihre Filme heterogener zu denken und zu besetzen.

Held*innen werden zu Vorbildern

Seeßlen hat anhand der Figur des Black Panther die Entwicklung der Schwarzen Superheld*innen auf der Leinwand skizziert (vgl. Seeßlen 2018). Was ich an dem Superheld*innen-Genre besonders spannend finde, ist der Punkt der (Ver-) Wandlung der Menschen zu Held*innen. Menschen mit einem scheinbar alltäglichen, durchschnittlichen Leben werden zu Retter*innen in der Not. Aber warum sind es gerade diese Geschichten, die uns faszinieren; diese Geschichten, die Diversität so gut vertragen können? Ganz einfach: Wir alle brauchen ein Vorbild. Repräsentation erlaubt den Zuschauer*innen sich in einer Figur zu sehen, wiederzuerkennen. Diese Möglichkeit der Identifikation sollte – nein, darf nicht exklusiv sein, da sie bspw. Impulse zur Konstruktion von positiven Selbstbildern geben und persönliche Zielsetzungen beeinflussen kann, was bei jungem Publikum ganz besonders wichtig ist.

Ausblick: Von Normalisierung und Politisierung

Festzuhalten ist, dass die heterogene Wirklichkeit von Gesellschaft Stück für Stück Einzug in die Welt der Unterhaltungsmedien hält. Wichtig ist gerade der Weg von klischeehaften (und quotenbedingten?) BIPoC-Nebenrollen hin zu glaubwürdigen, tiefen Hauptfiguren. Und doch bewegen wir uns scheinbar noch immer zwischen einer Politisierung und Normalisierung der Repräsentation von PoC in Filmen. So verdeutlicht bspw. Seeßlen die Verflechtung der Black Panther Comics mit politischen Debatten. Meines Erachtens sind genau diese Konsequenzen Zeichen der Deutungsmacht, die auch Filme- bzw. Comicmacher innehaben.

Abschließend muss ich mich deshalb fragen, ob die gewonnene Sichtbarkeit politisch gedeutet und genutzt werden sollte, oder ob Gleichberechtigung nicht dann erst als erreicht gelten kann, wenn Sichtbarkeit nicht mehr politisch ist?

Nachtrag Juli 2020:

Seitdem ich den Artikel geschrieben habe, gab es tatsächlich einen Lichtblick, den ich an dieser Stelle nicht unbeachtet lassen kann. Im Mai 2020 brachte Netflix die Miniserie Hollywood heraus: „In post-World War II Hollywood, an ambitious group of aspiring actors and filmmakers will do almost anything to make their showbiz dreams come true.“.9

Ryan Murphy und Ian Brennan haben mit Hollywood eine Hommage an die Filmindustrie geschrieben und entwickeln doch einen kritischen Blick, denn in dem sie Diskriminierung und strukturelle Hürden thematisieren, arbeiten sie die Geschichte Hollywoods intersektional auf wodurch ein empowernder Gegenentwurf entsteht. Hollywood erzählt so eine multiperspektivische Geschichte, in der diverse Figuren in ihren persönlichen wie strukturellen Kämpfen um Anerkennung und Erfolg vielschichtig erfahrbar werden. Mehr davon!

1Begriffserklärung siehe Glossar „Postkolonialismus“.

2Begriffserklärung siehe Glossar „Rassismus“.

3Begriffserklärung siehe Glossar „Afrofuturismus“.

4Begriffserklärung siehe Glossar „POC“.

5Begriffserklärung siehe Glossar „White Privilege“.

6 Aus: McIntosh, Peggy (1988): White Privilege – Unpacking the Iinvisible Knapsack, 30-36, hier S. 32.

7 Hierzu Seeßlen treffend: „Das war die Crux des Panthers, immer noch: dass er am Ende doch auf das Wohlwollen von Weißen angewiesen war, als kommerzielles Produkt der Popkultur ebenso wie in seinen Geschichten.“ Seeßlen, Georg (2018): ‚Schwarze Superhelden, Afrofuturismus und Funky Space – Der popkulturelle Hintergrund des „Black Panther“‘. Comic.de, hier S. 6.

8Begriffserklärung siehe Glossar „Stereotyp“.

9Ryan Murphy/ Ian Brennan für Netflix: Hollywood (2020), <https://www.netflix.com/title/81088617&gt; [Letzter Aufruf: 23.07.2020].


Und wenn sie nicht gestorben sind…

Marvin Erdner

Foto: Miriam Hedrich

Der märchenhafte Faden, aus dem Träume gesponnen werden

Es war einmal eine Königstochter, die so schön war, dass sie seit ihrem 16. Lebensjahr in einem hohen Turm eingesperrt wurde und sie niemand in aller Königslande zu Gesicht bekam. Nachdem eine Elfe den Froschkönig in einen stattlichen Prinzen verwandelt hatte, ritt dieser zum Turm und befreite die Schönheit aus den Fängen ihrer bösen Stiefmutter und eines Drachen. Sie verschwanden am Horizont in Richtung Sonnenuntergang und wenn sie nicht gestoben sind, dann leben sie noch heute.

So oder so ähnlich sind unzählige Märchen aufgebaut. Die wenigsten Leser*innen werden allerdings an eine Prinzessin oder einen Prinzen gedacht haben, die nicht dem westlichen Schönheitsideal – also dünn, helle Haut, blaue Augen und blond oder brünett – entsprechen. Doch woher kommt dieses selbstverständliche Bild, möglicherweise durch den Einfluss von Kinderliteratur1? Seitdem berühmte Geschichtensammler wie die Gebrüder Grimm oder Hans Christian Andersen volkstümliche Erzählungen, Sagen und Geschichten zusammenschrieben, verloren ihre Märchen keinerlei Beliebtheit und sind auch noch heute – nicht nur bei Kindern – topaktuell. Dies wissen auch internationale Megakonzerne wie zum Beispiel The Walt Disney Company (kurz: Disney) zu schätzen: Mehrere Märchen wurden bereits mindestens einmal verfilmt und erwiesen sich kommerziell als äußerst profitabel. Leider aber stehen die Autor*innen von Disney immer wieder in der Kritik, Drehbücher oder die illustrative Umsetzung als zu rassistisch2 zu gestalten, was stark an die immer wiederkehrende Kinderbuchdebatte erinnert.

Problematische Darstellungen in Kinderliteratur

Die Problematik der rassistischen Klassifizierung zeigt sich in diversen Werken der Kinderliteratur: Während Hadija Haruna „Tim und Struppi“, „Pippi Langstrumpf“ und „Huckleberry Finn“ aufzählt – allesamt beinhalten in ihrer Originalfassung das N-Wort und auch anderweitig diskriminierend-beleidigendes Gedankengut –,3 konzentriert sich Stefan Hermes hingegen auf die Erzählungen von „Jim Knopf“.4 Gefährlich für Kinder und schwierig für „die“ Gesellschaft sind allerdings nicht nur die Benutzung einiger problematischer Begrifflichkeiten, sondern vielmehr die illustrative Darstellung in den Comics von Hergé und die Begründungen der Andersartigkeit, die in vielen Büchern fester Bestandteil der Erzählung zu sein scheint. Die Comics zu zensieren gleicht einer Mammutaufgabe, da die Stammesangehörigen aus dem Kongo bei Tim und Struppi in jedem Einzelbild stark auf Stereotype5 und der unterworfenen Kolonialstruktur basierend abgebildet sind. Denn es erscheint als sehr viel einfacher, das N-Wort aus der Geschichte Michael Endes zu streichen, als die Begründung, Jim Knopf sei dunkelhäutig, da er sich den Ruß der Lokomotive nicht mehr abwaschen könne, umzudichten.

Disney als Drahtzieher

Im Prinzip spiegelt die Repräsentation von Minderheiten in Disneyfilmen die grundsätzliche Zusammensetzung der Hollywoodfilme wider. Viele der bestbezahltesten, erfolgreichsten und beliebtesten Schauspieler*innen der Traumfabrik gehören der weißen Bevölkerung an; falls vereinzelt Personen mit anderer Hautfarbe oder anderer äußerer Merkmale Karriere machen, fällt dies auf. Und allein die Tatsache, dass es bemerkenswert ist, spricht für die Ungewöhnlichkeit, die Benachteiligung besagter Schauspieler*innen sowie gegen die Normvorstellungen in der Zuschauer*innenschaft. Es lässt sich mit Sicherheit darüber streiten, ob Disney seine Distribution von Schwarzen Menschen, Asiat*innen oder LatinX den Verteilungsstrukturen der Echtfilmbranche angepasst hat oder ob sie sich strikt nach den Vorlagen der Grimm’schen Märchen richten, die nun mal dem vorwiegend europäischen Aussehen entsprechen.

Nichtsdestotrotz behält sich der amerikanische Konzern das Recht vor, die Handlungen so zu verändern, dass diese unter dem Stichwort moderner Filmdramaturgie gefasst werden können. Warum benutzen die Autor*innen also nicht auch ihr Recht auf freies Umschreiben, um sozial benachteiligte und medial stark unterrepräsentierte Personen (Homosexuelle, Menschen mit Behinderung, Frauen als Held*innen und Migrant*innen) einzufügen, sodass von einem Spiegel der gegenwärtigen Gesellschaft die Rede sein kann? Einen Blick auf verschiedene Einzelfallbeispiele soll zeigen, inwieweit bei Disneyfilmen von Rassismus gesprochen werden kann und ob diese Diskriminierungsdebatten nicht gänzlich umgänglich gewesen wären.

Bereits in den Anfängen der Zeichentrickproduktion (1930er Jahre) gab es beispielsweise bei „Mickey Mouse“ rassistische Anspielungen, beziehungsweise Andeutungen mit Hakenkreuzen oder dem Hitlergruß, die zweifelsohne ein rechtsradikales Gedankengut vertreten haben. Diese Folgen wurden zwar inzwischen verboten, zeigen aber auch, dass die Macher*innen der Disneyfilme Gesellschaftsthemen, die gerade en vogue sind, mit in ihren Stories verarbeiten wollen.

Problemfälle von Vaiana bis Pocahontas

Ob hawaiianische Inselbewohner*innen bei „Vaiana“, amerikanische Ureinwohner*innen bei „Pocahontas“ oder Chines*innen bei „Mulan“, Disney erzählt gerne über fremde Kulturen und Länder. Dagegen ist per se nichts einzuwenden; Kindern könnte gar ihr Horizont erweitert oder ihre Reiselust könnte geweckt werden. Positive Assoziationen mit der „Otherness6“ sind in unseren modernen multikulturellen Gesellschaften unabdingbar und es ist wichtig, der unschuldigen und unmündigen Zuschauer*innenschaft ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass es eben diese kulturellen Unterschiede gibt – ganz frei von Wertungen, Vorurteilen oder Eurozentrismus. Leider ist das Problem, das speziell Zeichentrickfilmen unterliegt, die Abbildbarkeit und Plakativität. Damit die Zuschauer*innen folgen können, dass eine Person einer gewissen Ethnie angehört, wird diese eben mit einer bestimmten Hautfarbe oder Augenform versehen. So wird dann zum Beispiel suggeriert, dass sich alle amerikanischen Ureinwohner*innen nur mit Lendenschurz kleiden und gegen die „Anderen“ (die weißen Amerikaner*innen) kämpfen oder dass alle Chines*innen mandelförmige Augen haben, mit kleinen Drachen sprechen und die Kaiserfamilie verehren.

Problemfall Peter Pan

Nochmals verschärft wird dieser Diskriminierungseffekt eben nicht nur durch die alleinige Einblendung stigmatisierender Merkmale und Verhaltensweisen, sondern durch die Erläuterung eben dieser Merkmale. Wie schon angesprochen, verhält es sich mit dem Verbot einzelner Begriffe sehr viel einfacher umsetzbar als mit der Umschrift gesamter Passagen, so wie die Begründung, warum „Jim Knopf“ eine dunkle Haut hat und dem damit verbunden Wunsch sie dringend abwaschen zu können. Ebenfalls im Disneyfilm „Peter Pan“ zeigt sich eine dieser wirklich erschreckenden Problemfälle: Bereits die Darstellung eines Stammes amerikanischer Ureinwohner*innen, auf den Peter Pan und Käpt’n Hook treffen, ist mehr als zweifelhaft. Allerdings wird im Laufe einer Konversation angeführt, dass der Stamm der „Rothäute“ rote Haut besitzt, da vor einigen Jahren ein Eingeborene versuchte, mit einem Jungen anzubändeln und dieser vor Scham errötete. Auf diese Art wurden alle Angehörigen des Stammes rothäutig.7 Nicht nur, dass Kinder eine derart in sich schlüssige Logik glauben könnten, werden amerikanischer Ureinwohner*innen auf ihre Hautfarbe reduziert, die überprivilegierte Machtstellung der Weißen kommt wieder einmal zum Tragen und der Rückschluss von anderen Hautfarben mit möglichen Begründungen liegt zu nahe. Außerdem muss hinterfragt werden, ob diese schlichtweg auch falsche Information so relevant für die Handlung ist und warum die Autor*innen sie nicht einfach ausgespart hat.

Der nötige Lichtblick: Froschkönig

Schließlich wachten die Zeichentrickautor*innen im Jahre 2009 aus ihrem Dornröschenschlaf auf und ein absolutes Novum für Disney kam auf die Kinoleinwand: Die erste afroamerikanische Prinzessin im Film „Küss den Frosch“. Selbstverständlich war die Erwartungshaltung im Vorfeld auch dementsprechend hoch, endlich gab es eine Prinzessin als Hauptcharakter, die ein abweichendes Aussehen zur herkömmlichen Norm der Märchenverfilmungen aufwies. Allerdings gaben Kritiker*innen auch an, dass Tiana rund drei Viertel ihrer Sendezeit als Frosch zu sehen war und die Zuschauer*innen nur die restliche Zeit von knapp 20 Minuten ihr Antlitz als Mensch zu Gesicht bekamen. Außerdem wurde ein traditionelles Happy End mit Prinzen, Schloss und Glückseligkeit aufgehoben und durch ein fröhliches Ende mit eigenem Restaurant, aber ohne Märchenprinzen, ersetzt. Diese Wendung erinnert dann doch stark an den „American Dream“, der oft mit der afroamerikanischen Arbeiterschicht assoziiert wird.8

Der erhoffte Lichtblick: Aladdin

Der für 2019 geplante Spielfilm „Aladdin“ wird ebenfalls mit Hochspannung erwartet, da er den Helden zur Freude vieler Orientfans zu einem geforderten Comeback führt. Jedoch wird die eigentlich zu lobende Besetzung der Hauptcharaktere Aladdin, Jasmin und Jafar mit ethnologisch naheliegenden Schauspieler*innen von der Tatsache überschattet, dass über 100 der Kompars*innen und Nebencharaktere braungeschminkt werden mussten.9 Anstelle also einfach arabische Schauspieler*innen anzustellen, fand ein sogenanntes „Blackfacing“ statt, bei dem weiße Schauspieler*innen bevorzugt werden und absurderweise für Rollen engagiert werden, auf die sie gar nicht „richtig“ passen, was in der Rassismusforschung als „Whitewashing“ bezeichnet wird. Zudem wurde eine neue Rolle geschaffen, um irgendwie doch noch einen weißen Prinzen in die Story einzubauen: Der von Billy Magnusson verkörperte Charakter soll zwar gerade nicht den eliminierten Prinz Achmed ersetzen, ähnelt ihm in der Story aber doch zu stark.

Zurück zum roten Faden und ein Ausblick auf Mulan

Ausgehend von der umstrittenen Kinderbuchdebatte bezüglich diskriminierender Begriffe, problematischer Illustrationen sowie mehr als fragwürdiger Begründungen der gezeigten „Andersheit“, lassen sich viele Beobachtungen auch auf eine fundierte Diskussion über Filme aus dem Hause Disney übertragen. Besonders mithilfe von Zeichentrickdarstellungen werden fremde Kulturen innerhalb untergestellter und negativer Stigmatisierungen repräsentiert, welches der kindlichen Zuschauer*innenschaft ein Abbild von Vorurteilen und Verallgemeinerungen suggeriert. Die neu erschienenen Filme „Küss den Frosch“ und „Aladdin“ lassen zwar erste Zeichen des Umdenkens erahnen, reichen allerdings in ihrer tatsächlichen Umsetzung nicht aus.

Ein weiterer potentieller Problemfall könnte die Neuverfilmung des Zeichentrickepos „Mulan“ 2020 werden. Es gibt bereits eine Onlinepetition von Disneyfans, die bewirken soll, dass zumindest der Cast der Hauptfiguren mit asiatisch-stämmigen Schauspieler*innen besetzt werden soll.10 Ein trauriges Detail, aber angesichts bisheriger Fauxpas des Megakonzerns völlig angebracht. Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich die Repräsentation von ethnischen Minderheiten in Disneyfilmen künftig entwickeln wird und ob die stetige und berechtigte Kritik endlich ausreichend Früchte trägt – natürlich gesunde Früchte und keine vergifteten Äpfel einer gewissen bösen Stiefmutter. Und wenn die Autor*innen der Disney-Blockbuster nicht gestorben sind, dann schreiben sie noch heute den nächsten Kinderfilm.

1Zur Kinderbuchdebatte siehe die Blogbeiträge vom 10. und 17. Juli 2020.

2Begriffserklärung siehe Glossar „Rassismus“.

3 Haruna, Hadija: (K)Eine zeitlose Kunst (24.02.2014), <https://www.boell.de/de/2014/03/26/keine-zeitlose-kunst&gt;

4 Hermes, Stefan: „Warum soll man nicht schwarz sein?“. Blackness und Whiteness in Michael Endes Jim-Knopf-Romanen. In: Acta Germanice. German Studies in Africa (2015, Band 43). S.9-27.

5Begriffserklärung siehe Glossar „Stereotyp“.

6Zur negativen Kehrseite siehe „Othering“ im Glossar.

7 Peter Pan – What makes the Red Man Red? (German) (02.06.2012) < https://www.youtube.com/watch?v=-MjCsNNXs2M&gt;

8Fischer, Jonathan: Black to the Future (11.12.2009), < http://www.spiegel.de/kultur/kino/disney-film-kuess-den-frosch-black-to-the-future-a-666051.html&gt;

9Moore, Rose: Aladdin’s Whitewashing could Seriously Damage its Box Office Potential (09.01.2018),
< https://screenrant.com/disney-aladdin-whitewashing-controversy&gt;

10Tv Spielfilm: Rassismus-Vorwürfe: Disney steht wegen “Mulan” und “Vaiana“ in der Kritik (20.09.2016), <https://www.tvmovie.de/news/rassismus-vorwuerfe-disney-steht-wegen-mulan-und-vaiana-der-kritik-90223&gt;


Ein Appell an die Empathie – ein Erfahrungsbericht in Schwarz-Weiß

Marvin Erdner

Disclaimer: Dieses Essay beginnt mit einem Gedankenexperiment. Mit dieser Erzählung eröffnet der Autor eine umgekehrte, fiktionale Perspektive auf Xenophobie und Strukturen der Ausgrenzung aufgrund von Herkunft, um anschließend die Realität von Rassismus tiefgehend zu schildern. Die hierfür genutzte fiktive Umkehrung soll keinesfalls „Reverse Racism“ affimieren! Aufgrund der tatsächlichen Geschichte ist Rassismus gegen weiße Menschen in unseren Gesellschaften schlichtweg unmöglich. (Redaktion, 14.08.2020)

Der Traum von einem besseren Leben

Ich konnte es nicht fassen. Viele solche Situationen hatten mich ja inzwischen geprägt, aber der Fremdenhass, den ich tagtäglich nun ausgesetzt war, schien immer gravierender zu werden. Nach knapp zwei Jahren, die ich nun mit meinen Kindern und meiner Frau in Dubai lebte, fühlte ich mich alles andere als integriert – geschweige denn akzeptiert. Anfangs dachte ich noch, dass kleinere Auseinandersetzungen und Missverständnisse im Alltag völlig normal seien, doch inzwischen war ich mit meinem Latein am Ende, was ich denn noch unternehmen könne, um endlich den Status eines Einheimischen zu erlangen. Mein Leben lang war es kein Thema für mich, dass ich blond und blauäugig war. Zuhause in Frankfurt war ich immer beliebt. Und als ich dann auf Katja, meine Frau, traf, war mein Glück perfekt. Unsere Töchter Mia (6) und Sarah (10) wurden beide in Deutschland geboren und eigentlich sollten sie dort auch aufwachsen.

Leider jedoch lösten die politisch unstabilen Verhältnisse und die Inflationsrate nach dem Staatsputsch kriegsähnliche Zustände in Deutschland aus – kein gutes Umfeld für meine kleine Familie. Daher machten wir uns auf den Weg der Ostroute, über Ungarn, Griechenland, Türkei und Saudi-Arabien in die Vereinigten Arabischen Emirate. Diese waren unser Traumziel. Bereits die Überfahrt zerrte aber an unseren Nerven: Zum einen fühlte ich mich gezwungen, all unsere Ersparnisse dafür auszugeben, zum anderen musste wir meine Eltern in Deutschland zurücklassen, denn sie hätten diese lange Reise nicht überstanden. Und dann war da natürlich noch die Angst. Das Ungewisse. Zunächst kamen wir in einer Unterkunft für Weiße unter, doch die Zustände dort waren mehr als dürftig. Allerdings fand ich keine Wohnung und das, obwohl wir doch so dringend eine brauchten. Jedes Mal, wenn potenzielle Vermieter*innen meinen Namen lasen oder ein Bild von mir in den Händen hielten, wurde ich direkt aussortiert. „Wir wollen mit Weißen nichts zu tun haben!“, „Immer diese Deutsche, die wollen doch eh nur unser Geld!“ bekam ich öfter zu hören. Leider war meine Jobsuche nicht wirklich erfolgreicher: Jobs, in denen man perfektes Arabisch vorweisen musste, kamen sowieso nicht in Frage. Allerdings antworteten die meisten Arbeitgeber*innen auch nicht auf Bewerbungen für handwerkliche oder soziale Berufe. Es war mir sogar verwehrt, einen Job als Mechatroniker zu finden – immerhin war ich Meister in Deutschland. Ach ja, selbst wenn ich einen Job gefunden hätte, stand gar nicht fest, ob ich diesen auch ausüben könnte. Die Behörden schienen vor der Mammutaufgabe zu stehen, uns Ausländer*innen in „Geduldete“, „Abgeschobene“ und „Migrierte“ einzuteilen.

