von Daniel Guggeis
Liebe Leser*innen, mein Name ist Daniel Guggeis, ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen und dazu bin ich weiß, männlich und cis. Aktuell arbeite ich als Sportjournalist, habe aber auch einen akademischen Hintergrund an der Universität Augsburg. Als weißer Europäer genieße ich Privilegien auf Grund eurozentrischer und rassistischer Denkweisen, die mir meiner Ansicht nach nicht zustehen und zudem andere Menschen benachteiligen. Deswegen will ich mich am Diskurs beteiligen und einen konstruktiven Teil beitragen, um unsere Gesellschaft diskriminierungsfreier zu gestalten. Als Sportjournalist und zugleich Beobachter und Konsument von Sportmedien ist mir nämlich aufgefallen, wie früh die Reproduktion rassistischer Ressentiments im Männer*-Fußball schon beginnt. Dieser Beitrag soll exemplarisch die Problematik aufzeigen, aber auch Lösungsansätze bieten.

Triggerwarnung! Der Text behandelt die Reproduktion rassistischer Ressentiments im Fußball und verweist, benennt und beschreibt aufgrund dessen eben jene.
„Say No to Racism“ betont die UEFA seit vielen Jahren in ihren großspurig angelegten Kampagnen gegen Rassismus im Fußball[1]. Rassistische Ausfälle wie „Affenlaute“ oder rassistische Beschimpfungen – insbesondere in Stadien – sind seit einigen Jahren zum Glück nicht mehr konsensfähig unter den Fans*. Dennoch gibt es weiterhin problematische Fanszenen und beim Kampf gegen Rassismus im Stadion sind wir noch nicht am Ende. Schwarze Fußballer* sind weiterhin Rassismus und Diskriminierung ausgesetzt. Wie sich Rassismus aktuell auf betroffene Spieler* auswirkt, was sich im Vergleich zu früher verbessert oder sogar verschlechtert hat, kann ich als weißer Europäer nicht beurteilen, denn ich bin in einer Beobachterposition und nicht selbst von Rassismus betroffen. Aber dass ein Fußballspiel nach beleidigenden Schmähungen gegen Mäzen Dietmar Hopp quasi abgebrochen wird, wohingegen es bei rassistischen Beleidigungen in Deutschland noch dazu kommen kann, dass der mit rassistischen Lautenbeleidigte Schwarze Spieler* mit Rot vom Platz geschickt wird (Fall Jordan Torunarigha), zeigt mir zumindest, wie viel Aufklärungsbedarf im Fußball besteht, wie viel Aufholbedarf der deutsche, aber auch der europäische Fußball hier noch hat.
Es braucht mehr Sensibilisierung für Rassismus im Fußball und die darf nicht erst bei verbalen Entgleisungen von Fans* beginnen, sondern muss schon viel früher ansetzen, und zwar beim Wording[2]. Als Sportjournalist und Beobachter der deutschen Sportmedienlandschaft fallen mir immer wieder rassistische Denkweisen über bestimmte Spieler*typen auf. So fiel der ehemalige deutsche Nationalspieler Steffen Freund am 29. November letzten Jahres in der Fußball-Talkshow „Doppelpass“ mit rassistischen Äußerungen negativ auf: In der Sendung ging es unter anderem um die Krisenstimmung bei Schalke 04 und die damals suspendierten Spieler* Nabil Bentaleb, Amine Harit und Vedad Ibisevic. Wozu sich Studiogast Steffen Freund folgendermaßen äußerte:
„Nabil Bentaleb kenne ich persönlich [von] Tottenham Hotspur – war dort Spieler, ist dort groß geworden – unglaublich viel Talent. Einer der besten Spieler dann auch und im Endeffekt bei Schalke gelandet. Aber er ist französisch-algerischer Herkunft. Charakter – wenn sie den Kaderplaner haben, muss man wissen, dass da auch eine bestimmte Aggressivität, auch eine Disziplinlosigkeit schnell kommt, wenn er nicht derjenige ist, der gesetzt ist. Das muss man wissen auf Schalke – Malochen, das ist das allerwichtigste. Jeder Spieler muss bereit sein, sein Herz auszuschütten für den Verein. Dann bin ich auch bei Harit, auch er kann das natürlich nicht mit diesen Wurzeln. Also falsche Spieler gekauft. Nicht von der individuellen Klasse her, beide können Spiele entscheiden.“
Sport1 – DoPa – Doppelpass vom 29.11.2020 ab Minute 54:
https://www.youtube.com/watch?v=dhUptm3X7Y4
Dieser Vorfall ist für mich exemplarisch dafür, was im Umgang und auch im Wording in Bezug auf Spieler* falsch läuft: und zwar dass Spieler* nach ihrer Herkunft beurteilt werden. Hier müssen wir, also insbesondere weiße privilegierte Fußball-Fans*, ehemalige Spieler* oder Journalist:innen reflektieren, welche Worte sie benutzen, um Spieler* zu beschreiben. Steffen Freund hat sich am späten Nachmittag des Vorfallstages dann via Twitter für seine rassistischen Aussagen entschuldigt:

Die Entschuldigung selbst offenbart in meinen Augen ein falsches Verständnis von Rassismus. Sein Statement erinnert sehr an den von Claus Melter geprägten Begriff des sekundären Rassismus, denn der ehemalige Nationalspieler* reflektiert weder seinen internalisierten Rassismus noch übernimmt er Verantwortung dafür. Insbesondere als weiße Person muss ich mir meine Privilegien bewusst machen und anerkennen, dass wir in einer Gesellschaft leben, die postkoloniale und rassistische Verhältnisse reproduziert und unterstützt. Wir sind nicht alle Rassist*innen, ‘wir’ werden rassistisch sozialisiert und das Gesellschaftssystem marginalisiert Menschen mit anderer Hautfarbe. Rassistische Diskriminierung steht hier auf der Tagesordnung und auch derartige rassistische Aussagen tragen ihren Anteil dazu bei. Sich vermeintlich „missverständlich“ ausgedrückt zu haben ist für mich lediglich ein Kaschieren des eigenen rassistischen Denkens, welches nun mal auch im Fußball vorherrscht. Steffen Freund spricht unter anderem an, dass die Kaderplaner:innen Fehler gemacht haben, indem sie mit Bentaleb und Harit zwar individuell starke Spieler*, aber zugleich charakterschwache Spieler*typen geholt haben und bezieht das wiederum rein auf die Herkunft. Er reproduziert dadurch Rassismus.