Nun fand ich mich auf offener Straße wieder, komplett zusammengeschlagen von einigen ortsansässigen Jugendlichen und wurde von ein paar Schaulustigen gefilmt. Bestimmt würde ich in den nächsten Tagen der neue Star eines immensen Shitstorms auf den Sozialen Medien werden – inklusive rassistischer und xenophober Kommentare bezüglich meiner Hautfarbe, meiner Muttersprache und meiner Religion. Ich denke früher oder später findet man sich in einer solchen Situation mit gewissen Dingen ab: Die verstohlenen Blicke und das offensichtliche Tuscheln in der Öffentlichkeit störten mich schon längst nicht mehr. Vielmehr machte es mir zu schaffen, dass die arabische Bevölkerung durch mein weißes Äußeres mich direkt verurteilte. Meinen deutschen Namen Till Breidenbach musste ich stets buchstabieren und er wurde trotzdem immer falsch geschrieben. Meine Antwort „Dubai“ auf die Frage nach meiner Heimatstadt wurde mit Unglauben bestraft. Einige sprachen extra langsam mit mir, andere ignorierten mich direkt und wiederum andere warteten regelrecht auf den ersten Fehler, den ich machte, um mich dann selbstgefällig zu korrigieren oder mir zu sagen, dass mein Arabisch eben doch nicht gut sei. Auch nicht zu vergessen waren natürlich die unzähligen Male, in denen Einheimische ungeniert auf Arabisch über mich und generell die Deutschen referierten.

Falls es dann soweit kam, dass ich meine Herkunft und meinen halben Familienstammbaum erklären durfte, bekam ich oft Hitler als Stichwort zu hören und ich wurde nicht zu wenig gefragt, wo meine Lederhosen geblieben sind und warum wir eigentlich Sauerkraut essen. Als wir dann endlich eine Wohnung fanden, lag diese im sozialen Brennpunkt der Stadt – umzingelt von Ghettos der Brit*innen, Spanier*innen und der Franzosen*Französinnen. In anderen Stadtteilen allerdings war die fehlende Akzeptanz sehr spürbar: Mir wurde hinterhergejodelt und meiner Frau wurde vorgeworfen, sie trage kein Kopftuch, da sie sich keineswegs in die Kultur integrieren wolle. Dabei waren wir uns einig, dass wir unseren Töchtern die deutsche Kultur, mit der wir uns doch so wohlfühlten, erhalten wollten.

Später an diesem Tag wurde ich vor Polizei zum Vorfall befragt und es war nicht übersehbar, dass die Beamten mir kein Wort glaubten. Ich solle mich ja wohl nicht so anstellen und verstehen, dass die Situation der Migrationswelle für viele Dubais nicht tragbar sei. Die vermehrten Polizeikontrollen waren ebenfalls bei uns Weißen an der Tagesordnung und mir es schien es fast so, dass Artikel mit Kriminalfällen von Weißen mehr ausgeschlachtet wurden als solche der Einheimischen. Widerwillig ging ich nach Hause und mir viel plötzlich auf, dass diese soziale Ungerechtigkeit auch bei meinen Mädels auftauchte: Nicht nur ließen ihre Noten in Arabisch und den anderen Hauptfächern zum Wünschen übrig, auch in Sport, Kunst und Musik wurden sie von den einheimischen Lehrern benachteiligt. Als ich in den Bus stieg, wurde mir selbstverständlich kein Platz freigehalten – schließlich waren meine Verletzungen ja klar sichtbar –, obwohl es gerade Schulschluss war und viele Kinder ja nicht sitzen müssten. Ich entschied mich strikt dagegen, ins Krankenhaus zu gehen – wenn überhaupt hätte ich eh nur eine Matratze auf dem Boden im Flur bekommen, selbst wenn nicht einmal jedes Zimmer belegt gewesen wäre.

Die großen Werbeplakate in unserer unmittelbaren Nachbarschaft schienen an diesem Morgen wieder ausgewechselt worden zu sein; jedoch wieder mit arabisch aussehenden Personen, die für traditionelles Essen, die neueste Mode oder auch Gruppierungen der Moscheen warben. Dann erblickte ich unsere Mietwohnung – beziehungsweise, was noch davon übrig war. Später erfuhr ich, dass rechtsradikale Brandstifter*innen am Werk waren. Bestraft wurden sie allerdings nie – schließlich waren sowohl Polizeidirektor*in als auch Staatsanwalt*in stolze Araber*innen.“

Ein Erlebnisbericht im Negativformat

In der modernen, globalisierten Gesellschaft sind verschiedene Wellen der Ein- und Auswanderung zu verzeichnen; Integration scheint vielerorts das Nonplusultra der multikulturellen Gemeinschaft. Ob Fluchtkrisen, illegale Zuwanderung oder geplante Auswanderungen der Mittel- und Oberschicht, nachfolgende Prozesse von Fremdenhass, Diskriminierung und Rassismus sind nur allzu allgegenwärtig. Doch warum werden viele migrierte Neubürger*innen täglich mit xenophoben und inakzeptablen Situationen konfrontiert und inwieweit kann man dies unterbinden?

Der oben beschriebene Erlebnisbericht ist komplett fiktional, beruht aber auf diversen Erfahrungen emigrierter Einwanderer*innen, die immer einem gewissen Alltagsrassismus ausgesetzt sind.1 Nicht nur die direkten Folgen der Auswanderung (S.1), auch das soziale Ungleichgewicht in Bildung (S.3), auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt (S.2), im Sozialwesen (S.3) und in den Medien (S.3). Aber auch die folgende Generation – die der beiden Töchter – ist sozial unterprivilegiert (S. 3). Es ist keineswegs als Hetze zu verstehen; die arabische Gesellschaft in Dubai repräsentiert hier nun einen Beispielfall, es hätte genauso gut durch Houston, Peking oder Kapstadt ausgedrückt werden können. Selbstverständlich werden die Schilderungen durch Stereotype und Vorurteilen über die Deutschen inspiriert, von denen sich der Essay an dieser Stelle distanzieren möchte. Es dient lediglich zur Überspitzung.

Darf man denn noch weiß sein?

„Critical Whiteness“ oder auch die „Weißseinsforschung“ befasst sich äußerst kritisch mit Fragestellungen, ob und inwiefern die weiße Bevölkerung privilegiert wird.2 Daher erscheint es als sehr erstrebenswert, dass die Gruppe, von der alltäglicher Rassismus primär ausgehen kann, sich einmal in die Gruppe der Fremden hineinversetzt. Denn ein Umdenken kann schließlich nur stattfinden, wenn die Perspektive von der eines Außenstehenden zu der eines Betroffenen wechseln kann und muss. Erst durch diese Empathie erschließen sich ein Grad des Verständnisses und des Mitgefühls. Durch den nüchternen Erlebnisberichts des weißen Ich-Erzählers Till Breidenbach kann sich die Mehrheit der deutschen Leserschaft mit ihm identifizieren und dadurch, dass die Umstände des migrierten Deutschen derart an die gegenwärtige Situation der Flüchtlinge erinnert, kann der Leser im Umkehrschluss darauf schließen, wie es der ausgegrenzten Bevölkerung wahrscheinlich ergehen muss.

Der Aufsatz zeigt allerdings auch, dass verschiedenste Teile der Kultur oft über einen Kamm geschert werden: Die soziale Ausgrenzung findet nicht nur durch rein auf optischen Merkmalen basierende Rassifizierung wie die Hautfarbe, sondern auch durch traditionelle und geteilte Meinungen wie die Religion statt. Antisemitismus und Rassismus3 zum Beispiel sind zwar äußerst deckungsgleich, beziehen sich aber auf verschiedene Ausgangspunkte, zum einen der Religion, zum anderen die Ethnie. Diese fehlende Ausdifferenzierung gibt Anlass dazu, in der Gesellschaft auch in dieser Hinsicht ein Bewusstsein zu entwickeln. Nicht jeder Moslem*/jede Muslima* ist Araber*in oder Iraker*in, nicht jede*r Japaner*in ist Buddhist*in und nicht jede*r Katholik*in kommt aus Süddeutschland. Während es im Normalfall nicht möglich ist, äußere Merkmale zu verändern, sodass Rassismus minimiert wird, herrscht bei der Selektion einer Religion mehr Fluidität und Unbefangenheit – jedenfalls in der westlichen Welt.

Verallgemeinerungen bekämpfen durch Verallgemeinerungen

An dieser Stelle sollte auch darauf hingewiesen werden, dass eine binäre Gesellschaftseinteilung in Rassist*innen und jene, die unter ihnen leiden müssen ebenso fehl am Platz wäre, wie die Einteilung der Bevölkerung in Schwarz und weiß an sich. Es gibt durchaus weiße Menschen,  die sich gegen Rassismus einsetzen, anti-rassistisch sind, dennoch befinden sich auch diese in rassistischen Strukturen. Auch existieren wohl Personen, die zwar selbst rassistisch angefeindet werden, und zugleich rechtsradikale Meinungen vertreten bzw. unter anderen Umständen vertreten würden. Auswandern beruht eben auch auf dem Kompromiss, sich anpassen zu wollen und sich mit den gegebenen Umständen anfreunden zu können. Nichtsdestotrotz scheinen kleinere Taten des Alltagsrassismus4 an der Tagesordnung zu liegen. Dieser Ausländerhass hat zwar viele Gesichter, zeigt aber immer öfter sein Hässlichstes: Der Aufstieg der AfD in der gesamten Bundesrepublik lässt zweifeln5, ob die Xenophobie zu Kolonialzeiten oder unter dem Nationalsozialismus6 eine Renaissance erleben kann. Die politischen Parolen erscheinen dabei ebenso verallgemeinernd wie die sich häufenden Berichte über gemeine „weiße, deutsche Rassist*innen“, die oft ebenso fern von Einzelbürger*innen erscheinen, wie Berichte über prototypische Migrant*innen.

Nutzen solcher Erfahrungsberichte – bunt und in Farbe

Rassismus kommt innerhalb jeder Gesellschaft und in vielen Facetten vor. Es hilft uns, fremde und unbekannte Menschen einstufen und einordnen zu können. Heutzutage bringen Vorurteile und Stereotype7 Problematiken mit sich, da sich viele Mitbürger*innen ausgegrenzt und diskriminiert fühlen können. Ob durch ungewollte Kommentare oder Verhaltensweisen, Nichtwissen oder durch tatsächlich rassistisch motiviertes Gedankengut, Erfahrungsberichte von Betroffenen und der öffentlichen Bewusstmachung bei der Gruppierung, die etwas gegen Xenophobie unternehmen kann, können sich um Aufklärung bemühen. Die kritische Weißseinsforschung zeigt mit dem Finger direkt auf die privilegierte Bevölkerungsgruppe, während dem Teilen von Erlebnissen von Alltagsrassismus ein Zugehörigkeitsgefühl auslösen vermag. Verwandte Debatten in der Frauendebatte8, der Diskussion um die Integration von Menschen mit Behinderung oder Homophobie bedürfen einer ähnlichen Vorgehensweise des Wachrüttelns und Zugebens. Denn damit etwas gegen Ausländerfeindlichkeit und Fremdenhass passiert, müssen beide Seiten an einem Strang ziehen und die Farbpalette um mehrere Grau-Nuancen zwischen Weiß und Schwarz erweitern.

1Erlebnisberichte von: Walgenbach, Katharina: „Weißsein und Deutschsein – historische Interdependenzen.“ In: Eggers, Maureen (et al.) (Hg.): Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland. Münster 2005, S. 377-393

2Zur Kritische Weißseinsforschung in den Werken von Nguyen, Toan Quoc: Offensichtlich und zugedeckt – Alltagsrassismus in Deutschland (06.11.2014), <http://www.bpb.de/dialog/194569/offensichtlich-und-zugedeckt-alltagsrassismus-in-deutschland&gt; Rivuzumwami, Malaika: Jeder dieser Momente sticht (23.09.2017), <http://www.taz.de/!5449378/&gt;.

3Begriffserklärung siehe Glossar „Rassismus“.

4Zum Thema Alltagsrassismus siehe auch unserer Blogbeiträge vom 05. und 16. Juni 2020.

5Der Aufstieg der AfD und die verbundene Zukunftsangst thematisiert auch Rivuzumwami (S. 3).

6Walgenbach (S. 381.386) beschreibt detailliert die Stellung des „Deutschseins“ zu verschiedenen Epochen in der Geschichte des Deutschen Reiches und des geteilten Deutschlands.

7Begriffserklärung siehe Glossar „Stereotype“.

8McIntosh bezieht ihre Ansichten in der Debatte um die Frauengleichstellung in die Rassismusdebatte mit ein (S.30/31).


Ja, der M. muss gehen!

Leserbrief zu dem Artikel „Wo sind die Mohren aus dem Hotel-Logo geblieben?“, Augsburger Allgemeine, 31.08.20181

Samantha Pfaff

Die Fassade des Hotels 3M in der Maximilanstraße, Augsburg. (Foto: Miriam Hedrich)

Das Bildlogo der drei stilisierten Köpfe mit den stereotypen2 wulstigen Lippen wird aktuell in der Internetpräsenz des ehemaligen Steigenberger3Hotels in Augsburg vermisst. Als Relikte aus der kolonialen4 Geschichte Deutschlands – einer Zeit, in der weiße Menschen Schwarzen weniger Wert zusprachen – prägen die ‚Mohren‘ des ersten Hauses am Platz das Bild der Friedensstadt. Hat das Hotelmanagement das unselige Logo nach den rassismuskritischen5 Einwänden überdacht? Werden die Scherenschnittprofile, die im Hotelkontext breite Verwendung finden, ebenfalls stillschweigend verschwinden? Für die recht fadenscheinige Aussage, es handle sich bei der Internetseite lediglich um eine Frage verschiedener verfügbarer Layouts, findet die Berichterstattung leider keine eindeutigeren Worte. Anstatt den Impuls von außen als Chance zu sehen, ein Zeichen zu setzen, zur Reflektion und Aufarbeitung des kolonialen Fortwirkens, versucht die zentrale Hotelleitung durch die Behauptung die drei M. Stünden für Toleranz und Gastfreundschaft das Sprachgebilde nicht nur zu verharmlosen, sondern auch noch in ein positives Licht zu rücken. Im Zweifelsfall liegt das Problem also in der Gefühlswelt der betroffenen Menschengruppe; schließlich ist es ‚nicht so gemeint‘ gewesen. Keine überzeugenden Argumente im Sinne eines respektvollen, verletzungsfreien Miteinanders. Argumente, die sich in ein bekanntes Muster der Abwehrhaltung von Kritisierten einreihen, die mehr Kraft dafür aufwenden, den Anstoß von sich zu weisen, als etwas selbstkritisch zu hinterfragen, um zu einer konstruktiven Lösung zu kommen.

‚Habt ihr nichts Wichtigeres zu tun?‘ heißt es im Gegenwind an die Amnesty International Jugendgruppe Augsburg. Man könnte im Gegenzug fragen, warum Journalist*innen und Leserbriefschreibende so viel Atem und Zeit am Schreibtisch verschwenden, um gegen eine Umbenennung des Hotels anzugehen. Zeit, die man in die Bekämpfung des ‚echten‘ Rassismus investieren könnte? Das durch die Petition entfachte Medienecho ist zu begrüßen, wenngleich es als Schwarze Frau schmerzlich und erschreckend ist, aus den vielen Kommentaren und Zuschriften herauszulesen, wie tief diskriminierende Tendenzen in unserer Gesellschaft verankert sind. Einer Gesellschaft, die sich mehrheitlich als weiß definiert sehen will, in der es einfach und bequem sein kann, Menschen unter dem Deckmantel der Erhaltung von Tradition zu degradieren. Mit dem Wort ‚Mohr‘ wird der Mensch auf seine Hautfarbe und seine Andersartigkeit reduziert. Die Bedingungen, unter denen sich das Europa wie wir es heute kennen entwickeln konnte, stehen in direkter Verbindung zur Enteignung, Versklavung und Ausbeutung durch eben diese Staaten während der Kolonialzeit. Ist es ehrwürdig, an einer Tradition festzuhalten, die mit diesen Gräueltaten und den fortwährenden Verhältnissen von Ungleichheit und Unterdrückung assoziiert wird? Warum muss die historisch gewachsene Kategorisierung der Menschen durch diese Einflüsse in der Gegenwart und auch zukünftig aufrechterhalten werden?

Wie auch immer geartet der Grund für das Verschwinden des M. Logos – bei der Beibehaltung des Namens geht es nicht um eine erhaltenswerte Tradition. Das Traditionsbewusstsein wäre bei einem Namen wie ‚Drei Mönche‘ oder ‚Drei Mauren‘ ebenso gegeben. Es ist unverkennbar, dass eine Namensänderung rassistische Denkweisen nicht ausradieren kann, doch sie würde die Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit Augsburgs ins öffentliche Bewusstsein rücken. Bemühungen um die Beibehaltung des Namens hingegen, entbehren jeglichem Sinn von Empathie und gemeinsamer Verantwortung, und verkennen letzten Endes die Unantastbarkeit der Menschenwürde als Grundpfeiler einer gleichberechtigten und diskriminierungsfreien Gesellschaft.

Ein Appell zum Umdenken

Leserbrief von A. Bekbulatow

Prestle, Nicole und Franz Häussler: „Streitfall. Wie das Hotel ‚Drei Mohren‘ zu seinem Namen kam“, Augsburger Allgemeine (23.08.2018)

(Foto: Miriam Hedrich)

Sehr geehrte Frau Prestle, sehr geehrter Herr Häussler,

mit Interesse habe ich Ihren Artikel „Streitfall: Wie das Hotel „Drei Mohren“ zu seinem Namen kam“ vom 23.08.2018 in der Augsburger Allgemeinen gelesen. Jedoch kam ich nicht umhin zu bemerken, dass Sie gleich zu Beginn Ihres Artikels sehr auf den Aspekt der Tradition pochen, welche das Hotel und sein Name innehaben, und dies auch im weiteren Verlauf immer wieder hervorheben, aber im Gegenzug die Position der Jugendgruppe von Amnesty International (AI) nur beiläufig erwähnen. Als Studentin der Universität Augsburg beschäftige ich mich derzeit mit dem Thema Postkolonialismus6 und damit zusammenhängend mit rassistischer7 Sprache. Ich bin der Meinung, dass der Artikel und insbesondere die gewählte Komposition der Formulierungen, eine unvoreingenommene Auseinandersetzung mit dem Thema schwierig machen.

Wie von der Jugendgruppe von AI angebracht, perpetuiert der Hotelname eine rassistische Sprache, welche in Verbindung mit dem kulturellen Gedächtnis des Kolonialismus steht. Die direkte Gegenüberstellung dieses Arguments mit Ihrer nachfolgenden Haltung „Nur: Das Drei Mohren heißt bereits seit Jahrhunderten so…“, reflektiert dabei leider einen Widerwillen sich auf eine notwendige Auseinandersetzung mit solchen Begriffen einzulassen. Im Folgenden Ihres Artikels, wird auch kein weiterer Bezug auf die Argumentation der AI Jugend für die Umbenennung genommen, welche die Dringlichkeit Ihrer Argumentation schmälert. Dabei stünde eine Umbenennung keineswegs gegen die Tradition. Wenn der vermeintlichen Entstehungsgeschichte tatsächlich so viel Wichtigkeit zugemessen wird, sollten die vorgeschlagenen Alternativen wie ‚Drei Mauren‘ oder ‚Drei Mönche‘ in Betracht gezogen werden, da diese auf die Legende und Tradition Bezug nehmen ganz ohne eine rassistische Sprache zu perpetuieren.

In diesem Zusammenhang ist auch die Nennung der langen Tradition des Begriffs ‚Mohr‘, welche als Versuch der Rechtfertigung für den Hotelnamen angesehen werden kann, problematisch. Zum Einen hat sich die Konnotation des Begriffs mit der Zeit enorm gewandelt und zum Anderen enthält seine heutige Verwendung deutliche Spuren eines rassistischen Diskurses, welcher nicht bedenkenlos fortgeführt werden darf. Dabei stößt vor allem der letzte von Kunsthistoriker und Hotel-Chronist Wiercinski wiedergegebene Satz bitter: auf „Negativ gemeint war er nie“. Da keinerlei Kommentar zu dieser Aussage im Artikel folgt, lässt sich vermuten, dass Sie seine Meinung teilen. Dieser Schlusssatz, welcher dem Leser üblicherweise in Erinnerung bleiben soll, stellt aber eine verharmlosende Haltung dar, welche den privilegierten Status der von Rassismus nicht betroffenen Personen widerspiegelt und dabei die Betroffenen ignoriert.

Durch diese Formulierungen, seien sie nun bewusst oder unbewusst so getroffen, entsteht bei mir als Leserin der Eindruck, dass in der Debatte um die Umbenennung des Hotels ein voreingenommener Standpunkt präsentiert und die Position der Befürworter*innen nicht ernst genommen wird. Da es sich nicht um einen Kommentar, sondern um einen Artikel handelt, der über die Herkunft des Hotelnamens informieren soll, wäre eine neutrale Haltung wünschenswert gewesen. Natürlich darf der eigenen Meinung kundgetan werden. Hier aber stellt sich scheinbar ein Widerwille ein, sich ausführlich mit beiden Positionen auseinanderzusetzen. Deswegen bitte ich Sie als Journalist*innen auch der Argumentation der Gegenposition mit Verständnis entgegenzutreten und diese in Ihrer zukünftigen Berichterstattung zu berücksichtigen anstatt sie als marginal abzutun.

Mit freundlichen Grüßen

Albina Bekbulatow

Nachtrag der Redaktion: Am 05.08.2020 gab das Hotel die Entscheidung für eine Namensänderung bekannt. Künftig solle das Hotel „Maximilian’s Hotel“ heißen und so „Gäste aus aller Welt und aller Kulturen ansprechen“. Siehe etwa die Bekanntgabe auf dem hauseigenen Instagramkanal: hier oder auch die Berichterstattung in der Süddeutschen Zeitung. (Stand: 06.08.2020)

1 Prestle, Nicole: „Wo sind die Mohren aus dem Hotel-Logo geblieben?“, Augsburger Allgemeine. <https://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/Wo-sind-die-Mohren-aus-dem-Hotel-Logo-geblieben-id52059231.html&gt; [Letzter Zugriff: 12.04.2020].

2Begriffserklärung siehe Glossar „Stereotyp“.

3Im Mai 2019 gab das Hotel bekannt, dass es sich ab Januar 2020 von der Steigenberger Hotel AG trennen wird. Es wird nun als Drei Mohren Hotel weitergeführt.

4Begriffserklärung siehe Glossar „Kolonialismus“.

5Begriffserklärung siehe Glossar „Rassismus“.

6Begriffserklärung siehe Glossar „Postkolonialsmus“.

7Begriffsklärung siehe Glossar „Rassismus“.


Drei Möhren für Augsburg

Kommentar von Rebekka Utesch

(Foto: Miriam Hedrich)

Wenn es im Jahr 2018 einen ‚Skandal‘ in Augsburg gab, dann war es wohl die Petition der Augsburger Jugendgruppe von Amnesty International im Juli, die sich für eine Umbenennung des ehemaligen Steigenberger-Hotels1 Drei Mohren ausspricht. Eine Welle der Empörung ging durch die Stadt und man konnte der Debatte nicht entkommen. Der Vorschlag, man könne das Hotel doch ‚Drei Möhren‘ nennen, wurde, zu meinem blanken Erstaunen, tatsächlich von so vielen Menschen ernst genommen, dass ich mich fragte, ob den aufgebrachten Augsburger*innen nicht einfach nur Argumente gegen die Umbenennung fehlten. ‚Drei Möhren‘ sei lächerlich, man nehme das international hochgelobte Hotel nicht ernst, möchte ihm sogar schaden. Da wunderte es mich, dass den Menschen nicht auffiel, dass die Verwendung von ‚Möhre‘ anstelle des M-Wortes in Deutschland schon mehrfach vorkam, um aufzuzeigen, dass dieses Wort in seiner Bedeutung rassistisch und diskriminierend ist und durch zwei kleine Striche erst mal entschärft werden kann. Aber hier zeigt sich das eigentliche Problem: Man müsste sich damit auseinandersetzen, was ein Wort bedeutet, was die eigene Geschichte bedeutet und vor allem, was es für Mitmenschen bedeutet, die durch diese Begriffe offen diskriminiert werden.

Leider ist in dieser Debatte von Seiten der Augsburger Allgemeinen sehr einseitig berichtet worden. Wünschenswert wäre es gewesen, in Augsburg lebende Schwarze Menschen zu befragen, was sie denn zu diesem Namen zu sagen haben. Denn leider sind sie es, die am Ende wissen was es heißt, aufgrund der Hautfarbe und Herkunft diskriminiert zu werden. Aber stattdessen lese ich einen Kommentar der Redaktionsleiterin Nicole Prestle (Augsburger Allgemeine, 22.08.2018), betitelt mit „Über’s Ziel hinausgeschossen“: „‘Drei Möhren‘? Lächerlich. Umbenennung? Hat AI nichts Besseres zu tun? Hotel Steigenberger ist wahlloses Opfer.“ Hier schafft es diese Frau Prestle, innerhalb von drei kurzen Absätzen, das Engagement junger Menschen zunichte zu machen. Einfach so. Und Augsburg applaudiert. Natürlich wissen wir alle, dass diese Welt ganz andere, bestimmt auch bedeutendere Probleme hat als den Namen eines Hotels, einer Apotheke, eines Gasthauses. Aber wir alle wissen auch, dass wir nicht von heute auf morgen mit einem Fingerschnippen die Welt retten können. Dass wir kleinen Menschen diese großen Probleme nicht einfach so lösen können. Warum also kehren wir nicht erst einmal vor unserer eigenen Haustür, und beginnen damit, die Dinge, die wir alle selbst und unkompliziert ändern können, anzupacken? Warum beginnen wir also nicht damit, den leider immer noch vorhandenen Alltagsrassismus aus unserer Gesellschaft zu verbannen?

„Aber das „Drei Mohren“ heißt schon immer so, das ist Tradition.“, „Ich lass mir nicht den Mund verbieten, ich sag‘ auch immer noch Mohrenkopf“. „Wenn man das Hotel umbenennt, ist es nicht mehr dasselbe.“ Solche und ähnliche Argumente begegnen mir, als ich mich durch die Kommentare der Gegenpetition „KEINE Umbenennung des Hotel Steigenberger Drei Mohren“ klicke. Nein, das Hotel Steigenberger wird nicht an Qualität verlieren, wenn es sich umbenennt. Nein, Traditionen sind nicht unantastbar. Nein, die Legende, auf die der Name angeblich zurückgeht, ist kein historischer Fakt, sondern eine Legende. Und selbst wenn es sich um eine wahre Geschichte handeln sollte: wäre es dann wichtig, die Gastfreundschaft des Hotels damit zu begründen, dass der Wirt einmal nicht-weiße Menschen bei sich aufgenommen hat? Oder sollten Herkunft, Hautfarbe und Religion nicht vollkommen egal und alle Reisende selbstverständlich willkommen sein? Und zuletzt: Nein! Niemand möchte irgendwem den Mund verbieten, Sprachterrorismus oder Meinungsdiktatur betreiben. Amnesty wollte vor allem eines, eine Diskussion um alltäglichen, meist unbewussten Rassismus anstoßen, Selbstreflektion fördern, und dazu anregen, sich die Vielfalt der deutschen Sprache bewusst zu machen. Es schadet niemandem, das M-Wort und ähnliche Begriffe nicht mehr zu nutzen. Wer wirklich meint, dies sei ein Argument gegen die Umbenennung des Hotels, der muss auch damit rechnen, als unreflektiert und diskriminierend kritisiert zu werden.

Man kann nur den Hut ziehen vor diesen jungen Menschen, die etwas in dieser Welt bewegen wollten und sich auch dafür einsetzen, entgegen jedem Spott und Hohn, den sie nun aushalten müssen.

Weiterführende Links zur Debatte:

Link zur Petition von AI zur Umbenennung des Hotels

Amnestyjugend Augsburg auf Instagram

Link zur Gegenpetition

1Im Mai 2019 gab das Hotel bekannt, dass es sich ab Januar 2020 von der Steigenberger Hotel AG trennen wird. Es wird nun als Drei Mohren Hotel weitergeführt.


„Do we have a limited view?“1

Miriam Hedrich

White Supremacy – weiße Vorherrschaft – beschränkt sich niemals nur auf Politik, weder in Nordamerika noch in Europa. Trotz der gesetzlichen Abschaffung der Sklaverei und diversen Anti-Diskriminierungsgesetzen besteht die Vorherrschaft Weißer immer noch. Denn dabei handelt es sich hauptsächlich um „ein unsichtbares Bündel aus alltäglichen Vorteilen“1 auf der Basis von Weißsein. Weißsein meint ohnehin mehr als die Hautfarbe oder einen biologisch hergeleiteten Status; „[s]tattdessen handelt es sich um eine gesellschaftlich konstruierte Kategorie, die nichtsdestotrotz in ihren Auswirkungen real ist.“2Als solche zieht sie sich durch alle alltäglichen und außeralltäglichen sowie gesellschaftlichen und individualisierten Bereiche. Darunter fällt für Menschen of Color und BIPoC (engl. People of Color, kurz PoC)3 ein erhöhtes Risiko von der Polizei kontrolliert zu werden, genauso wie eine Abweisung beim Friseur aufgrund der Haarstruktur. Auch die Herkunftsfrage ist ein prominentes Beispiel, impliziert sie doch eine Abweichung von der (soll heißen unserer, weißen) Normalität. Wer nicht weiß ist, kann kein*e echte*r Deutsche*r sein, folglich muss er oder sie fremd, ein*e Andere*r (englisch: alien)sein. Indes bleiben die freien Gebiete der Kunst und Kultur, da der Kreativität zugehörig, davon ebenso wenig verschont. Joseph Beuys hat zu Kreativität und Freiheit in seinen Richtkräften einer neuen Gesellschaft folgendes geschrieben: 

Die Kunst ist das Bild des Menschen selbst. Das heißt, indem der Mensch mit der Kunst konfrontiert ist, ist er im Grunde mit sich selbst konfrontiert. Er öffnet sich dann selbst die Augen. Also ist angesprochen der kreative Mensch, seine Kreativität, seine Freiheit, seine Autonomie. […] Und einen Ausweg gibt es allein durch einen erweiterten Kunstbegriff, der anthropologisch ist, der wirklich ernst nimmt, dass jeder Mensch ein Künstler ist, dass in jedem Menschen ein kreativer Kern ist.4

Beuys setzt somit Kunst mit Kreativität, Freiheit und Autonomie des Menschen gleich. Sein Ausspruch ist fast ein halbes Jahrhundert alt. Allerdings zeigt sich auch heute noch, dass eben nicht alle Menschen frei und autonom Kunst schaffen dürfen, ohne dass an sie oder ihre Kunst ein von weißer Vorherrschaft geprägter Maßstab gesetzt wird. 

Und diese Gewalt, diese Macht die über den schwarzen Körper ausgeübt wird, zeigt sich eben auch, wenn in der Popkultur die starken und mächtigen Menschen, die Retter, die Helden, die großen Genies und Wissenschaftler, die waghalsigen Astronauten und Sternfahrer, selbst Supermänner von anderen weitaus höher entwickelten Zivilisationen und anderen Planeten, im Mainstream von Comics, Science-Fiction Romanen und Filmen fast ausschließlich weiß sind.5

Auf Grundlage dieser Vorüberlegungen stellt sich mir die Frage, wie die Vorherrschaft von Weißen und Weißsein in den Bereichen der Kunst und Kultur konkret gestaltet ist?6

„One oft the most ways white supremacy is disseminated is through media representations, which have a profound impact on how we see the world.“7

Betrachtet man die Kategorien rund um Film und Fernsehen, kommt man an Hollywood und der Verleihung der Academy Awards als eine der weltweit renommiertesten Auszeichnungen in diesem Gebiet nicht umhin. Dieses Jahr (2019) werden sie zum 91. Mal verliehen; in den bisher 90 Jahren der Verleihung bekamen insgesamt 34 schwarze Menschen einen Oscar.8 Auf diese deutliche Unterrepräsentanz von Schwarzen Menschen im Speziellen und BIPoC im Allgemeinen Bezug nehmend, führte die Aktivistin April Reign 2015 den Hashtag #OscarsSoWhite auf der Internet-Plattform Twitter ein.9 Strukturell verändert hat sich die Academy 2017, als insgesamt 800 neue (Entscheidungs-) Mitglieder eingeladen wurden. Dies hob sowohl den bisherigen Anteil an BIPoC als auch an Frauen an. Dies könnte als Fortschritt gewertet werden, wenn nicht die große Mehrheit der Entscheidungsträger immer noch weiß und männlich wäre. Nicht anders verhält es sich mit den Nominierungen und Gewinnern (nicht Gewinnerinnen!).10

Dass Schauspieler*nnen of Color und Schwarzen Schauspieler*innen oftmals klischeebesetzte Rollen angeboten werden, stellt ein weiteres Problem dar. Besonders beliebt scheinen hier die Parts als Sidekick oder Komiker*in, aber auch als Sklave*Sklavin, Butler*Hausmädchen oder Gangmitglied zu sein.11 Dies unterstützt bestehende rassistische Stereotype12 und hilft somit nicht, diskriminierende Denkmuster und -haltungen und letztendlich grundlegende rassistische Strukturen nachhaltig abzubauen. Auch wird die künstlerische Freiheit eines jeden Individuums – im Sinne Beuys – umfassend eingeschränkt, indem Schauspieler*innen in Rollen über sich als BIPoC gedrängt werden, die lediglich eine weiße Sicht auf sie wiedergeben. Diese Eindimensionalität ist meiner Meinung nach in erster Linie moralisch verwerflich, wirkt sich jedoch gleichfalls negativ auf die Wirtschaftlichkeit der Film- und Fernsehindustrie aus. Laut des Hollywood Diversity Reports weisen Serien mit einer heterogeneren Besetzung höhere Einschaltquoten auf und ebensolche Filme verzeichnen höhere monetäre Gewinne.13

Innovativ ist dieser Ansatz nicht. In den 1970ern etablierte sich ein bis dato neues Filmgenre – Blaxpoitation. Bereits die Wortneuschöpfung aus black und exploitation lässt erahnen, dass die Motivationen hierzu nicht rein gleichstellungsorientierter Natur waren. Zwar wurden Schwarze Menschenals mögliches Publikum erkannt, allerdings mit dem Fokus auf dessen Wirtschaftlichkeit.14 In welcher Hinsicht Veränderungen wie diese und die oben genannte diversitätsorientierte Aufstockung der Academy of Motion Picture Arts and Sciences unter Kenntnis dieses ökonomischen Antriebs noch als authentisch angenommen werden können, ist fraglich. Als negativ erweist sich sicherlich, dass Diversität aufgrund rein wirtschaftlicher Interessen real existierende Individuen quantifiziert und objektiviert. Interessant sind ergänzend dazu auch Robin DiAngelos Daten zur Diversität innerhalb der Führungspositionen der Film- und TV-Industrie: Die Personen, die die Entscheidungsmacht über das TV-Programm in den USA haben, sind zu 93% Weiße. 95% der Regisseure der weltweit kommerziell erfolgreichsten Filme aller Zeiten (bis 2016/2017) sind ebenfalls weiß.15

Als Gegenentwurf zur weiß geprägten und dominierten Kunst- und Kulturszene sind die Strömungen des Afrofuturismus16 zu begreifen. Sie dienen als Felder, in denen der Status quo von Schwarzen Menschen neu verhandelt werden kann. Damit einher geht auch die Neuverhandlung der (gemeinsamen) Zukunft. Angestrebt wird ein gleichberechtigter Platz von Schwarzen Menschenin allen Lebensbereichen und somit deren Gleichstellung gegenüber Weißen. Kunst und Kultur fungieren in diesem Zusammenhang einerseits als kreative Ausdrucksmöglichkeiten und Darstellungsmittel. Andererseits ist Afrofuturismus aufgrund der anhaltenden Geschichte der Diskriminierung von Schwarzen Menschen im Speziellen und BIPoC im Allgemeinennie als unpolitisch anzusehen. Schon allein, dass eine Gruppe von Menschen sich aufgrund der ideologischen Indoktrination einer anderen Gruppe als Alien (im Sinne von fremd, anders und nicht zuletzt außerirdisch) fühlen muss, zeigt ein ungleiches Machtgefüge zugunsten einer Gruppe – der Weißen – auf. Davor, Afrofuturismus folglich als reine Genrebezeichnung zu sehen, warnt auch Peggy Piesche. Wie bereits angedeutet handelt es sich hierbei vielmehr um eine Widerstandsbewegung von Schwarzen Menschen mit dem Zweck der Befreiung von gesellschaftlich konstruierten rassistischen Grundstrukturen. Afrofuturismus lässt sich also durchaus als künstlerisch ausgedrückter Lösungsansatz mit politischer Intention gegen die Diskriminierung anderer Menschen begreifen.  

Resümierend lässt sich feststellen, dass gerade Film und Fernsehen ein von Weißen und ihren Vorstellungen über BIPoC dominiertes Gebiet zu sein scheint. Dabei besitzt es einerseits eine global und gesellschaftlich erhebliche Reichweite17 und andererseits Macht zur kontinuierlichen Legitimation der weißen Vorherrschaft. Als Ausblick für eine gleichgestellte Zukunft lässt sich mit Karl Marx‘ Worten sagen: „Kunst: nicht ein Spiegel, den man der Wirklichkeit vorhält, sondern ein Hammer, mit dem man sie gestaltet.“18

1 McIntosh, P., White Privilege: Unpacking The Invisible Knapsack, in: Independent School, Vol. 49, Nr. 2/1990, S. 31 – 35.

2 Vials, Ch., White Supremacy. Geschichte und Politik des Weißseins in den USA, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 12/2018, online: https://www.bpb.de/apuz/266277/white-supremacy-geschichte-und-politik-des-weissseins-in-den-usa?p=all, aufgerufen am 07.01.2019.

3 Begriffserklärung siehe Glossar „POC“.

4 Beuys, J., Richtkräfte einer neuen Gesellschaft, 1974, Nationalgalerie Berlin.

5 Dreier, J., Afrofuturismus. Widerstand gegen eine weiße Zukunft, online: https://www.deutschlandfunkkultur.de/afrofuturismus-widerstand-gegen-eine-weisse-zukunft.976.de.html?dram:article_id=376520, aufgerufen am: 08.01.2019.

6 Da ich dies lediglich im Rahmen eines kurzen Essays behandeln werde, werde ich exemplarisch und subjektiv vorgehen; subjektiv, da die im Folgenden angeführten Beispiele von mir ausgesucht wurden.

7 DiAngelo, S. 31.

8 Vgl. Steinhart, M., Oscars so schwarz, in: Die Zeit, online: https://www.zeit.de/kultur/film/2017-02/oscarverleihung-2017-rassismus-vorwuerfe-diskriminierung-nominierungen/komplettansicht, aufgerufen am: 08.01.2019 und o. A., Oscars 2018. Das sind die Gewinner, in: Spiegel, online: http://www.spiegel.de/kultur/kino/oscar-gewinner-2018-alle-nominierten-und-gewinner-auf-einen-blick-a-1194656.html, aufgerufen am: 08.01.19

9 Schulman, M., Is the Era of #OscarsSoWhite over?, in: The New Yorker, online: https://www.newyorker.com/culture/cultural-comment/is-the-era-of-oscarssowhite-over, aufgerufen am: 08.01.2019.

10 Vgl. ebd.

11 Vgl. Seeßlen, G., Schwarze Superhelden, Afrofuturismus und Funky Space – Der popkulturelle Hintergrund des “Black Panther”, online: comic.de und Steinhart.

12 Begriffsklärung siehe Glossar “Stereotype”.

13 Hunt, D., u. a., Hollywood Diversity Report 2018. Five Years of Progress and missed Opportunities, UCLA College, Social Scienes 2018, S. 74f. 

14 Sander, D., Blaxploitation-Kino. Superhelden aus dem Ghetto, Spiegel, online: http://www.spiegel.de/einestages/blaxploitation-kino-a-948299.html, aufgerufen am 08.01.2019.

15 DiAngelo, S. 31.

16 Begriffserklärung siehe Glossar „Afrofuturismus“.

17 DiAngelo, S. 31f.

18 Marx, K., zitiert in: Knischek, S., Lebensweisheiten berühmter Philosophen. 4000 Zitate von Aristoteles bis Wittgenstein, humboldt Hannover, 2008, S. 218.


Von Asterix und Rassismus

Vincent Hoyer

Figuren aus den „Asterix und Obelix“-Comics von Goscinny und Uderzo, 33 Rue de la Buanderie, Brüssel (Foto: https://de.wikipedia.org/wiki/Figuren_aus_Asterix#/media/Datei:Ast%C3%A9rix_&_Ob%C3%A9lix_Bruxelles_rue_de_la_Buanderie.jpg).

Stefan Hermes1 und Hadija Haruna2 beschäftigen sich in ihren Texten mit rassistischen Stereotypen3 bei Hergés Tim und Struppi und Michael Endes Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer. Sie stellen fest, dass in den von ihnen betrachteten Werken rassistische Klischees reproduziert werden, und positionieren sich zu deren Überarbeitung und Angleichung an zeitgenössische Standards. Eine Comicreihe, die sich ungebrochener Beliebtheit erfreut, ist Asterix von Autor René Goscinny und Zeichner Albert Uderzo. Dennoch oder gerade deshalb muss gefragt werden, inwiefern bei Asterix Rassismen4 zu finden sind. Der vorliegende Essay widmet sich anhand von ausgewählten Beispielen dieser Frage.

Eine Figur, an der sich rassistische Stereotype festmachen lassen, ist der ‚Numider‘ Baba. Er arbeitet auf dem Ausguck eines Piratenschiffes, das die Gallier, allen voran Asterix und Obelix, als eine Art Running Gag regelmäßig zerstören. Die Autoren legten Baba schwarz an, mit großen roten Lippen, schielenden Augen, gekräuseltem Haar, exotisierendem5 Namen und einen Sprechfehler: Baba kann das ‚R‘ nicht aussprechen, es wird jeweils apostrophiert. In Astérix chez les Bretons (1966) wird dies besonders strapaziert, als das Piratenschiff wieder einmal sinkt und Baba die Meerestemperatur mit „B‘‘‘‘‘‘‘‘‘! Elle est f’oide!“ kommentiert.6 Seine Artikulation bezieht sich auf eine Kreolsprache, die im Kontext der französischen Expansion zu deuten ist.7 Kreolsprachen entstanden meist im Kontakt zwischen Kolonialherren und Sklaven.8 Die ‚Sprechstörung‘ hat also eindeutig kolonialen Bezug. Die Darstellung Babas lässt sich problemlos in eine Tradition mit kolonialistischen Afrikabildern wie aus Tim und Struppi einreihen. Schwarze Menschen sind dort auch durch große Lippen und grammatikalisch falsche Sprache gekennzeichnet.9

Was findet sich von offizieller Seite zu Baba? Auf der Homepage von Asterix werden unter einem Reiter verschiedene Charaktere aufgelistet. Unter der Kategorie ‚Die anderen Völker‘ (zum Volksbegriff später mehr) tritt aufgrund der alphabetischen Reihenfolge als zweite Person Baba auf. Die Beschreibung Babas hebt einige besondere Momente Babas in der Asterix-Reihe hervor: Als „Stunde der Ehre“ wird eine Szene bezeichnet, in der Baba „das Publikum mit seinen Drummer-Talenten [verblüfft].“ Dadurch werde er zu dem Schlagzeuger, der zu sein er immer geträumt habe.10 Es scheint selbstverständlich, dass Baba sich fürs Schlagzeugspielen – oder platter: fürs Trommeln – begeistert. Was sollte er auch sonst können, Lesen vielleicht? Assoziiert wird Trommeln jedenfalls häufig mit vermeintlichen Anti-Zivilisations- und Naturbildern des Kontinents Afrika. Derartige exotisierende Zuschreibungen sind nach wie vor weit verbreitet.11

Baba ist nicht die einzige Figur mit dunkler Hautfarbe, die in den Asterix-Comics auftritt. In den meisten Fällen sind diese Personen hierarchisch deutlich untergeordnet. So zum Beispiel, wenn bei Tour de France (1965) zwei schwarze dicke Sklaven mit großen roten Lippen und exotisierender Kleidung die Sänfte des Präfekten Mitgenus durch Toulouse schleppen. Im Gegensatz zu ‚den Römern‘ tragen sie keine Schuhe und ihre Miene ist ausdruckslos und unbeteiligt.12 Zwar verwendeten ‚die Römer‘ Sklaven in vielen Bereichen und somit könnten auch schwarze Menschen rein historisch betrachtet die Sänfte getragen haben, doch rechtfertigt dies nicht die Form der zeichnerischen Darstellung. Eine ähnliche Szene findet sich auch in Asterix und der Arvernerschild (1968). Anders als in Tour de France wird der Mimik der – selbstverständlich – Schwarzen hier mehr Platz eingeräumt. Nachdem Asterix und Obelix das Gefolge des Tribunen Tullius Firlefanzus verprügeln und dessen Sänfte beschädigen, formen sich die Gesichter der vier Sänftenträger zu einem breiten Lachen. Große weiße Zähne treten zwischen den breiten roten Lippen hervor. Von der Kleidung einmal absehen unterscheiden sich die Träger physiognomisch kaum von denen in Tour de France.13 Zeichner Albert Uderzo scheint einen standardisierten Typus zu verwenden.

Ebenfalls in Asterix und der Arvernerschild existiert noch eine Szene, die die Rolle von schwarzen Menschen in Asterix kennzeichnet. Der Räderfabrikant Keuchhustus will Asterix und Obelix aus seinem Büro hinauswerfen lassen. Dazu spricht er durch ein Rohr auf seinem Schreibtisch und aus einem Sockel des Schreibtischs rennt barfuß eine kleine schwarze Person im roten Bastrock, deren Lippen ungefähr die Hälfte des Kopfs einnehmen. Obelix fängt den Boten ab und trägt ihn fortwährend unter seinem Arm.14 Erörtert man diese Szene, so würde dies bedeuten, dass der Bote permanent in seinem Verschlag im Schreibtisch sitzt und auf Anweisungen wartet. Er sitzt unter dem Schreibtischbenutzer, ebenso wie sich die Sänftenträger unter ihren ‚Herren‘ befinden. Dies schreibt klare Rollen fest, die durch die Dualismen weiß-schwarz, besohlt-barfuß, kleine Lippen-große Lippen etc. unterstrichen werden. Selbst die Sklaven der hellhäutigen ‚ägyptischen‘ Kleopatra aus Asterix und Kleopatra (1965) passen in dieses Schema. Ihr Thron wird von schwarzen ‚Nubiern‘ getragen.15 An dieser Szene zwischen ‚Nubiern‘ und ‚Ägyptern‘ lässt sich noch eine weitere Problematik festmachen: Die Darstellung der ‚Völker‘.

Die Autoren bilden die ‚Völker‘ nämlich als Entitäten mit bestimmten Attributen und Attitüden ab. So haben ‚die Briten‘ alle rot-orangene Haare, trinken immer zu bestimmten Uhrzeiten Tee und pflegen äußerst höfliche Umgangsformen. ‚Die Normannen‘ kennen keine Angst, trinken aus Totenschädeln und treten expansiv auf. Dies lässt sich beliebig fortführen: ‚die Spanier‘ sind faul und machen Siesta, ‚die Römer‘ sind dekadent und korrupt, ‚die Goten‘ begeistern sich für Militarismus und ‚die Schweizer‘ bauen gerne Uhren und essen Käsefondue. Viele Anspielungen und Witze der Asterix-Reihe basieren auf der Reproduktion von Stereotypen, wobei es den Autoren nicht an Selbstironie mangelt. Sie nehmen jedoch „in trivialisierter Form jenes Ideal von der reinen, unverbildeten Rasse“ auf, das bereits vor dem Nationalsozialismus nicht nur in Deutschland verbreitet war.16 Jedes ‚Volk‘ grenzt sich durch existentialistische Eigenschaften von den anderen ab. Die ethnisch homogene und archaisch strukturierte Dorfgemeinschaft der unbeugsamen Gallier verteidigt ihr Dorf – zugespitzt: ihren ‚Lebensraum‘ – gegen jegliche Veränderungen von außen.

Um auf die eingangs gestellte Frage Bezug zu nehmen: in Asterix finden sich vielfach rassistische Stereotypen, insbesondere bei der Darstellung von schwarzen Menschen. Das Bild von diesen Personen, die häufig als Sklaven oder Diener gegenüber ihren ‚Herren‘ auftreten, ist stark kolonialistisch geprägt. Zudem wird ein Bild des ‚Eigenen‘ und des ‚Anderen‘ oder ‚Fremden‘ erzeugt, indem auftretende Personen homogenen ‚Völkern‘ zugeordnet werden, die sich von den unbeugsamen Galliern als Bezugspunkt des Lesers unterscheiden.

Könnte man Asterix wieder zeitgemäß machen, indem Personen nicht entsprechend einer vermeintlichen ethnischen Zugehörigkeit und den damit verbundenen Stereotypen darstellt? Eine Anpassung der überzeichneten Figuren wäre sicherlich ein wichtiger Schritt, ebenso wie eine vielseitigere Rollenverteilung. Daneben könnten erklärende Fußnoten, die ohnehin in einem Comic reichlich vorhanden sind, zu einer differenzierteren Einordung beitragen.

1 Hermes, Stefan: „Warum soll man nicht schwarz sein?“. Blackness und Whiteness in Michael Endes Jim-Knopf-Romanen. In: Acta Germanica. German Studies in Africa (2015, Band 43). S. 9-27.

2 Haruna, Hadija: (K)eine zeitlose Kunst (24.02.2014), <https://www.boell.de/de/2014/03/26/keine-zeitlose-kunst&gt; (02.10.2018).

3 Begriffserklärung siehe Glossar „Stereotyp“.

4 Begriffserklärung siehe Glossar „Rassismus“.

5 Begriffserklärung siehe Glossar „Exotisierung“.

6 Goscinny, René; Uderzo, Albert: Astérix chez les Bretons, Paris 1999, S. 5.

7 Mütz, Marco: Baba, <https://www.comedix.de/lexikon/db/baba.php&gt; (01.12.2018).

8 Schwojer, Regina: Wissenswertes über die Sprachen der Welt. Kreolsprachen, https://www.sprachenlernen24.de/blog/kreolsprachen-pidgin-kreol/ (01.12.2018).

9 Haruna, Hadija: (K)eine zeitlose Kunst (24.02.2014), <https://www.boell.de/de/2014/03/26/keine-zeitlose-kunst&gt; (02.10.2018).

10 Baba, <https://www.asterix.com/de/portfolio/baba/?portfolioCats=255&gt; (01.12.2018).

11 Günther, Stephan: Grasinseln auf Urwaldflüssen (01.09.2000), <https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/grasinseln-auf-urwaldflussen&gt; (01.12.2018).

12 Goscinny, René; Uderzo, Albert: Tour de France, Berlin/Köln 2013, S. 36.

13 Goscinny, René; Uderzo, Albert: Galya Kalkani, Istanbul 2001, S. 14, 20-21.

14 Ebd., S. 30.

15 Goscinny, René; Uderzo, Albert: Asterix und Kleopatra, Berlin/Köln 2013, S. 43.

16 Herzinger, Richard: Schluss mit dem Kult um die Asterix-Comics (31.10.2009), <https://www.welt.de/kultur/article5037128/Schluss-mit-dem-Kult-um-die-Asterix-Comics.html&gt; (01.12.18).


Die Kinderbuch-Debatte: Stellt euch an!

Miriam Hedrich

(Foto: Miriam Hedrich, aus „Cinderella“, englischsprachiges Kinderbuch)

Bei der näheren Auseinandersetzung mit der Kinderbuch-Debatte von 2012 und 2013 wird auffällig, dass oft davon gesprochen wird, (Kinder-) Buchklassiker zur Bewahrung der Historizität in ihrem ursprünglichen – rassistisch konnotierten – Zustand zu belassen. An anderen Stellen wird eine Thematisierung der Problematiken in Form von Kommentaren gefordert. An die Debatte angelehnt, schreibt auch Özlem Topcu in Die Zeit:

Man sollte Originale lassen, wie sie sind – aber aus den richtigen Gründen. Ressentiments und Narben werden nicht gelöscht, nur weil Wörter getilgt werden. Die sollten unbedingt erhalten bleiben, weil sie uns wachsam sein lassen und die Geschichte, ob es um die Kolonial- oder Einwanderungsgeschichte geht1, lebendig halten.2

Auf Basis dieses Statements stellen sich mir nun die Fragen, ob man Originale unverändert lassen sollte, um zu warnen und „die Geschichte lebendig zu halten“? Und was ist ggf. unter denrichtigen Gründen“ zu verstehen?

Anzuführen ist, dass einerseits die Historizität von Texten hinsichtlich ihrer Werktreue von Bedeutung ist.3 Schriftstücke sollen für zukünftige Generationen und Wissenschaften als Zeitzeugen bewahrt werden. Sie werden also als Speichermedium angesehen, dem vornehmlich großer historischer Wert im wissenschaftlichen Sinne zugeschrieben wird.4

Andererseits gestaltet sich das Umschreiben mancher Werke u. U. als Herausforderung, da eine Entfremdung vom ursprünglich intendierten Sinn drohen kann – allerdings nicht muss. Deutlich wird das beispielsweise, wenn Mark Twain den Protagonisten seiner Bücher bewusst eine rassistische5 Sprache in den Mund legt, um die rassistischen Strukturen der Gesellschaft, in welcher er lebt, aufzudecken. Huckleberry Finn ohne diskriminierende Sprache und Stereotype6 würde diesem Sinn folglich nicht mehr in seiner beabsichtigt drastischen Weise nachkommen. Darüber hinaus wollte Mark Twain auf ebenjene rassistischen Strukturen aufmerksam machen. Eine Tilgung sämtlicher diskriminierender Begriffe aus der Literatur würde dazu in der Konsequenz die Möglichkeit des Sichtbarmachens ausräumen. Ebenso würde Menschen of Color7 und BIPoC8 – sofern dies gewünscht ist – die Chance genommen, diese Begrifflichkeiten für sich zurückzuholen und umzudeuten, wie das z. B. bei der Aneignung des queer-Begriffs oder desN-Worts in der frühen Hiphop-Szene stattfand. Bereits zuvor strebte die politisch-literarische Bewegung Négritude, welche sich in den Dreißigerjahren des vergangenen Jahrhunderts in Paris formierte, eine identitätsstiftende Dekonstruktion ebenjenes Begriffs an. ‚Schwarzsein‘ sollte zukünftig positiv bewertet und somit Kolonialismus9 und Rassismus überwunden werden.10

Als möglicher Lösungsansatz würden sich hierfür paratextuelle Kommentare anbieten. Rassistische Begriffe und Stereotype sollen als solche sichtbar gemacht und zur Sprache gebracht werden. Dadurch wird der originale Text – und damit seine Historizität – erhalten bleiben und die Problematik der Sinnentfremdung würde sich nicht ergeben. Gleichzeitig wird eine Diskussion um rassistische Strukturen und Begrifflichkeiten angeregt.

Allerdings scheint gerade das Umformulieren von Texten aus Kinderbüchern Usus zu sein, wie Hadija Haruna feststellt:

Zur Sprache der Literatur für Kinder gehörte immer auch dazu, dass Texte bearbeitet, umgeschrieben, gekürzt, erweitert und Titelbilder und Illustrationen verändert wurden – und das oft ohne einen Hinweis darauf.11

Als Beispiele hierfür führt sie die englische Version von Pippi Langstrumpf und Enid Blytons Noddy an. Zu bemerken ist weiterhin, dass Autor*innen wie z. B. Otfried Preußler u. a. ihre Schriftwerke selbst modernisier(t)en.12 Gegen das Argument der Bewahrung von Historizität und dessen Darlegung spricht überdies auch das konkrete Neuauflegen von (Kinder-) Büchern, welche sich rassistischer Sprache bedienen. Eine Modernisierung ebenjener Werke betrifft kommende Auflagen, niemals jedoch bereits Gedrucktes. Alte Auflagen mit veralteten Sprachweisen sind demnach immer noch, beispielsweise in Bibliotheken, vorhanden und stehen für wissenschaftliche Untersuchungen – auch für kommende Generationen – bereit. Infolgedessen ist es nicht notwendig, diskriminierende Begriffe und Stereotype in Neuauflagen zu behalten und dadurch diesen Kreislauf weiter aufrecht zu erhalten. Denn: Sprache ist Alltag. Ihre Bedeutung und Wirkung beeinflusst die Wahrnehmung(en) und dadurch insbesondere Realität(en) eines jeden Individuums zu jeder Zeit. Außerdem ist sie immer in einen gesellschaftlichen Kontext eingebunden, wodurch sie sich ebenso konstituierend auf Gesellschaft(en) auswirkt. Sprache formt folglich Wirklichkeiten und kann als Folge dessen positiven wie negativen Einfluss auf gesellschaftliche sowie (vermeintlich) individuelle Denkweisen nehmen. Insofern ist sie vielmehr als ein bloßes Werkzeug und sollte auch nicht nur allein darauf reduziert werden. Eine Tilgung diskriminierender Begriffe in (Kinder-) Büchern kann also sehr wohl einen positiven Einfluss (im Sinne einer Reduktion) auf die Entstehung zukünftiger „Ressentiments und Narben“ ausüben. Bereits bestehende „Ressentiments und Narben“ können dadurch ebenso verändert werden, indem sie eben nicht kontinuierlich weiter bedient bzw. wieder aufgerissen werden. Victor Klemperer bemerkte zu der diskriminierenden und (potenziell) verletzenden Wirkung von Sprache:

Worte können sein wie winzige Arsendosen: Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.13

Und selbst wenn es sich um fiktive Kindergeschichten wie Pippi Langstrumpf u. Ä. handelt, so prägen und prägten genau diese Generationen. Darüber hinaus kann Fiktion Realität beeinflussen und/oder von dieser beeinflusst sein, zumal, da sie von realen Menschen erfunden und von deren Erlebnissen geprägt ist.14 Folglich müssen diskriminierende Denkweisen und der gesellschaftliche Umgang damit geändert werden. Dies funktioniert über Sprache, wie oben bereits erwähnt, und auch über Kunst als Ausdruck von Kultur. Denn, „[j]edes Stück Kunst ist ein Teil der Gesellschaft, die es kreiert hat“15.

Die breite Diskussion um das Umschreiben rassistischer Passagen und Ersetzen diskriminierender Begriffe in (Kinder-) Büchern weist meiner Meinung nach einen allemal – vorsichtig ausgedrückt – seltsamen Duktus auf, da scheinbar vergessen wird, dass es sich letztendlich um einen Diskurs über das (Wohl-) Befinden realer Menschen handelt, welches fortwährend Schlagworten wie Kunstfreiheit/Zensur und Historizität gegenübergestellt wird. Diskriminierende Begriffe sind herablassend, abwertend und schlussendlich beleidigend. Ihnen eine historisch hergeleitete Normalität zuzusprechen und ihnen damit gleichermaßen ihren diskriminierenden Charakter abzusprechen bzw. diesen zu relativieren, zeigt, wie wichtig (Selbst-) Reflexion und ein gleichberechtigter Diskurs tatsächlich sind. Ebenfalls wird deutlich gemacht, wie sehr eine kritische, reflexive Auseinandersetzung – gerade mit der deutschen Kolonialgeschichte – noch in den Kinderschuhen steckt. Zu fordern, ebendiese Geschichte(n) mit der weiteren (Be-) Nutzung kolonialgeschichtlich geprägter Termini „lebendig zu halten, geht an einer solchen Diskussion vorbei.16 Um nicht zu vergessen und einen Diskurs aufrecht zu halten, bedarf es eben nicht des permanenten – mehr oder weniger – reflektierten Gebrauchs diskriminierender Begriffe und Stereotype, wie an Die Abenteuer des Huckleberry Finn letztendlich doch zu sehen ist; das N-Wort wurde durch ‚Sklave ersetzt und der Roman behält dennoch seinen demonstrativen Charakter. Ergänzend dazu zeigt die Thematisierung der NS-Ideologie und die damit verbundene Terminologie an deutschen Schulen, wie eine solche Auseinandersetzung funktionieren kann: Eindeutig behaftete, diskriminierende Begriffe werden ge- und benannt. Das Bezeichnende ist jedoch, dass zur Sprache gebracht wird, was in ihnen mitschwingt, für was sie standen bzw. stehen und was ihr Gebrauch – auch heute immer noch – transportiert.Ich stelle mich an, eben weil der (künftige) Umgang mit Diskriminierung durch Sprache beeinflusst werden kann.

1Anzumerken ist hierzu, dass alle „Geschichten“ jeglicher Diskriminierung thematisiert werden müssen!

2Topcu Ö., Stellt euch nicht so an, Die Zeit, Nr. 5/2013 vom 24.01.2013, online: https://www.zeit.de/2013/05/Kinderbuch-Debatte-Neger-Rassismus/komplettansicht, aufgerufen am 08.12.2018.

3Vgl. Greiner, U., S. 10f, in: Hermes, S., „Warum soll man nicht schwarz sein?“. Blackness und Whiteness in Michael Endes Jim-Knopf-Romanen, Acta Germanica, German Studies in Africa, Band 43, o. O. 2015, S. 9-27.

4Historisch ist hier in rein wissenschaftlichem Kontext zu verstehen.

5Begriffserklärung siehe Glossar „Rassismus“.

6Begriffserklärung siehe Glossar „Stereotyp“.

7Begriffserklärung siehe Glossar „POC“.

8Begriffserklärung siehe Glossar „POC“.

9Begriffserklärung siehe Glossar „Kolonialismus“.

10Vgl. Kopfmüller, S., Politische Ideen zur Unabhängigkeitsbewegung, Bundeszentrale für politische Bildung vom 05.12.05, online: http://www.bpb.de/internationales/afrika/afrika/58872/ideen-der-unabhaengigkeitsbewegung?p=all, aufgerufen am 19.12.18.

11Haruna, H., (K)eine zeitlose Kunst, in: Heimatkunde, Migrationspolitisches Portal, Heinrich Böll Stiftung vom 24.02.14, online: http://heimatkunde.boell.de/2014/02/24/keine-zeitlose-Kunst, aufgerufen am 19.12.18, S.2f.

12Vgl. ebd.

13Klemperer, V., LTI. Notizbuch eines Philologen, Reclam Verlag, Stuttgart 2007, S.26, zitiert in: Erlinger, R., Vergiftet, Süddeutsche Zeitung Nr. 7/2016 vom 23.02.16, online: https://sz-magazin.sueddeutsche.de/die-gewissensfrage/vergiftet-82206, aufgerufen am 19.12.18.

14 Vgl. Hermes, S.10.

15 Vgl.Haruna, S.1.

16Kritisch zu beachten ist hierbei auch der Titel des Artikels „Stellt euch nicht so an“.


Schöner Schein?!

Miriam Hedrich

Humboldt Forum im Berliner Schloss (Foto: Miriam Hedrich)

In der Zeit vom 31.08.2017 schreibt Horst Bredekamp, einer der drei Gründungsintendanten* der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss (kurz: Humboldt Forum): „Als designiertes ‚Forum‘ ist die werdende Institution […] genau jener Platz, der zum öffentlichen Austausch, zur Diskussion und zum Zweifeln einladen soll.“1 Folglich stellen sich mir die Fragen, inwiefern Architektur (postkoloniale2) Denk- und Handlungsweisen beeinflusst und ob ein offener und unvoreingenommener Austausch gerade an einem solchen Ort und in einem solchen Raum3, welcher der preußischen Vormachtstellung nachempfunden ist, überhaupt möglich ist?

Wider dem Argument, es handele sich nicht um eine historische Rekonstruktion des Berliner Schlosses, „weil der Augenschein und das Raumgefühl keinesfalls den Eindruck bloßer Rekonstruktion vermitteln, sondern den einer paradoxen Moderne“4, ist es allemal paradox, zu großen Teilen unrechtmäßig und/oder gewaltsam erworbene Kulturgüter anderer Völker in einem Bau auszustellen, welcher ein historisches und architektonisches Zeichen ebendieser kolonialen5 Denk- und Handlungsweisen jener Zeit in sich manifestiert. Vormals als kurios und fremd angesehene Kulturgüter werden erneut zur Schau gestellt, indem sie in einem Gebäude ausgestellt werden, welches als ehemaliger nationaler Prestigebau bekannt ist und nun als nationaler kultureller Prestigebau wieder erbaut wird.

Dass lediglich drei äußere Fassaden wiedererrichtet werden und die Höfe im Inneren als „sich öffnende Stadtplätze“6 – getreu dem Motto der paradoxen Moderne7 – konzipiert werden, stellt sich zunächst die Frage nach der Wichtigkeit von Fassaden. Zum einen bestimmen sie den ersten Eindruck, den Besucher*innen und Passant*innen von einem Gebäude bekommen, repräsentieren sie es doch nach außen. Zum anderen ist Architektur im Allgemeinen eben nicht nur ein technisches Handwerk, sondern vielmehr Ausdruck materieller Kultur8. Sie transportiert gesellschaftliche Ideologien und Werte, erkennbar u. A. an Architekturstilen wie dem Neoklassizismus während des Dritten Reichs. Somit ist es nicht verwunderlich, sondern folgerichtig, dass auch Gebäude zum symbolischen Weiterleben ebenjener (prägender) gesellschaftlichen Werte, Normen und Weltbildern beitragen. Ludwig Mies van der Rohe schreibt zur Architektur als Verkörperung von Weltanschauungen:

Ordnung ist mehr als Organisation. Organisation ist Zwecksetzung. Ordnung ist Sinngebung, und das hat sie mit der Baukunst gemein. Beide reichen weit über Zwecke und zielen im letzten Grund auf Werte.9

Gebäude stellen demnach – insofern sie eine gewisse Zeitspanne überdauern, ohne zerstört zu werden oder zu verfallen – manifeste, historische Zeitzeugen dar. Beispielsweise wollte Kaiser Wilhelm II. Berlin als Hauptstadt des Königreich Preußens und nunmehr des Deutschen Kaiserreichs mithilfe von Monumentalbauten verschönern, d. h. repräsentativ aufwerten. Demnach wurde der Gebäudekomplex Unter den Linden der heutigen Staatsbibliothek zu Berlin mit äußerlich stark repräsentativem Charakter erbaut. Neben der Repräsentation der wilhelminischen – und damit nationalen – architektonischen, wissenschaftlichen und technischen Fähigkeiten war allerdings auch ein Messen mit anderen europäischen Nationen sowie den USA zielgebend. Zu ihrer Zeit war sie die flächenmäßig größte Bibliothek der Welt.10

Das Deutsche Kaiserreich sollte Kolonialreich und Weltmacht werden. Eine, diesen Bestrebungen angepasste, mächtige Architektur, scheint nur logische Konsequenz der eigenen Machtdarstellung zu sein. Nicht nur wird Macht nach außen auf politischer, staatenübergreifender Ebene behauptet, sondern auch nach innen, dem Volk gegenüber, indem jede*r Passant*in augenscheinlich durch derartig imposante Konstruktionen physisch klein gemacht wird.

Gerade durch die Funktion der Architektur als Transportmittel kulturellen Gedächtnisses und historischer Ereignisse, frage ich mich, wieso an den Wiederaufbau des Berliner Schlosses, und die dortige Beherbergung der ethnologischen Sammlungen mit ihrem kolonialgeschichtlichen Hintergrund, architektonisch vergleichsweise wenig reflexiv herangegangen wird. Erstens wird der Stadt Berlin ihr historisches Gesicht durch die Rekonstruktion „dreier Fassaden“ nur bedingt wiedergegeben. Und zweitens sollte stets die Frage nach der Geschichte dieses Gesichts Vorrang haben; unter Kaiser Wilhelm II. militärischen, kolonialen und machtpolitischen Bestrebungen wurde der erste Genozid des 20. Jahrhunderts an den Völkerstämmen der Nama und (Ova-)Herero begangen11. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Berliner Schloss nach seinen Vorstellungen umgebaut und stellte zusätzlich einen Berliner Lebensmittelpunkt für ihn dar12.

Um auf die räumliche Komponente des Humboldt Forums einzugehen, muss abschließend noch klargestellt werden, dass Raum in und durch Interaktion geschaffen wird. Wahrnehmung und Handeln spielen demnach eine gewichtige Rolle beim Schaffen von Räumen13. Da mit dem Humboldt Forum im Berliner Schloss ein interkulturell und wissenschaftlich international einmaliger Raum geschaffen werden soll14, frage ich mich weiter, für wen dieses Museum errichtet wird und zugänglich ist und wer – mit dem Wissen um den geschichtlichen Kontext des Berliner Schlosses und den kolonialen Bezugsrahmen der Anschaffung der Ausstellungsstücke – dort verweilen möchte.

Wie bereits erwähnt, prägt Architektur Lebenswelten, sie schafft (Bedeutungs-) Räume, sie ist sichtbares Merkmal einer Gesellschaft. Und deshalb muss eine intensive Auseinandersetzung mit ihrer sozialen und geschichtlichen Brisanz stattfinden. Auch wenn eine Fassade über das im Inneren Verborgene hinwegtäuschen mag, so kann sie es doch nicht nivellieren oder umkehren – v. a. im Kontext der kolonialen Entstehungsgeschichte ethnologischer Sammlungen. Und auch wenn sich der Bundestag 2002 gegen einen kompletten Wiederaufbau und für die teilweise Rekonstruktion durch den Fassadenaufbau entschieden hat, ist Deutschlands koloniale Vergangenheit dadurch nicht halb soschlimm. Denn gerade das am häufigsten gesehene, ersichtlichste, und in dieser Folge markanteste, architektonische Merkmal des Schlosses wird wieder erbaut. Von der paradoxen Moderne, welche sich im Inneren verbirgt und durch das Zusammenspiel moderner Architektur und imperialistischem Prestigebau ergeben soll, bemerkt schlussendlich kein*e Passant*in etwas.

Anmerkung der Autorin: Der vorliegende Essay entstand im Winter 2018, infolgedessen konnte noch keine Kenntnis über die aktuelle, nach meiner Einschätzung äußerst bedenkliche bauliche Maßnahme bestehen: das Kreuz auf der Kuppel und eine entwürdigende christlich-religiöse Inschrift. Beide Symboliken sind – getreu dem Motto einer christlich-abendländischen Selbstüberhöhung – auch aus der Ferne gut sichtbar, während die Statue of Limitations als Mahnmal der deutschen kolonialen Vergangenheit ihr Dasein im Inneren des Baus fristen darf. Weitere Informationen findet ihr hier.

PS: Erstrebenswert wäre die fachliche Kompetenz bezüglich einer umfassenden selbstreflexiven Auseinandersetzung mit der von Kolonialität und Rassismus geprägten Vergangenheit und Gegenwart Deutschlands und weniger das detailgetreue Nachbauen von Symboliken, welche Unterdrückung und weiße Herrschaftsansprüche verherrlichen.

1Bredekamp, H., Ein Ort radikaler Toleranz, in: Die Zeit, Nr. 36 vom 31.08.2017, online: https://www.zeit.de/2017/36/humboldt-forum-berlin-stadtschloss-neubau-geschichte/komplettansicht, aufgerufen am 23.11.2018.

2Begriffserklärung siehe Glossar „Postkolonialismus“.

3Zur Unterscheidung der Begrifflichkeiten Ort und Raum vgl. Löw, M., Raumsoziologie, Frankfurt am Main 2001.

4Bredekamp, ebd.

5 Begrifferklärung siehe Glossar „Kolonialismus“.

6Bredekamp, ebd.

7Bredekamp, ebd.

8Roesler, S., Weltkonstruktion. Der außereuropäische Hausbau und die moderne Architektur – ein Wissensinventar, o.O. 2013, online: https://www.archplus.net/home/archiv/artikel/46,4031,1,0.html, aufgerufen am 23.11.2018.

9 Neumeyer, F. u. Mies van der Rohe, L., Das kunstlose Wort. Gedanken zur Baukunst, Berlin 1995, S. 392, zitiert in: Illies, Ch., Architektur als Philosophie – Philosophie der Architektur. Essay, o.O. 2009, online: http://www.bpb.de/apuz/31932/architektur-als-philosophie-philosophie-der-architektur-essay?p=all, aufgerufen am: 23.11.2018.

10 Stiftung Preußischer Kulturbesitz, online: https://staatsbibliothek-berlin.de/en/about-the-library/die-gebaeude/haus-unter-den-linden/baugeschichte/#jfmulticontent_c62839-23, aufgerufen am: 28.11.2018.

11Genaueres hierzu in unserem Beitrag „Deutschlands Erinnerungskultur vor dem Hintergrund einer (post-)kolonialen Gewaltgeschichte“ vom 29.05.2020.

12 Förderverein Berliner Schloss e.V., online: https://berliner-schloss.de/das-historische-schloss/baugeschichte/, aufgerufen am 28.11.2018.

13 Vgl. Löw, M., Raumsoziologie, Frankfurt am Main 2001.

14 Bredekamp, ebd.


Qué Viva CHANGO, Señores!

-Celina González & Reutilio Domínguez1

S. Aguilar

Museums can be seen as part of what the French historian Pierre Nora calls “lieu de mémoire”2. There is a tendency to apply this concept to places only, however, as Nora points out, it should be used to establish discernible national memories and to analyse what brings them together3. Therefore, we can assume that museums as “lieux de mémoire” have a responsibility for the narrative they are projecting, staging and allowing to be repeated as part of the collective social memory. They are constantly constructing a vision of a past and reinforce certain imaginary that have its consequence, especially if the artifacts they exhibit are stolen and a reminder of a colonial past. A past that today is loudly debated, as new perspectives shed a light on different approaches on how to deal with this past.

One important question is whether the stolen pieces from former colonies that are now exhibited in other countries should be returned to where they have been taken from originally. In Europe, stolen pieces are on display in most museums. The circumstances of their collection are only now put into question.

The visit to “The 5 Continents Museum” in Munich allowed us to reflect upon the different perspectives that are being debated about these pieces. The museum in question displays objects in an archivist way, which is very common of western museums. Thus, it deals with archivist memory and decision making. Because the selection process itself and how exhibits are presented, are in itself powerful ways to manipulate and construct identities. By the process of selection, priorities are made, and other perspectives are discarded. This is an act of oversight and erases elements in order to construct a certain meaning which supports mainly the status quo. Therefore, there is an intention which leads to a hegemonic way of endorsing established preconceptions.

„Schango“ as displayed in the Museum of the 5 Continents, Munich, 17. 11. 2018 (Photo: S. Aguilar).

Most of the objects that deriving from the colonial period, usually are catalogued today as stolen pieces, but they are presented to the public in a different light. An example is the piece “Tanzstab für Verehrer der Donnergottheit Shango”. Like many of the other objects, we see it only behind glass, which limits our interaction with it. Many will agree that this is due to security reasons, but that glass case already establishes a border between us and the object. This deliberated separation thus creates a sense of otherness, and because of how these elements are presented to the public, it contributes to the constructed image of ‘exotic’ flair. This is something that a museum visitor might expect. It fulfils the sense of authentication, of what to expect. And there is a sort of beginning of an idea on what kind of relation the public has and should have in regard of this piece in question, and it is a distant one.

Under the statue, the archivist plaque classification says: “Anonymus, Yoruba-Region, Nigeria, 1. Hälfte 20. Jh. Holz”. This way they are trying to place the artefact in time and space, but no further information are given to the public. The visitors range from different backgrounds and social status, they have different ideas, education and experience. Nonetheless, we cannot forget that museums are places of knowledge for many. They are places to learn and therefore museums have a different status and function that set them aside from other institutions. They often shape education in quite an elitist way by repeating narratives and discourses that go along with the idea of hierarchy of knowledge and vision, prioritizing models of the western culture– just as in the display of this relic. What kind of relation can I have when I deal with this context? Because many of these pieces are now part of different identities: part of the places they were taken from, part of those who took them, and part of all those involved in between these layers and nuances.

Shangó is categorized (as to be seen on the photograph) as a “thunder god”. It tends to give us more the idea of a god with a hammer figuring in Norse mythology, and spectators with that background, would not ask if that piece was stolen, it would not occur to them because of the way the piece is displayed, just as many other artefacts that were left or discovered. And Shangó will be undermined as a deity long gone, underestimated due to cultural hierarchies that persist until today. It will be seen as a mythical object of the past and not as what is is; a component that keeps evolving inside different imaginaries and identities. Shangó, for instance, is also a part of the slave identity and slave rebellion against a suppressive status quo.

Besides the question of exposition, another main question remains: Do these museums have the right to ownership of those pieces? Shouldn’t these pieces be returned to the places and /or the people they were taken from in the first place? Or do they belong to ‘humanity’? There are many aspects to these questions that have to be discussed first, such as how we define humanity in this context and what fairness inside a ranked social structure means, what do we mean by ownership of a piece that was stolen? It brings more questions than answers. We also must recognize the different actors that play their parts in the public debates about this topic. Such as political actors but also acts of rebellion.

The sole idea that a nation cannot take care of their own identity and legacy, but that a European nation can do that for them is condescending and patronizing. This idea takes away once again the opportunity self-determination and demolishes the chances to construct their own “lieux de mémoire” in today’s parameters. It shows persisting power structures and it controls the possibilities of shift, change and recognition among actors and the public. It explodes the different stereotypes in their favour and promotes a manipulated image forged to fit their intentions. Through this idea places such as museums are used to continue the rhetoric of the existing conditions, the discourses of superiority and of ‘civilize nations’ as opposed to ‘lower ones’ that need guidance and a strong hand in order to ’prosper according the norm’. That only leaves us to keep singing: “Qué viva Changó!” really loud, so that Shangó would hear us and would set itself free from their glass menagerie.

1 Iconic Cuban song related to “Shangó”, “Changó” and Santeria. More about that song in: Valverde; Umberto, “Celina González, la voz cubana que sacó del closet a la santería”. https://www.eltiempo.com/archivo/documento/CMS-15204060 Latest Accessed: 22.11.2018

2 In Pierre Nora own words: “a lieu de memoire is any significant entity, whether material or nonmaterial in nature, which by dint of human will or the work of time has become a Symbolic element of the memorial heritage of any community”. In: Nora, Pierre, „Preface to English Language Edition: From Lieux de memoire to Realms of Memory“, in Realms of Memory: Rethinking the French Past, p.17. http://faculty.smu.edu/bwheeler/Joan_of_Arc/OLR/03_PierreNora_LieuxdeMemoire.pdf Latest Accessed: 22.11.2018

3 Ibidem.


Wieso unterscheidet sich der Umgang mit Raubkunst aus der NS-Zeit von dem mit gestohlenen Kulturgütern aus der Kolonialzeit?

A. Bekbulatow

Archduke Leopold Wilhelm and the Artist in the archducal picture gallery in Brussels, 1653, David Terniers d.J. aus der Sammlung Rothschild, 1999 restituiert. (Foto: Public Domain)

Die kontroversen Debatten über die Umbenennung von Straßen, die Streichungen von stigmatisierenden Begriffen in Kinderbüchern, sowie die Erbauung des Humboldt Forums in Berlin und damit der Umgang mit ethnologischen Sammlungen ungeklärter Herkunft, lassen durchscheinen, dass eine Beschäftigung mit der deutschen Kolonialgeschichte1 und ihren Folgen langsam aber sicher in den Fokus der Öffentlichkeit rückt.

Der Kulturwissenschaftler Thomas Thiemeyer nennt in diesem Zusammenhang vier Gründe für das aufblühende Interesse an der eigenen Kolonialgeschichte in Deutschland.2 Mitunter ist eine Ursache die öffentlichkeitswirksame Diskussion um Eigentumsrechte an Kulturbesitz, welcher unter unrechtmäßigen Umständen erworben oder erlangt wurde, wie es bei der Raubkunst im Nationalsozialismus und in der Kolonialzeit der Fall war.3 Dieser Unrechtskontext wurde auch in der Washingtoner Erklärung von 1998 aufgegriffen, in der bezüglich der Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden, vereinbart wurde, dass diese identifiziert und an die rechtmäßigen Eigentümer*innen zurückgegeben werden sollen.4 Daraufhin setzten sich einige Städte für Rückgaben der von den Alliierten entwendeten Kunstgegenstände ein.5 Jedoch wurde bei diesen Forderungen nicht berücksichtigt, dass sich in den meisten ethnologischen Museen der Städte ebenfalls koloniale Sammlungen von Beutekunst aus aller Welt finden lassen.6 Daher stellt sich die Frage, woher dieser unterschiedliche Umgang hinsichtlich der NS-Raubkunst und der Sammlungen unrechtmäßig erlangter Kulturgüter aus der Kolonialzeit in ethnologischen Museen herrührt.

Ein möglicher Grund könnte hierbei die oft mangelhafte Provenienzforschung7 sein. Während es sich bei der NS-Raubkunst meist um sehr wertvolle Kunstwerke handelt, die von den berühmten Künstler*innen selbst signiert und datiert wurden, fehlt bei kolonialen Kulturgütern oft der Vermerk eines Autors*/ einer Autorin* und eines Entstehungszeitraums bzw. -ortes.8 Dies erschwert es, Kunstwerke zu identifizieren und folglich mögliche Eigentümer*innen oder Erb*innen ausfindig zu machen. Hinzu kommt, dass bei kolonialen Kunstwerken außereuropäischer Kulturen, im Gegensatz zur NS-Raubkunst, erst ein spezifischer Unrechtskontext bewiesen werden muss, bevor Forderungen nach Restitutionen9 verhandelt werden10. Demnach wäre eine ausgiebige Provenienzforschung aller Sammlungsobjekte in den ethnologischen Museen notwendig. Diese ist aber aufgrund der schieren Menge an Kunst- und Kulturgegenständen kaum machbar: „Nie wird es gelingen, jede Einzelprovenienz nachzuweisen“,11 so Thomas Thiemeyer, da in Deutschland ein methodisches Verfahren zur Überprüfung größerer Bestände schlichtweg fehle.12 Aus diesem Grund bleiben viele Herkunftskontexte der Kunstwerke und Kulturgüter schleierhaft. Solange nicht ausnahmslos für alle Ausstellungsobjekte in ehem. Völkerkundemuseen nachgewiesen werden kann, ob diese unter Zwang abgenommen wurden, werden die Rückgabeforderungen bei der Raubkunst zur Zeit des Nationalsozialismus anders bewertet als die zur Kolonialzeit.

Für diese unterschiedliche Bewertung sowie den ungleichen Umgang mit den Rückgabeforderungen spielt ebenso das allgemein fehlende Wissen über und Bewusstsein für die deutsche Kolonialgeschichte in der Öffentlichkeit eine Rolle. Aufgrund der vertieften Aufklärungsarbeit bezüglich der NS-Zeit, vor allem in den Schulen, herrscht ein größeres öffentliches Bewusstsein für die Problematik der nationalsozialistischen Raubkunst. Im Gegensatz dazu wird die Kolonialzeit in Deutschland kaum thematisiert und auch im Curriculum der Schulen nur marginal behandelt. Dadurch tritt das Unrechtsbewusstsein im Kontext der Kolonialisierung und der damit verbundenen Ausstellungsstücke in den Hintergrund. Daher ist es zunächst notwendig die Bevölkerung für die Problematik zu sensibilisieren, dass viele Artefakte in den ethnographischen Sammlungen durch koloniale Raubzüge zusammengetragen wurden. So müssen etwa die ausgestellten Artefakte transparenter kontextualisiert werden, da die ausgestellte Beutekunst meist nicht als solche erkennbar ist.13 So beschreibt Joshua Kwesi Aikins, wie zwei Königsfiguren aus Kom im heutigen Kamerun auf den Schautafeln im Berliner Ethnologischem Museum als ‚Schenkung‘ deklariert werden, obwohl sie in Wirklichkeit ein Geschenk des Leiters der deutschen ‚Schutztruppe‘ nach einem gewaltsamen Raubüberfall auf das Königreich waren.14 Diese mangelnde Aufklärung und Wissensvermittlung führt letztendlich zu dem fehlenden Bewusstsein für den Unrechtskontext in Bezug auf die Kolonialzeit.

Abschließend lässt sich sagen, dass die Debatten um die Restitutionen von nationalsozialistischer Raubkunst auch auf die umstrittenen kolonialen Sammlungen in ethnologischen Museen übergegriffen haben.15 Jedoch unterscheidet sich der Umgang mit Rückgabeforderungen hinsichtlich der Raubkunst aus der NS-Zeit mit dem aus der Kolonialzeit bedeutend. Dies liegt zum einen an der mangelnden Provenienzforschung und zum anderen an dem fehlenden öffentlichen Wissen über und Bewusstsein für die deutsche Kolonialgeschichte. Zwar lässt sich Thiemeyers Behauptung, dass die nun aufkommende Diskussion um Eigentumsrechte an unrechtmäßig erworbenen Kulturbesitz das Interesse an der eigenen Kolonialgeschichte in der Öffentlichkeit steigern, nachvollziehen, jedoch findet diese Auseinandersetzung nur sehr langsam statt.

Meines Erachtens sollten medienstarke Debatten über die Umbenennung von Straßen, die Neuauflagen von Kinderbüchern oder das Humboldt Forum nicht als Hauptantriebsmotor für die Auseinandersetzung mit der eigenen Kolonialgeschichte gelten (wobei diese Diskussionen zweifelsohne notwendig sind und ihren Teil beitragen). Stattdessen sollte die Aufklärung in erster Linie in den Schulen aufgegriffen werden. Ähnlich wie die Aufarbeitung der NS-Zeit, kann die intensive Beschäftigung mit der Kolonialzeit im Unterricht Unrechtskontexte klarer offenbaren, ein Umdenken in der Gesellschaft eher anstoßen und die genannten Diskussionen zielführend statt streitbringend gestalten.

1 Begriffsklärung siehe Glossar „Kolonialismus”.

2Thiemeyer, Thomas: Deutschland postkolonial. Ethnologische und genealogische Erinnerungskultur. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 7 (2016), S. 33–45, hier S. 34.

3Thiemeyer 2016, S. 34.

4Hauser-Schäublin, Brigitta: Ethnologische Provenienzforschung – warum heute? In: Förster, Larissa/Edenheiser, Iris/Fründt, Sarah/Hartmann, Heike (Hg.): Provenienzforschung zu ethnografischen Sammlungen der Kolonialzeit. Positionen in der aktuellen Debatte. O. A. 2017, S. 327–333, hier S. 329.

5Aikins, Joshua Kwesi: Die alltägliche Gegenwart der kolonialen Vergangenheit. In: AntiDiskriminierungsBüro Köln/ cyberNomads (Hg.): TheBlackBook. Deutschlands Häutungen. Frankfurt/ London 2004, S. 58-63, hier S. 61.

6 Aikins 2004, S. 61.

7Begriffsklärung siehe Glossar „Provenienzforschung“.

8Hauser-Schäublin 2017, S. 330.

9 Begriffsklärung siehe Glossar „Restitution“.

10 Thiemeyer 2016, S. 43.

11 Thiemeyer 2016, S. 44.

12 Thiemeyer 2016, S. 44.

13 Aikins 2004, S. 61.

14Aikins 2004, S. 61.

15 Thiemeyer 2016, S. 43.


Wie uns Rassismus im Alltag begegnet

Julia E.

„Fighting Racism Starts with Acknowledging White Privilege.“, Silent Protest, Augsburg, 06. Juni 2020 (Foto: Paula Ammer).

Wo kommst du eigentlich her?‘ – ‚Aus Deutschland.‘ – ‚Ja schon, aber ich meine: Wo kommst du ursprünglich her?‘

Diese Herkunftsfrage ist in ganz Deutschland zu einem typischen Gesprächseinstieg geworden. Allerdings ist diese Frage für die Betroffenen alles andere als Smalltalk. Sie zielt auf den Migrationshintergrund der Person ab und versucht diese einordnen zu können. Sie steckt Menschen in eine Schublade und nimmt ihnen „das Deutschsein weg, denn es steht gar nicht zur Debatte.“1 Dabei scheint den Fragenden oftmals nicht bewusst zu sein, dass dies bereits eine Form rassistischer Diskriminierung ist.

Die Mehrheit glaubt, Rassismus1 habe nur etwas mit Gewalt und offensichtlicher Ausgrenzung zu tun und doch steckt Alltagsrassismus oft bereits in den kleinsten Aussagen, Handlungen oder Sachverhalten: Wir alle sind ständig von Rassismus umgeben2.

Vermeintlich unauffällige Blicke, wenn man einer Person of Colour2 begegnet, ein leises Flüstern3 und genaue Beobachtungen – und, fühlen Sie sich ertappt? All das ist in Deutschland leider alltäglich und trägt dazu bei, dass die betroffenen und angestarrten Personen immer mehr unter der sozialen Öffentlichkeit und Diskriminierung jeglicher Art leiden. Die von Alltagsrassismus selbst betroffene Autorin Malaika Rivuzumwami beschreibt dies in den Worten: „Jeder einzelne dieser Momente sticht, hinterlässt ein komisches Gefühl im Bauch. Und einen Anflug von Wut, denn oft fehlen mir die Worte.“4 Doch selbst diese Formen von Rassismus sind erst der Anfang, auch gezielte Ausgrenzung, oder verbale und körperliche Gewalt sind Teil der rassistischen Erfahrungen von POC in Deutschland. Aus psychischen Belastungen werden dadurch nicht selten auch physische und belasten somit den gesamten Menschen und sein Wohlergehen.

Ein weiterer kritischer Punkt des Alltagsrassismus wird in unserer Sprache manifest. Beispielsweise wird das N-Wort trotz Kenntnis über die Diskriminierung gebraucht oder das M-Wort gar bei der Benennung von Straßen, Apotheken, Hotels usw. unreflektiert beibehalten. Einige verharmlosen und rechtfertigen diese Verwendung mit der Aussage: „weil man ja inzwischen weiß, dass man das eigentlich nicht sagen soll, und es außerdem als Spaß gemeint ist“5. Dies ist jedoch keine Rechtfertigung, denn solche Begriffe verletzten und erniedrigen die angesprochenen oder gemeinten Personen und sind eine häufige Form des Rassismus, denen Menschen täglich ausgesetzt sind.

Rassistische Strukturen im Alltag machen sich jedoch auch in vielen anderen Sektoren bemerkbar. Bei der Arbeits- und Wohnungssuche werden Schwarze Menschen nicht selten benachteiligt. Auch Polizeikontrollen und -gewalt werden verstärkt an Menschen nicht-deutscher Abstammung ausgeübt.6 Hier gelten in Deutschland offensichtlich ganz andere Regeln, da Schwarze Menschen nicht als Bürger*innen, sondern eher als Bedrohung der weißen Bürger*innen definiert werden7. Schwarze Fußballspieler*innen leiden fortwährend unter rassistischen Beleidigungen und Zurufen rund um den Fußballplatz8. Zurückweisungen an Bar- und Diskothekentüren sind keine Seltenheit9. Bestürzend ist allerdings die Tatsache, „dass diese Art von Alltagsrassismus oft nur schwer juristisch nachgewiesen werden kann“10. Somit wird Schwarzen Menschen in diskriminierenden Situationen oft nicht geholfen.

Durch diese genannten Beispiele wird deutlich, dass der Alltagsrassismus auch institutionelle und strukturelle Ausprägungen hat. Sichtbar wird dies unter anderem auch in der restriktiven Gesetzgebung und deren schlechten Bedingungen besonders für geflüchtete und andere zugewanderte Menschen, aber auch durch Ungerechtigkeiten im deutschen Bildungssystem. Dies sind Logiken, Normen und Prozesse von Institutionen und Behörden, welche selten hinterfragt werden und somit die unterschiedlichsten Arten von Alltagsrassismus bei der Polizei, Ämtern, Gerichten, Behörden oder Schulen zulassen. Folglich wird die individuelle, rassistische Alltagsdiskriminierung durch institutionelle und strukturelle Benachteiligung stabilisiert und verstärkt11. Dies sind gesellschaftliche Barrieren für Menschen of Color, welche oft unüberwindbar sind.

Kritisch zu betrachten ist nicht nur die Häufigkeit der rassistischen Anfeindungen, sondern auch die Selbstverständlichkeit, mit der diese geschehen12. Das Wahrnehmen von Diskriminierung bei gleichzeitigem Ignorieren und Wegsehen ist genauso eine Form von Rassismus wie die bereits genannten Beispiele.

Auch individuelle negative Erfahrungen können eine Ursache für rassistische Vorurteile sein: Ein einziges negatives Erlebnis mit einer Person anderer Hautfarbe bzw. Herkunft reicht aus, um persönliche Ängste, Misstrauen oder Wut auf eine ganze Personengruppe zu projizieren. Man tritt diesen Menschen daraufhin generell distanzierter gegenüber und verhält sich nicht mehr so natürlich wie sonst auch. Und diese Ungleichbehandlung hat rassistische Züge, da sie auf einem rassistischen Vorurteil basiert: Aus einem individuellen Einzelfall wird die Verallgemeinerung einer breiten Gruppe an Menschen – aufgrund des Merkmals Hautfarbe und/oder Herkunft.

Eske Wollrads Kriterienkatalog weißer Privilegien3 beinhaltet mitunter die zentrale These, dass weiße Menschen die Wahl haben, sich mit Rassismus auseinander zu setzen oder auch nicht13. Als privilegiertere Gruppe stehen sie folglich nicht unter Druck, etwas an der Problematik zu verändern. Der zentrale Punkt ist jedoch, dass Rassismus uns alle betrifft – unabhängig von unserer Hautfarbe. Ein Großteil weißer Menschen vertritt noch immer die fälschliche Auffassung, dass ihnen Rassismus persönlich nie begegne und sie sich daher auch nicht weiter mit dieser Thematik befassen müssten. Die bereits erläuterten Beispiele von rassistischen Alltagshandlungen beweisen das Gegenteil. Um an Eske Wollrads These zu arbeiten, wäre ein vermehrtes Anbieten von Antirassismus-Seminaren und einhergehender Aufklärungsarbeit durchaus gewinnbringend.14

Eine weitere Maßnahme kann mit Hilfe sozialer Netzwerke erfolgen. Mitte Oktober 2017 wurde das Hashtag #MeToo auf Twitter verbreitet. Es geht auf die Sozialaktivistin Tarana Burke zurück und soll auf das Ausmaß sexueller Gewalt aufmerksam machen. Dieses Hashtag wurde weltweit verbreitet und von zahlreichen betroffenen Frauen geteilt. Daran angelehnt, erfand Ali Can, der gegen Vorurteile und Alltagsrassismus kämpft, das Hashtag #MeTwo. Der Begriff soll demonstrieren, dass in einem Menschen zwei Identitäten stecken können. Tausende von Menschen können mit diesem Hashtag ihre Erfahrung mit Rassismus und Ausgrenzung auf Twitter teilen und darauf aufmerksam machen. Daraus soll sich eine konstruktive Wertedebatte entwickeln und dem relevanten Thema pluraler Identitäten mehr Gehör verschafft werden15.

Aufsehenerregende Plakate an Bahnhöfen, Flughäfen oder anderen öffentlichen Orten wären eine weitere Vorgehensweise gegen Diskriminierung. Mit abgebildeten rassistischen Alltagssituationen und Dialogen sollen die Passant*innen zum Nachdenken und Reflektieren angeregt werden. Wie diese Darstellungen wiederum interpretiert und verstanden werden, ist offen.

Als Fazit lässt sich daraus ziehen, dass es keinen ultimativen Lösungsansatz gibt, um Rassismus im Alltag vollends zu verhindern. Es können aber Anstöße gegeben werden, um Menschen zu sensibilisieren, dazu zu ermutigen, innere Rassismen zu erkennen und sich gegen sie stark zu machen. Für ein friedliches soziales Zusammenleben sind wir alle im Individuellen und als Gesellschaft mitverantwortlich.

1 Rivuzumwami, Malaika: Jeder dieser Momente sticht (23.09.2017), <http://www.taz.de/!5449378/&gt; (05.02.2019), S. 2.

2 Sow, Noah: Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus. 2018. S. 115.

3 Rivuzumwami, Malaika: Jeder dieser Momente sticht (23.09.2017), <http://www.taz.de/!5449378/&gt; (05.02.2019), S. 2.

4 Rivuzumwami, Malaika: Jeder dieser Momente sticht (23.09.2017), <http://www.taz.de/!5449378/&gt; (05.02.2019), S. 3.

5 Sow, Noah: Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus. 2018. S. 119.

6 So kam am 25.05.2020 Georg Floyd durch grundlose Polizeigewalt in Minneapolis, USA, ums Leben. Seine Tötung löste eine globale Welle an Protesten und Solidaritätsbekundungen mit der BlackLivesMatter-Bewegung aus.

7 Sow, Noah: Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus. 2018. S. 152.

8 Sow, Noah: Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus. 2018. S. 157.

9 Nguyen, Toan Quoc: Offensichtlich und zugedeckt – Alltagsrassismus in Deutschland (06.11.2014), <http://www.bpb.de/dialog/194569/offensichtlich-und-zugedeckt-alltagsrassismus-in-deutschland&gt; (05.02.2019), S. 2.

10 Sow, Noah: Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus. 2018. S. 139.

11 Nguyen, Toan Quoc: Offensichtlich und zugedeckt – Alltagsrassismus in Deutschland (06.11.2014), <http://www.bpb.de/dialog/194569/offensichtlich-und-zugedeckt-alltagsrassismus-in-deutschland&gt; (05.02.2019), S. 3.

12 Rivuzumwami, Malaika: Jeder dieser Momente sticht (23.09.2017), <http://www.taz.de/!5449378/&gt; (05.02.2019), S. 3.

13 Wollrad, Eske: Weißsein im Widerspruch – Feministische Perspektiven auf Rassismus, Kultur und Religion. Königstein/Taunus 2005. S. 194.

14 Hier könnte jedoch der Begriff Rassismus im Titel solcher Veranstaltungen abschrecken und zu einer geringen Teilnehmendenzahl führen. Für ein besseres Vorgehen könnte an den Blue Eyed Workshop – gegründet von Jane Elliott, angelehnt werden. Hier werden Personen zu einem sozialen Experiment eingeladen und erfahren erst im Verlauf der Veranstaltung von ihrem antirassistischen Konzept.

15 Rassismus im Alltag – #MeTwo (26.07.2018), <http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/metwo-menschen-mit-migrationshintergrund-berichten-ueber-rassismus-im-alltag-a-1220384.html&gt; (05.02.2019).

1 Siehe Begriffserklärung im Glossar „Rassismus“.

2 Siehe Begriffsklärung im Glossar „POC“.

3 Siehe Begriffserklärung im Glossar „White Privilege“.


Rassismuskritisches Denken

George Floyds Tod am 25.05.2020 hat eine globale Sensibilisierung für die Problematik von Rassismus und White Privilege in den USA gebracht. Diese Aufmerksamkeit für Rassismus und Postkolonialität in modernen pluralen Gesellschaften ist wichtig und wir wollen Euch heute dazu anregen, Eure Betroffenheit, Eure Emotionen über die Geschehnisse zu nutzen, um Euch tiefer mit den Ursachen des Problems auseinander zu setzen. Daher teilen wir heute wichtige Einstiegstexte sowie Bücher mit Euch, die das Thema einführen und weißen Menschen auf ihrem Weg zu einem rassismuskritischen Denken helfen können.

1. „White Privilege. Unpacking the Invisible Knapsack“ von Peggy McIntosh (1988)

Dieser Text ist ein Klassiker der kritischen Weißseinsforschung (CriticalWhiteness) und ein absolutes Muss für alle, die sich ihrer Privilegien als weiße Menschen bewusst werden möchten. Peggy McIntoshs Worte sind auch 40-Jahre nach ihrer Publikation aktuell und bringen die Bedeutung von White Privilege auf verständliche Art und Weise auf den Punkt.

[Zugriff auf eine Kurzversion: https://www.csusm.edu/sjs/summit/documents/unpackingtheknapsack.pdf ]

2. „Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus“ von Noah Sow (2009)

Noah Sow erzählt in ihrem Buch „Deutschland Schwarz Weiß“ von alltäglichem und strukturellem Rassismus in Deutschland. Sie beleuchtet u.a. Rassismus in der Sprache und räumt mit stereotypen Bildern in Werbe- und Hilfskampagnen auf. Mit Humor und Direkheit bricht Sow die Stille um das Thema Rassismus in Deutschland und fordert einen wichtigen Blickwechsel von ihren weißen Leser*innen.

[Mehr Infos unter https://www.noahsow.de/dsw/, auch als Hörbuch erhältlich]

3. „White Fragility: Why it is so hard to talk to white people about racism“ von Robin DiAngelo (2011)

Die Erkennung von und der Umgang mit eigenen Rassismen ist kein Zuckerschlecken, sondern bedeutet viel Reflexionsarbeit. Robin DiAngelos „White Fragility“ (dt. weiße Zerbrechlichkeit) macht Abwehrhaltungen weißer Menschen zum Thema, wenn diese mit Rassismusvorwürfen konfrontiert werden.

[Zugriff unter https://libjournal.uncg.edu/ijcp/article/viewFile/249/116]

4. „exit RACISM – rassismuskritisch denken lernen“ von Tupoka Ogette (2019)

Anti-Rassismustrainerin Tupoka Ogette hat mit „exit Racism“ ein Handbuch für rassismuskritisches Denken geschaffen. Sie nimmt ihre Leser*innen auf einen Weg der (Selbst-)Reflexion und schafft es über interaktive Formate grundlegende Denkanstöße für einen Ausbruch aus „Happyland“ zu geben.

[Mehr unter https://www.exitracism.de/, u.a. auf Spotify als Hörbuch verfügbar]

5. „Decolonise Activism: Rassismuskritik für Nichtbetroffene“ mit Sophie Ali Bakhsh Naini (2019)

„Viele aktivistische Gruppen in Deutschland sind sehr homogen und bestehen oft nur aus weißen Aktivist*innen, also Menschen, die keine Rassismuserfahrung machen. Wie kommt es dazu? Was sind die Hintergründe? Was sind erste Anknüpfungspunkte, um antirassistisch in der eigenen aktivistischen Arbeit zu wirken? Wie können weiße Menschen gute Verbündete sein?”

[Podcast verfügbar unter: https://aktionsfonds-viral.de/decolonize-podcast/?fbclid=IwAR21vUgE77iQA8ebikLiO2_mwHhuMQyJBWQfnRCqWvvOyqnaG_-K0gAvjt0]

6.Sprache schafft Wirklichkeit: Glossar und Checkliste zum Leitfaden für einen rassismuskritischen Sprachgebrauch“ von dem AntiDiskriminierungsBüro Köln (2013)

Mit unserer Sprache schaffen wir Wirklichkeiten über uns selbst und andere. Daher ist es wichtig unseren Sprachgebrauch immer wieder zu hinterfragen. Im Folgenden findet ihr eine kompakte Übersicht des Antidiskriminierungsbüros Köln zu Begriffen und Darstellungen, die bei einem rassismuskritischen Sprachgebrauch vermieden werden sollten.

[Den Leitfaden findet ihr hier: https://www.uni-hamburg.de/gleichstellung/download/antirassistische-sprache.pdf]


Über die Problematik der Herkunftsfrage

A. Bekbulatow

„Woher kommst du?“ Eine Frage, die wohl schon viele People of Color1 und Menschen mit Migrationshintergrund gehört haben und nicht mehr hören können. Die Herkunftsfrage klingt erst einmal harmlos, jedoch ist der Grund für die Frage meist problematisch. Denn der*die Fragende verfolgt mit der Frage oft eine ganz besondere Intention, nämlich die der Zuordnung. Dass diese Zuordnung nichts mit reiner Neugierde zu tun hat, sondern rassistische Züge aufweist, wollen viele Fragende nicht sehen oder hören: Sie weisen solche Vorwürfe vehement ja sogar regelrecht empört zurück. Dafür sind es wir, die Betroffenen, die jedes Recht hätten, empört zu reagieren. Stattdessen müssen wir uns rechtfertigen, warum wir plötzlich so sensibel auf diese Frage reagieren, das Gegenüber war schließlich „nur interessiert“. Was die Herkunftsfrage mit Alltagsrassismus2 zu tun hat, soll im Folgenden näher beleuchtet werden.

Foto: Miriam Hedrich

Hierbei liegt eine Problematik in der Tatsache wem die woher-kommst-du-Frage in erster Linie gestellt wird. Oft sind es Personen, die durch ihren ausländisch klingenden Namen, ihre Hautfarbe oder ein anderes phänotypisches Merkmal, welches nicht der vermeintlichen ‚deutschen‘ Norm entspricht, auffallen. Sie werden augenscheinlich als ‚fremd‘ wahrgenommen und als ‚nicht dazugehörend‘ gelesen. Es scheint, als könne bspw. eine Person mit schwarzer Hautfarbe oder dem Namen Erkan unmöglich ‚deutsch‘ sein. Dadurch entsteht eine Abgrenzung zum Gegenüber, ein ‚Wir‘-‚Sie‘-Denken, das in der Soziologie als Othering3 beschrieben wird.4 Wie Toan Quoc Nguyen erläutert, bedient sich diese Einteilung der Menschen in Gruppen, in denen das ‚Wir‘ meist positiv bewertet und das ‚Sie‘ negativ konnotiert ist, rassistischen Denk- und Handlungsmustern.5 Der* oder die* Fragende möchte eine Erklärung für die augenscheinliche ‚Andersartigkeit‘ finden, um diese Person in eine passende Schublade einordnen zu können, welche seiner*ihrer Konstruktionsvorstellungen von Ethnien, Nationen, Kulturen oder ‚Rassen‘ entspricht.

Dieser Prozess des Otherings bedeutet die Markierung des Fremdseins. Durch das phänotypische Merkmal oder den ‚exotischen‘ Namen wird man als ‚fremd‘ identifiziert und folglich das Attribut des Deutschseins in Frage gestellt. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass die Herkunftsfrage meist erst durch die Verdächtigung des ‚Fremdseins‘ eine Rolle spielt. Da mein Aussehen keinen direkten Hinweis auf meine ausländischen Wurzeln gibt, wird mein ‚Deutschsein‘ vorerst nicht hinterfragt. Jedoch folgt, sobald mein ausländisch klingender Name fällt, augenblicklich die Herkunftsfrage und das ‚Deutschsein‘ ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Durch die Offenbarung des ausländischen Namens wird ein Indiz auf das mögliche Fremdsein gegeben und es wird eine Art Rechtfertigung für den Namen gesucht, welche es erlaubt mich als Person neu einzuordnen, denn ‚deutsch‘ kann ich nun anscheinend nicht mehr sein.

Natürlich kann in einigen Fällen wirkliches Interesse an der Herkunft des Gegenübers bestehen, jedoch ist das Argument der Neugierde meist nur ein vorgeschobener Grund, der die Herkunftsfrage rechtfertigen und die eigentliche Intention der möglichen Zuordnung verbergen soll. Wäre die Frage „woher kommst du?“ tatsächlich eine reine Interessensfrage, so müsste die Information Köln, Berlin oder auch München als Antwort ausreichen, jedoch tut sie dies meist nicht. Meistens kommen Folgefragen wie „nein, woher kommst du wirklich?“ oder „ja, aber woher kommen deine Eltern?“. Dies zeigt deutlich auf, dass die Nennung eines deutschen Wohnorts nicht als zufriedenstellende Antwort akzeptiert wird, stattdessen wird weiter nachgebohrt, bis der Name eines Landes fällt, welcher eine Erklärung für das ausländische Erscheinungsbild oder den ausländischen Namen liefert. So beschreiben es auch Susan Djahangard und Jean-Pierre Ziegler, die die Herkunftsfrage aufgrund ihres ausländischen Aussehens schon öfter beantworten mussten:

Kommt die Herkunftsfrage, fängt unser Striptease an. Rückfrage um Rückfrage, Schicht für Schicht müssen wir unsere Biografien freilegen. Bis der Grund sichtbar wird für diese dunklen Augen, diesen fremd klingenden Namen. Es ist, als schuldeten wir unserem Gegenüber eine Erklärung für unser Aussehen.6

Diese Beschreibung verdeutlicht, dass es sich bei der Frage primär um ein Mittel zur Zuordnung handelt. Es wird solange um die Herkunftsfrage getanzt, bis eine Bestätigung der eigenen Erwartungen und Vorurteile erfüllt wird, bei denen eine deutsche Identität ausgeschlossen scheint – und das, obwohl man durchaus in Deutschland geboren ist. Deswegen schmerzt die Herkunftsfrage. Sie grenzt uns aus, markiert uns als Fremde und ordnet uns etwas ‚Anderem‘, ‚Nicht-Deutschem‘ zu und das aufgrund von rassistischen Konstruktionen, Vorstellungen und Stereotypen7. Durch diese in der Gesellschaft verankerten rassistischen Denkstrukturen und Bilder, manifestiert sich Alltagsrassismus in der Herkunftsfrage.

1Siehe Begriffsklärung im Glossar „People of Colour“.

2Siehe Begriffsklärung im Glossar „Rassismus“.

3Siehe Begriffsklärung im Glossar „Othering“.

4 Nguyen, Toan Quoc: Offensichtlich und zugedeckt – Alltagsrassismus in Deutschland (06.11.2014), <http://www.bpb.de/dialog/194569/offensichtlich-und-zugedecktalltagsrassismus-in-deutschland&gt; (08.10.2018), S. 2.

5 Nguyen: Offensichtlich und zugedeckt, S. 2.

6 Djahangard, Susan/ Ziegler, Jean-Pierre: Fragt mal was anderes! (26.05.2017), <https://www.zeit.de/2017/22/diskriminierung-herkunft-migration-frage&gt; (27.02.2019).

7Siehe Begriffsklärung im Glossar „Stereotyp“.


Deutschlands Erinnerungskultur vor dem Hintergrund einer (post-)kolonialen Gewaltgeschichte

Vincent Hoyer 

In seinem Aufsatz „Deutschland postkolonial1“ erörtert Thomas Thiemeyer neue Ansätze deutscher Erinnerungskultur. Er plädiert dafür, Strukturen zu untersuchen, die Diskriminierung ermöglichen bzw. ermöglichten. So könne eine Erinnerungskultur geschaffen werden, die für alle in Deutschland lebenden Menschen eine Bedeutung habe. Dies habe eine Loslösung vom Holocaust als zentralem und vererbtem Bezugspunkt deutscher Erinnerungskultur zur Folge. Der Holocaust werde vielmehr als „markantestes Exempel“2 staatlicher Massengewalt herangezogen und mit anderen Beispielen deutscher Gewaltgeschichte kontextualisiert. Im vorliegenden Essay möchte ich Kontinuitäten neuerer deutscher Gewaltgeschichte abreißen und auf strukturelle Parallelen verweisen.

Die Gewaltgeschichte des Deutschen Reichs ist eng verwoben mit verschiedenen Kolonialisierungsideen3. Die Forderung nach Raum für eine wachsende Bevölkerung sowie Zugang zu neuen Ressourcen und Absatzmärkten zieht sich durch die deutsche Geschichte bis 1945 und teilweise noch weiter. Im Rahmen der Revolution von 1848 kulminierten verschiedene Ansätze, die nach Meinung ihrer Vertreter die deutsche Machtstellung erweitern sollten.4 So wurden nicht nur Länder in Übersee zur Projektionsfläche kolonialer Fantasien, sondern auch das östliche Europa.5 In den preußisch annektierten Gebieten des ehemaligen Polen6 trieb das Deutsche Reich seit Reichsgründung bereits eine Siedlungs- und Assimilierungspolitik voran, die immer mehr von völkischen und rassischen Grundsätzen geprägt war.7 Nachdem Reichkanzler Otto von Bismarck sich lange gegen deutsche Kolonisation in Übersee ausgesprochen hatte, erwarb das Deutsche Reich erst 1884 die Kolonien Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia), Togo und Kamerun. Um 1900 zählten nach verschiedenen Abkommen und Erwerbungen auch Deutsch-Ostafrika (heute Tansania, Ruanda, Burundi), Deutsch-Neuguinea (Kaiser-Wilhelmsland, Bismarck-Archipel, nördliche Salomonen, Nauru, die Palau-, Karolinen-, Marshall- und Marianen-Inseln) Kiautschou und Deutsch-Samoa (westliche Samoa-Inseln) zu den deutschen Kolonien.8

Im ‚deutschen Osten‘ wie in den Kolonien konstituierten die deutschen Verwalter ihre selbst zugeschriebene Position als ‚Herrenmenschen‘ durch ihr Auftreten und Handeln. Das auf Ressourcen und Militär basierende Mächteungleichgewicht reproduzierte somit die Ideologie rassischer und völkischer Hierarchien. In den Kolonien wurden die ansässigen unterdrückten Bewohner zur Arbeit gezwungen. Die deutschen Besatzer installierten ein System der ‚Rassentrennung‘ mit separaten Rechtssystemen. Beispielsweise wurden Heiraten zwischen einheimischen Männern und deutschen Frauen legislativ verhindert.9

Herrschaftspraktiken wie diese finden sich unter anderem in der deutschen Besatzung Polens während des Zweiten Weltkriegs wieder.10 Die sogenannte ‚Polenstrafrechtsverordnung‘ führte ein eigenes Recht für Polen und Juden ein, das kleinste, als Vergehen eingestufte Handlungen, mit harten Strafen ahndete.11 Ebenso verfolgte das nationalsozialistische Deutschland Partner aus sogenannten ‚Mischehen‘ und verhinderte ‚gemischte‘ Eheschließungen. Dem liegt eine Idee von ‚Volkskörper‘ und ‚rassischer Reinheit‘ zugrunde, die bereits teilweise in den Kolonien praktische Anwendung fand. Der für die Kolonien geprägte „Subimperialismus“, wonach auch und insbesondere lokale Akteure eigenmächtig handelten und somit Gewalt etablierten und ausübten,12 lässt sich in abgewandelter Form auch in den annektierten Gebieten Polens nach 1939 finden. Akteure auf mittlerer Hierarchieebene nutzten ihre Position auf Kosten anderer zum eigenen Wohlergehen. Auf diese Art und Weise entwickelten sich in der Peripherie eigene Dynamiken der Gewalt und Machterhaltung.13 Diese lokalen Handlungsspielräume weisen auch auf ein Phänomen hin, das sich deutsche Administratoren ebenfalls bereits in den Kolonien zu Nutze machten: Zwang und Bereitschaft der Einheimischen, gerade der gesellschaftlichen Außenseiter, zur Kollaboration.14Von einer direkten Täter-Opfer-Einteilung kann deshalb nicht gesprochen werden, vielmehr muss die komplexen Situation von Abhängigkeiten und Interessen beachtet werden. 

Esther Muinjangue ist die erste Herero in einem offiziellem Amt Namibias seit 1990 (Foto: Miriam Hedrich)

Weitere zeitübergreifende Mechanismen finden sich bei der Unterdrückung von Widerstand. Bereits die Kolonial-‚Herren‘ griffen hart durch. Aufstände der Einheimischen in Übersee wurden rigoros und rücksichtslos niedergeschlagen. Bei den Aufständen der Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika zwischen 1904 und 1908 töteten deutsche Soldaten zehntausende Herero und Nama. Überlebende wurden in Internierungslager gesperrt, wo viele an Seuchen und Entkräftung nach schwerer Arbeit starben.15 Während des Maji-Maji-Kriegs in Deutsch-Ostafrika zwischen 1905 und 1907 wandten deutsche Truppen die Taktik der verbrannten Erde an, die zwischen 75.000 und 300.000 Afrikaner*innen das Leben kostete und das Land um Jahre zurückwarf.16 Ähnliche Vorgehen und Vergeltungsmaßnahmen wurden auch im Ersten Weltkrieg in Belgien und Russisch-Polen praktiziert.17Ebenso zu nennen sind Racheaktionen für getötete oder verwundete deutsche Soldaten und weitere Kriegsverbrechen während des Zweiten Weltkriegs. Rücksichtslose und gezielte Gewalt kann also an mehreren Beispielen als Herrschaftspraxis ausgemacht werden. Dazu kommt im Fall der Kolonien in Übersee und den Gebieten des östlichen Europas eine völkische beziehungsweise rassistische Weltanschauung, die Unterdrückung und Gewalt eine vermeintliche Legitimationsbasis verschaffte. Mit dem Anspruch des ‚Herrenmenschen‘ fundierten die expandierenden Deutschen ihr mörderisches imperialistisches Vorgehen. 

Eng verknüpft mit deutscher Expansion waren auch Ideen zur Siedlungspolitik. Dabei spielte die Annahme eines vermeintlich enger werdenden ‚Lebensraums‘ eine Rolle. Der steigenden Bevölkerungszahl sollten territoriale Erweiterungen und Siedlungspolitiken entgegengekommen.18 In den deutschen Kolonien lebten allerdings bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs lediglich 24.000 Deutsche.19 Die Pläne für Ansiedlungen tauchten jedoch immer wieder auf. Während des Ersten Weltkriegs wurden für das Besatzungsgebiet ‚Ober Ost‘ eine Neubesiedlung durch als ‚deutsch‘ kategorisierte Personen in Betracht gezogen. Die Besatzer planten so, dieses Gebiet nach wirtschaftlicher Ausbeutung – hier können auch wieder Parallelen zu den Ausbeutungsplänen für die Kolonien in Übersee gezogen werden – zu ‚germanisieren‘.20Die Absicht zu kolonisieren, wurde vor und während des Zweiten Weltkriegs wieder aufgegriffen. Anhänger der Kolonialbewegung erhofften sich von Hitler, am Kolonialismusdes Kaiserreichs anzuknüpfen. Für das nationalsozialistische Deutschland stand jedoch der ‚deutsche Osten‘ als Kolonisationsziel im Vordergrund.21 Im Rahmen der sogenannten ‚Heim-ins-Reich‘-Aktion wurden bis zu 500.000 ‚Volksdeutsche‘ aus dem östlichen Europa in die annektierten Gebiete Polens zwangsumgesiedelt.22Die dort lebenden Polen und polnischen Juden vertrieben die deutschen Besatzer zu Beginn noch, gegen Ende 1941 begannen sie, die jüdische Bevölkerung systematisch zu ermorden. Folgt man der These Götz Alys, standen die Umsiedlung der ‚Volksdeutschen‘ und die Pläne zur sogenannten ‚Endlösung‘, sprich der Ermordung der europäischen Juden, in unmittelbarem Zusammenhang.23Im Zusammenhang mit dem Holocaust wiederholten sich also Ordnungsideen und -Mechanismen, die in abgeschwächter Form bereits vorher gedacht und praktiziert worden waren. 

Trotz der militärischen Niederlage im Zweiten Weltkrieg und dem weltöffentlichen Bekanntwerden der deutschen Gräueltaten vertraten Teile der Bevölkerung und der Politik revisionistische Positionen. Sie wandten sich gegen die Grenzziehungen im östlichen Deutschland, namentlich die deutsche Ostgrenze. Hier können abermals Parallelen zur Zwischenkriegszeit gezogen werden, in der die Regierungen der Weimarer Republik schon bald nach Kriegsende verlorene Gebiete sowie Kolonien zurückforderten.24Zu Beginn der 1970er Jahre entstand in der Bundesrepublik eine hitzige Debatte um die Ostverträge, die erst durch die endgültige Anerkennung und Bestätigung der Grenzen im Zwei-plus-Vier-Vertrag entschärft wurde.

Von der deutschen Kolonialzeit bis zum Zweiten Weltkrieg verwendeten die deutschen Imperialisten ähnliche Techniken der Herrschaftspraxis, die auf einem völkischen und rassistischen Weltbild basierten. Die Idee einer deutschen Siedlungskolonisation wurde dabei zunehmend radikaler und kompromissloser umgesetzt. Fokussiert man deutsche Erinnerungskulturen zeit- und raumübergreifend auf die Strukturen und Voraussetzungen von Gewalt und Diskriminierung, können so inklusivere Angebote für Erinnerungskultur geschaffen werden.25

1 Siehe Begriffsklärung im Glossar „Postkolonialismus“.

2 Thiemeyer, Thomas: Deutschland postkolonial. Ethnologische und genealogische Erinnerungskultur. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 7 (2016), S. 33–45, hier S. 41.

3 Siehe Begriffsklärung im Glossar „Kolonialismus”.

4 Obwohl das Deutsche Reich erst 181 gegründet wurde, verwende ich an dieser Stelle ‚deutsch’ als Begriff für eine imaginierte einheitliche Kultur, die damals wie heute propagiert wurde und wird.

5 Gründer, Horst und Hermann J. Hiery: Zur Einführung. In: Gründer, Horst; Hiery, Hermann J. (Hg.): Die Deutschen und ihre Kolonien. Ein Überblick. Berlin 2017, S. 9–24, hier S. 10; Kienemann, Christoph: Der koloniale Blick gen Osten. Osteuropa im Diskurs des Deutschen Kaiserreichs von 1871. Paderborn 2018, S. 20.

6 Polen-Litauen wurde 1772, 1793 und 1795 schrittweiwe zwischen Russland, Österreich und Preußen aufgeteilt. Ein polnischer Staat exisitierte est wieder ab 1918. Vgl. Volkmann, Hans-Erich: Die Polenpolitik des Kaiserreichs. Prolog zum Zeitalter der Weltkriege. Paderborn 2016, S. 11.

7 Großbongardt, Annette; Pötzl, Norbert F.: „Randlage mit Bollwerksfunktion“. Gespräch mit dem Osteuropahistoriker Andreas Kossert über den Mythos Ostpreußen, den zerstörerischen Nationalismus und den neuen Blick auf die Geschichte. In: Großbongardt, Annette; Klußmann, Uwe; Pötzl, Norbert F.(Hg.): Die Deutschen im Osten Europas. Eroberer, Siedler, Vertriebene. Bonn 2011, S. 83–93, hier S.86–88.

8 Zeller, Joachim: Das Deutsche Reich – der Nachzügler. In: Aldrich, Robert (Hg.): Ein Platz an der Sonne. Die Geschichte der Kolonialreiche. Stuttgart 2008, S. 238–253. hier S. 238–240.

9 Zeller: Das Deutsche Reich, S. 245–246.

10 Mit den Nürnberger Gesetzen wurde bereits 1935 ein Apartheidssystem im Deutschen Reich eingeführt, das jüdische Deutsche und Sinti und Roma aus dem gesdellschaftlichen Leben ausschloss.

11 Majer, Diemut: „Fremdvölkische“ im Dritten Reich. Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Rechtssetzung und Rechtspraxis in Verwaltung und Justiz unter besonderer Berücksichtigung der eingegliederten Ostgebiete und des Generalgouvernements. Boppard am Rhein 1981 (Schriften des Bundesarchivs 28). S. 756–757.

12 Zeller: Das Deutsche Reich, S. 244–245.

13 Lüdtke, Alf: Geschichte und Eigensinn. In: Berliner Geschichtswerkstatt (Hg.): Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte. Zur Theorie und Praxis von Alltagsgeschichte. Münster 1994, S. 139–153, hier S.150; Wildt, Michael: „Volksgemeinschaft“. Eine Antwort auf Ian Kershaw. In: Zeithistorische Forschungen/Zentrum für Zeithistorische Forschung. Redaktion Zeitgeschichte-online, 2011, S. 102–109, hier S. 107.

14 Zeller: Das Deutsche Reich: S. 250.

15 Bis 1911 kamen ca. 65.000 Herero und 10.000 Nama ums Leben. Wegen eines Vernichtungsbefehls des deutschen Kommandeurs Lothar von Trotha wird die Ermordung der Herero auch als erster Völkermord des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Emmerich, Alexander: Die Geschichte der Deutschen in Afrika. Von 1600 bis in die Gegenwart. Köln 2013, S. 130–137.

16 Emmerich: Die Geschichte der Deutschen in Afrika, S. 194–198.

17 Flockerzie, Lawrence J.: Poland’s Louvain. Documents on the Destruction of Kalisz, August 1914. In: Polish Review 28 (1983), H. 4, S. 73–87, hier S. 73 – 74, Keller, Ulrich: Schuldfragen. Belgischer Untergrundkrieg und deutsche Vergeltung im August 1914. Paderborn 2017, S.17.

18 Gründer/ Hiery: Zur Einführung, S. 12.

19 Zeller: Das Deutsche Reich, S. 242.

20 Jureit, Ulrike. Das Ordnen von Räumen. Territorium und Lebensraum im 19. Und 20. Jahrhundert. Hamburg 2012. 

21 Jureit: Das Ordnen von Räumen, S. 247–248.

22 Schulze, Rainer: „Der Führer ruft!“. Zur Rückholung der Volksdeutschen aus dem Osten. In: Kochanowski, Jerzy (Hg.): Die „Volksdeutschen“ in Polen, Frankreich, Ungarn und der Tschechoslowakei. Mythos und Realität. Osnabrück 2006 (Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau), S. 183–204, hier S. 188, 204.

23 Vgl. hierzu Wolf, Gerhard: Ideologie und Herrschaftsrationalität. Nationalsozialistische Germanisierungspolitik in Polen. Hamburg 2012 (Studien zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts), S.30–31.

24 Zeller: Das Deutsche Reich, S. 247.

25 Thiemeyer: Deutschland postkolonial, S.41.


 „[…] Und jetzt gönne ich mir eine N***kusssemmel.“ – Auf postkolonialer Spurensuche in Augsburg

Stefanie Sander

Thomas Thiemeyer nennt in seinem Aufsatz ‚Deutschland postkolonial‘ Initiativen und Gruppen, die Bürger*innen den deutschen Anteil am Kolonialismus1 bewusst machen wollen.2 Auch in der Stadt Augsburg gibt es eine solche Initiative: ‚Augsburg Postkolonial – Decolonize Yourself‘3 gehört zur Werkstatt solidarische Welt e.V. und befasst sich mit dem – oftmals nur schemenhaft bekannten – postkolonialen4 ‚Erbe‘ der Stadt Augsburg. Es handelt sich hierbei um eine „Initiative von engagierten Augsburger*innen“, die seit Oktober 2017 über die postkoloniale Vergangenheit der Stadt Augsburg aufklären möchten. Nach dem Lesen des Aufsatzes stellte ich mir zwangsläufig die Frage, welche Orte in der Stadt Augsburg heute noch von dem deutschen und europäischen Kolonialismus zeugen und welche Bedeutung dieser Teil der Augsburger Stadtgeschichte für die Stadt selbst und ihre Bewohner*innen hat. Ich zumindest hatte von den Ausmaßen und Folgen nur sehr begrenzt eine Ahnung.

Annastraße Nr. 25, Bartholomäus Welser Gedenktafel (Foto: Miriam Hedrich)

Nach etwas Recherche entschloss ich mich an einem von der Initiative angebotenen ‚postkolonialen Stadtrundgang‘ durch die Stadt Augsburg teilzunehmen.

An einem Sonntagnachmittag um 14:00 Uhr trafen sich die Teilnehmenden an dem Augustusbrunnen am Rathausplatz. Den Text von Thiemeyer im Hinterkopf, wie radikal einzelne Gruppen in ihrer Aufklärungsarbeit sind, war ich gespannt, was mich erwartete. Wie sich nach anfänglichen Gesprächen herausstellte, bestand die Gruppe aus vielen Studierenden, die sich bereits in universitären Seminaren mit der postkolonialen Vergangenheit Deutschlands beschäftigt hatten. Doch auch interessierte Bürger*innen ohne theoretischesVorwissen nahmen an dem Rundgang teil. Nach einem kurzen Abriss der wichtigsten Daten für die Kolonisationsgeschichte Deutschlands setzte sich die Gruppe Richtung Annastraße in Bewegung. Vor dem Haus Nr. 25 blieben wir stehen, dem – angeblichen – Wohnhaus von Bartholomäus Welser.5 Eine Gedenktafel für ihn zeugt noch heute von seinem Prestige und Ansehen in Augsburg. Weit weniger bekannt und mit keinem Wort erwähnt wird auf der Tafel, wie er als Statthalter die Bewohner*innen der spanischen Überseeprovinz Venezuela unterdrückt und ermordet hatte.6 1992 wurde ein Antrag für eine weitere Gedenktafel an dem Haus gestellt. Diese sollte sowohl an die vertriebene, ausgebeutete und bis heute unterdrückte indigene Bevölkerung, als auch an die Tatsache, dass Augsburger Bürger*innen dies verschuldet hatten, erinnern. Der Antrag wurde von der Stadt Augsburg abgelehnt.7

Als nächste Station liefen wir den Oberen Schießgraben an. An diesem Ort fanden bis in das 19. Jahrhundert sogenannte Völkerschauen statt. Zwischen 1870 und 1940 wurden vermutlich 35.000 Menschen ‚ausgestellt‘, was von 1,5 Milliarden Besucher*innen als Freizeitvergnügen betrachtet und als Rechtfertigung des Kolonialsystems genutzt wurde.8 Auch heute erinnern fragwürdige Veranstaltungen an diese ‚Zurschaustellung‘ von Menschen. Eine hitzige Debatte entbrannte, als der Augsburger Zoo das ‚African Village‘ vorstellte und die Leitung nicht verstehen wollte, warum ihr Rassismus vorgeworfen wurde.9 Auch die Teilnehmenden des Rundgangs brachten sich nun vermehrt ein. Ein Teilnehmer erzählte, dass er ein Klavierstück mit dem Titel ‚Der kleine Neger‘ übe. Sowohl ihm als auch seiner Klavierlehrerin sei der Titel des Liedes unverständlich und sie stören sich enorm daran; daher überlegten sie sich eine nicht rassistische Namens-Alternative.

Als nächstes Ziel liefen wir das Hotel ‚Drei Mohren‘ in der Maximilianstraße an. Nach der einführenden Erläuterung, dass der Name – der Sage nach – auf drei Mönche zurückzuführen sei und dies Ausdruck des Lobes der Gastfreundschaft gegenüber fremden (schwarzen) Menschen sein sollte, wurde kurz ein Rückblick auf die Debatte um den Namen gegeben. Dabei wurde angemerkt, dass die Problematik um die Debatte nur unzureichend differenziert wird. Denn es ist nicht verständlich, auf was genau sie sich stützt: auf den Namen ‚Drei Mohren‘, auf das Hotellogo, welches durch die Darstellung von krausem Haar, deutlich hervorgehobener Lippe und einer tiefschwarzen Hautfarbe stark an rassistische Darstellungen aus der Zeit der Sklaverei erinnert oder auf die drei Büsten an der Außenfassade des Hotels, die den Typus des reichen und exotischen ‚Mohrs‘ bedienen. Der Einwurf eines Teilnehmers regte zusätzlich zum Denken an: Er rezitierte den – wohl häufig gefallenen – Schlusssatz aus Leserbriefen in lokalen Zeitungen: „und jetzt gönne ich mir eine Negerkusssemmel“ und merkte erklärend an, dass dieser Satz vermutlich zum Ausdruck bringen sollte, wie lächerlich die Namens-Diskussion sei. Doch, gemessen an der sehr regen Diskussions-Teilnahme, beschäftigt offensichtlich gerade dieses Thema die Augsburger*innen weit mehr, als sie zugeben möchten. Denn obwohl immer wieder auch berühmte Persönlichkeiten wie Terence Hill im Traditions-Hotel ‚Drei Mohren‘ gastieren, muss sich gleichzeitig auch die Frage gestellt werden, wer gerade aufgrund der Namensgebung dort nicht ‚zu Gast‘ sein möchte.

Mit diesem Gedanken liefen wir weiter zu dem Geschäft ‚Kolonial‘ am Mittleren Lech. Ein Großteil der Waren, die im ‚Kolonial‘ angeboten werden, werden außerhalb Europas erworben, weshalb sich die Ladenbesitzer auch für den – bedenklichen – Namen entschieden.10 Der seit 2015 an dieser Adresse ansässige Laden identifiziert sich nicht nur mit historischen Kolonialwarenläden, sondern reiht sich auch ein in die fragwürdige Tradition des Kolonialwarenhandels. „Tauchen Sie ein in eine Welt voller Glücksmomente“ ist auf der Homepage11 zu lesen, denn, so heißt es ferner, dank Reisen „rund um den Erdball“ wird der „taste of the world“ in den Laden gebracht. Das ‚Kolonial‘ spielt mit dem Gestus des Entdeckens und des Exotischen. Die sehr einseitige und unkritische Reflexion hinsichtlich der Namensgebung ist an dieser Stelle nicht von der Hand zu weisen. Mit der letzten Station, dem ‚Grand Hotel‘, wurde an die aktuelle Geflüchteten-Debatte angeknüpft. Hier fand der Rundgang sein Ende und im Café des ‚Grand Hotel‘ konnten die Teilnehmer*innen im Anschluss ihre Gedanken und gewonnenen Erkenntnisse austauschen.

Die große Interessierten- und Teilnehmendenzahl brachte klar zum Ausdruck, dass es von Seiten der Bürger*innen nicht nur ein großes Interesse an diesem Teil der Stadtgeschichte gibt, sondern gleichsam auch ein Bedürfnis, das Bewusstsein für die postkolonialen Spuren zu schärfen und zu erweitern. Dies verdeutlichten ebenfalls die aktiv Teilnehmenden, die sich zu den einzelnen Stationen Gedanken machten und der Gruppe Erkenntnisse oder persönliche Erfahrungen mitteilten. Darüber hinaus konnte wahrgenommen werden, welch weitreichende Bedeutung der einstige deutsche und europäische Kolonialismus auf heutige Denk- und Gesellschaftsstrukturen hat. Die Geschichte des Kolonialismus, der daraus resultierende Kolonialrassismus sowie die Problematik des heutigen Alltagsrassismus wird, auch im Augsburg des 21. Jahrhunderts nur ‚stiefmütterlich‘ behandelt. Die Ablehnung einer weiteren Gedenktafel am Welser-Haus in Augsburg steht dabei beispielhaft für das Verdrängen gewalttätiger Expansionen in fremde Länder, Versklavung der einheimischen Bevölkerung und Gewalt an Tausenden von Menschen. Doch auch dies ist Teil der Augsburger Geschichte, die nicht in Vergessenheit geraten darf.

November 2018

1Begriffserklärung siehe Glossar „Kolonialismus“.

2Thiemeyer, Thomas: Deutschland postkolonial. Ethnologische und genealogische Erinnerungskultur. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 70 (2016), S. 33-45.

3Augsburg postkolonial: Über uns (Oktober 2017), <https://augsburgpostkolonial.wordpress.com/ueber/> (30.10.2018).

4Begriffserklärung siehe Glossar „Postkolonialismus“.

5Im Zuge eines wissenschaftlichen Gutachtens, das im Rahmen der Antragstellung für eine weitere Gedenktafel am Welser-Haus in Auftrag gegeben wurde, fand man heraus, dass es nicht sicher zu belegen sei, ob es sich tatsächlich um das Wohnhaus des Bartholomäus Welser handele.

6Ein Überblick zu den Kolonialunternehmungen gibt es unter: https://fuggerandwelserstreetdecolonized.wordpress.com/timeline/koloniale-aktivitaeten-der-welser/ (17.12.2019).

7Feldprotokoll Postkolonialer Rundgang, Augsburg, vom 11.11.2018.

8Feldprotokoll Postkolonialer Rundgang, Augsburg, vom 11.11.2018.

9Bsp. Zekri, Sonja: Das ist kein ‚afrikanisches Dorf‘, sondern ein ‚African Village‘ (17.05.2010), <https://www.sueddeutsche.de/kultur/skandal-im-zoo-das-ist-kein-afrikanisches-dorf-1.417786> (14.11.2018).

10O.A.: Kolonial (2018), <https://www.augsburgwiki.de/index.php/AugsburgWiki/Kolonial> (14.11.2018).

11Karl, Andrea/Sauerlacher, Kurt: Über uns (2018), <http://www.kolonial-augsburg.de/ueberuns.html> (14.11.2018).


Wieso sich Deutschland als Einwanderungsland mit seiner kolonialen Vergangenheit beschäftigen muss.

Wiebke Meiwald

Foto: Miriam Hedrich

In seinem Artikel “Deutschland postkolonial. Ethnologische und genealogische Erinnerungskultur” stellt der Autor Thomas Thiemeyer einen Zusammenhang her, zwischen dem Umstand, dass Deutschland sich zu einem Einwanderungsland transformiert und der Notwendigkeit sich als Gesellschaft mit seiner kolonialen Vergangenheit zu beschäftigen.1 Diese These soll hier weiter ausgeführt und gestützt werden. Ich werde mich im folgenden Text vor allem auf die deutsch-afrikanische Kolonialgeschichte und auf die Einflüsse auf das Afrikabild und die Wahrnehmung Schwarzer Menschen2heute beziehen, da aufgrund der Kürze des Textes und der Komplexität des Themas eine Eingrenzung ratsam erscheint. Viele der Mechanismen lassen sich aber auch auf andere Gebiete übertragen, in denen Deutsche kolonial tätig waren, und auf die (vermeintlichen) Nachfahren der kolonialisierten Bevölkerung übertragen.

Deutschland steht in der Pflicht Verantwortung zu übernehmen, für die nach wie vor gravierenden Auswirkungen, die die unterschiedlichen Formen der Kolonialisierung auf die kolonialisierten Länder und ihre Bevölkerung hatten und haben. Dieses Bewusstsein scheint heute in weiten Teilen der Bevölkerung entwickelt zu sein. So titelte der Focus im Juli 2018 “Deutschlands historische Verantwortung endet nicht beim Holocaust3” und auch im Koalitionsvertrag der CDU, CSU und SPD ist die “Aufarbeitung des Kolonialismus” festgehalten.4

In der Zeit ab dem 15. Jahrhundert wurden nicht nur ganze Landstriche bezüglich ihrer Rohstoffe ausgebeutet, Menschen versklavt und etablierte Herrschafts- und Gesellschaftssysteme zerstört und durch künstliche aufgezwungene Systeme ersetzt, sondern auch neue Gesetze gezogen und Sprachen und Bildungssysteme von außen auferlegt. Besonders die strukturell auf erzwungenen Veränderungen wirken bis heute nach, auch wenn die Kolonialherrschaft inzwischen glücklicherweise beendet ist.5 Auch die Auswirkungen aus der Zeit des Kolonialismus und Imperialismus sind in den Köpfen nach wie vor sehr deutlich zu erkennen.

Die Abwertung der Mitglieder*innen, der zu kolonialisierten Gesellschaften, fand damals auf vielfältige Weise statt. Beispielweise durch die Vereinigungen der Kolonialbewegung. Vor allem Bild- und Tonaufnahmen erfreuten sich großer Beliebtheit und wurden sowohl zu propagandistischen Zwecken, als auch in der Produktwerbung genutzt. Um eine Unterdrückung und Versklavung anderer Menschen zu legitimieren, war, und ist es bis heute nötig, die ‚Anderen‘ so weit wie möglich zu ‚entmenschlichen‘. Deshalb wurde die Bevölkerung der Kolonialgebiete im breiten Diskurs als ‚unzivilisiert‘ und damit auf einer niedrigeren Entwicklungsstufe dargestellt. Dazu gehörte die Betonung der Nacktheit als Zeichen für eine Nähe zum Naturzustand, genauso wie die Darstellung von fremdartigen Ritualen und Stammesstrukturen – die den sogenannten zivilisierten Europäern gegenübergestellt wurden. Die kirchlichen Institutionen, die darüber hinaus ein Interesse an der Legitimation und Finanzierung ihrer Missionierungspolitik hatten, betonten das Nicht-Vorhandensein des christlichen Glaubens und damit das Herrschen der Barbarei. So sollte die ‚rettenden Kolonialmacht‘ die Ungläubigen auf den Weg des wahren Glaubens bringen. Dies geschah im Falle von Deutschland insbesondere in den afrikanischen Kolonien.6 Neben dieser Darstellung werden auch sehr naive, romantisierende Bilder des Edlen Wilden7 verbreitet, der nicht durch ‚moderne‘ Einflüsse verdorben sei. In beiden Fällen handelt es sich um eine Exotisierung.8 Dies soll die Unterschiedlichkeit der Menschen im Hier und Dort betonen9.

Entsprechende Bilder verschwanden aber nicht mit dem Ende der Kolonialzeit, sondern bestanden in Bildern, Formulierungen und gesellschaftlichen Diskursen fort. Sie finden sich beispielsweise in Spendenwerbungen von Hilfsorganisationen wieder. Hierbei wird vor allem die Abhängigkeit der Menschen von Hilfe aus dem Ausland durch die potentiellen Spender*innen fokussiert. Dies geschieht wiederum durch dargestellte Armut, Passivität, Primitivität, (Halb-) Nacktheit und einen Naturbezug. Diese Narrative werden so konstant weitergetragen, da sie bereits an altbekannte Afrikabilder anknüpfen und so potentielle Spender*innen gut erreichen. Der größte Teil dieser Kampagnen wird von weißen Menschen entworfen und gestaltet.10 Auch in Schulbüchern, also einem entscheidendem Medium für die Bildungs- und Wertevermittlung von Jugendlichen, leben rassistische Darstellungen und Stereotype fort. Dies geschieht sowohl bei der Thematisierung der europäischen Kolonialgeschichte, als auch in Afrikadarstellungen. Den Lehrkräften ist in aller Regel nicht bewusst, wie sie durch die Verwendung entsprechender Lehrmaterialien, Rassismus reproduzieren und wie sehr diese Darstellungen nicht-weiße Schüler*innen der Klasse verletzten können.

Ein weiteres Beispiel einflussreicher Akteur*innen, die zu rassistischen Diskursen über Afrika beitragen, ist das Interview von Günther Nooke, dem Afrikabeautragten der Bundesregierung, das am 07.12.2018 von der BZ veröffentlicht wurde.11 Darin relativiert er die Auswirkungen der Kolonialzeit auf das heutige Afrika “Der Kalte Krieg hat Afrika mehr geschadet als die Kolonialzeit” und rechtfertigt seine Aussage damit, dass auch “Afrikaner” das sagen würden. Vereinfachte Abhandlungen wie diese werden auch über das Afrikabild in großen Teilen der Nachrichtenlandschaft, in Diskursen und Diskussionen über flüchtende Menschen in Film- und Fernsehen verbreitet.

In Anbetracht der Vielfalt an Lebensbereichen in denen koloniale und stereotype Afrikabilder in unsere Gesellschaft fortleben, wäre es naiv zu glauben, dass wir Schwarze und Weiße Menschen (mich eingeschlossen) nicht von diesen geprägt sind. Welche Auswirkungen diese Narrative und Bilder auf Schwarze Menschen selbst haben, auf ihr Schamgefühl, ihre Identitätsbildung und ihre Vorstellung von ihrer Position in der Gesellschaft, in der sie leben, ist eine wichtige Frage, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann. Diese Einflüsse prägen jedoch unseren Umgang miteinander, unser Diskussionsverhalten, unsere Sprache, unseren Habitus und letztendlich die Verteilung der Privilegien und Machtstrukturen in unserer Gesellschaft. Diese Diskriminierungsmechanismen lassen sich unter dem Begriff Rassismus12 zusammenfassen. An manchen Stellen finden wir ihn strukturell, an anderen latent und anderen viel zu häufig noch manifest. Rassismus richtet sich in verschiedenen Gesellschaften selbstverständlich nicht nur gegen Schwarze Menschen, auf die sich dieser Text hauptsächlich bezieht.

Es ist nicht davon auszugehen, dass Stereotype, die sich über Jahrhunderte entwickelt, etabliert, weiterentwickelt und an die jeweilige Zeit angepasst haben13, plötzlich einfach so auflösen und damit nicht mehr wirkungsmächtig sind. Dazu sind sie zu tief verankert und an vielen Stellen auch zu bequem. Denn wie können wir akzeptieren, dass für unseren Kaffee, Kakao oder unsere Schokolade, Menschen im Ausland und auch in Deutschland wirtschaftlich ausgebeutet werden, wenn wir sie als gleichwertig betrachten? Auf mangelndes Wissen um Produktions- und Handlungsbedingungen kann sich heute niemand mehr glaubwürdig zurückziehen. Um also diesen fest verankerten Rassismus aus den Köpfen der ganzen Gesellschaft zu vertreiben, ist es wichtig bei der Kolonialzeit anzusetzen und genau zu analysieren mit welchen Mechanismen Unrechtsherrschaft legitimiert wurde, und wie dies bis heute aufrecht erhalten wurde. Viele engagierte Menschen vor allem aus dem universitären Kontext, aber auch Aktivist*innen von Berlin postcolonial leisten hier seit Jahren wichtige Arbeit. Dies muss gesehen, gefördert und aus den Universitäten und den Museumsdebatten in die Gesellschaft hineingetragen werden, damit ein Wandel zu einer Einwanderungsgesellschaft, der unvermeidbar erscheint, auch ein positiver Wandel sein kann.

Nur wenn wir unseren Rassismus gesamtgesellschaftlich reflektieren und daraus die richtigen Lehren ziehen, unser Verhalten ändern und aufhören unbewusst oder bewusst Rassismus zu reproduzieren, ist ein gutes Leben für alle möglich. Ansonsten ist es absehbar, dass sich neue Konfliktlinien mit negative Auswirkungen, beispielsweise aufgrund des Migrationshintergrunds, bilden.

1 Thiemeyer Thomas (2016): Deutschland postkolonial. Ethnologische und genealogische Erinnerungskultur. In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 70 (806) S.33-45.

2 Schwarze und Weiße Menschen verwende ich nicht als biologische oder kulturalistische Benennungen, sondern als politische und soziale Konstrukte. Sie werden als analytische Kategorien benutzt, um Rassismus oder koloniale Kontinuitäten benennen und untersuchen zu können. Die Großschreibung von Schwarz verweist zudem auf eine Selbstermächtigung hin.

3 Focus (2018): Koloniales Erbe. Deutschlands historische Verantwortung endet nicht beim Holocaust, <https://www.focus.de/wissen/mensch/kolonialismus-deutschlands-historische-verantwortung-endet-nicht-beim-holocaust_id_9262931.html> [Letzter Aufruf am 19.11.2018].

4 Koalitionsvertrag CDU /CSU / SPD (2018) Zeile 7321, <https://www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/koalitionsvertrag_2018.pdf?file=1 > [Letzter Aufruf am 19.11.2018].

5 Gründer, Horst; Hieyr, Hermann Josef (Hg.) (2018): Die Deutschen und ihre Kolonien. Ein Überblick. Sonderausgabe Zentrale für politische Bildung, S.21.

6 Dazu ein Bericht über das Verhalten evangelischer Missionare beim Aufstand der Herero und Nama im heutigen Namibia: Carsten Dippel, Deutschlandfunk (2017): Namibia. Die Mitschuld der Missionare, <https://www.deutschlandfunk.de/namibia-die-mitschuld-der-missionare.2540.de.html?dram:article_id=384671)> [Letzter Aufruf am 03.04.2020].

7 Siehe Begriffsklärung im Glossar „Edle Wilde“.

8 Siehe Begriffsklärung im Glossar „Exotisierung“.

9 Albrecht, Julia (2016): Die koloniale Verstrickung des Weltkulturen Museum und ihre Relevanz für die Arbeit in Bildung und Vermittlung, in: Stephanie, Endtner, Landkammer; Nora; Schneider, Karin (Hg.) Das Museum als Ort des Verlernens. Materialien und Reflexionen am Weltkulturen Museum, S.26.

10 Dazu mehr unter: <https://www.whitecharity.de/en/intro/ > [Letzter Aufruf am 09.01.2020].

11 Ulrike Ruppel, BZ Berlin (2018): Afrikabeauftragter Günter Nooke. „Wir haben lange Zeit zu viel im Hilfsmodus gedacht“, <https://www.bz-berlin.de/deutschland/afrikabeauftragter-guenter-nooke-der-kalte-krieg-hat-afrika-mehr-geschadet-als-die-kolonialzeit> [Letzter Aufruf am 03.04.2020].

12 Siehe Begriffsklärung im Glossar „Rassismus“.

13 Dies ist insbesondere in der Sprache zu beobachten. Heute spricht man nicht mehr von ‚Rassen‘, sondern von unterschiedlichen Kulturen [oder Ethnien] und meint damit aber ungefähr die gleichen Kategorien.


Hast du schon mal darüber nachgedacht?

S.W.

Hast du schon mal darüber nachgedacht? Denn ich habe es nicht.  

Zielgruppe: Weiß (Foto: Miriam Hedrich)

Ich gebe zu, ich habe noch nicht darüber nachgedacht, wie es sich anfühlt, bei jedem Kennenlernen erstmal erklären zu müssen, dass die Mutter aus der Türkei und der Vater aus Deutschland kommt. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht, wie es ich anfühlt, wenn einem wegen des Aussehens eine Nationalität zu- oder abgesprochen wird. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht, wie es sich anfühlt, als einzige*r Italiener*in in der Schulklasse auf die Frage “Und wie ist das in Italien?” Verantwortung für ein ganzes Land übernehmen zu sollen, in welchem man nur die ersten fünf Jahre seiner Kindheit verbracht hat. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht, wie es sich anfühlt, diejenige Person im Freundeskreis zu sein, die optisch irgendwie nicht reinpasst. Die, die sich so ein bisschen anders fühlt. Ich habe eine Idee davon bekommen, als ich bei einem Freund aus Gabun zum Geburtstag eingeladen wurde.

Ich habe noch nicht darüber nachgedacht, wie es sich anfühlt, die Person im Wohnort zu sein, die sich zum Schutz lieber ein bisschen versteckt – bis ich von einem Freund aus Kamerun erfahren habe, dass er eigentlich gerne in Deutschland auf dem Land leben würde, aber dann doch die Großstadt bevorzugt, weil er da nicht so auffällt. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht, dass alle Hautpflaster, die ich in meinem Leben gesehen habe, weiß, durchsichtig oder beige waren. Welche Pflaster benutzen dann Menschen, deren Hautfarbe nicht zu diesen Farben passt? Und wie fühlt sich das an? Ich habe noch nicht darüber nachgedacht, dass es neben Pflastern noch weitere Produkte gibt, wie zum Beispiel Make Up oder Shampoo, die nur auf eine bestimmte, privilegierte Zielgruppe ausgerichtet sind. Ich habe noch nicht so intensiv darüber nachgedacht, wie fatal es ist, dass manche Menschen darauf bestehen, Bezeichnungen für andere Menschen zu benutzen, die entwürdigend sind – nur weil sie schon immer ahnungslos dieses entwürdigende Wort benutzt haben. 

Aber jetzt denke ich darüber nach.  

Und ich denke, das ist ein guter, erster Schritt. 

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