Dass sowohl bei der Kaderplanung als auch beim Scouting von Spielern* auch auf die zugeschriebene Herkunft geachtet wird und dabei zugleich Rückschlüsse auf mögliches individuelles Verhalten gezogen werden, ist leider nichts Neues und nichts anderes als rassistisch. 2018 wurde ein Skandal beim französischen Klub Paris Saint-Germain aufgedeckt: Hier wurde über mehrere Jahre hinweg schon beim Rekrutieren der Jugendspieler die “Ethnie” erfasst, was in Frankreich verboten ist. Auch der Rassismus-Skandal am FC Bayern-Campus offenbarte eine rassistische Denkweise schon im Jugendbereich: Spieler* wurden auf Grund ihrer Herkunft beurteilt, abgelehnt oder in trainerinternen WhatsApp-Chats sogar offenkundig rassistisch beleidigt.
Dabei spielt oft nicht mal die nicht-deutsche Staatsbürgerschaft eine Rolle, wie viele Spieler* mit Migrationsbiografie beweisen, denn auch Spieler*, die in Deutschland, Frankreich oder England aufgewachsen sind und es bis ins Nationalteam schaffen, werden auf Grund ihrer zugeschriebenen Herkunft verurteilt oder angegangen. Das zeigen die Diskussionen immer wieder, wenn es um Spieler* wie Mesut Özil, Jérôme Boateng, Romelu Lukaku oder Mario Balotelli geht. Sie werden anhand anderer Maßstäbe beurteilt und haben, wie der Belgier* Lukaku selbst in einem starken Beitrag bei PlayersTribune beschreibt, schon früh mit rassistischen Erfahrungen kämpfen müssen:
When I was 11 years old, I was playing for the Lièrse youth team, and one of the parents from the other team literally tried to stop me from going on the pitch. He was like, “How old is this kid? Where is his I.D.? Where is he from?”
https://www.theplayerstribune.com/articles/romelu-lukaku-ive-got-some-things-to-say
Schwarzen Spielern* wird oft vorgeworfen, bei ihrem Alter zu schummeln und so zu betrügen. Auch der jüngste BL-Spieler* der Historie, Youssoufa Moukoko, wird immer wieder Opfer solcher Vorwürfe. Dahinter stecken klar rassistische Denkweisen: So sind vornehmlich weiße Fans* misstrauisch, dass ein Schwarzer Spieler* so viel besser sein kann als die weißen Spieler* im gleichen Alter, also muss da was falsch dran sein. Bei weißen Spielern*, welche ebenfalls körperlich weiter sind und dadurch im Jugendbereich ebenfalls Top-Leistungen bringen, gibt es solche Diskussionen jedenfalls nie. Auch die sozialen Netzwerke spielen bei der Verbreitung rassistischer Ressentiments eine große Rolle, denn auch dort werden viele Schwarze Spieler* angegangen. Sie fühlen sich von den Betreiber:innen dieser Plattformen im Stich gelassen. Erst im Mai gab es von zahlreichen Vereinen und Spielern* einen mehrtägigen Social-Media-Boykott gegen rassistischen Hate-Speech.
Klar ist Rassismus und Hetze in sozialen Medien ein gesamtgesellschaftliches Problem, dennoch sehe ich hier auch den Fußball in der Pflicht, mehr zu geben als reine Kampagnenarbeit. Meiner Meinung nach kann der Fußball positiv genutzt werden, um auf solche Lebensrealitäten aufmerksam zu machen, zugleich Symptome früh zu behandeln und den Ursachen auf den Grund zu gehen. Denn in kaum einem Beruf treffen meiner Meinung nach so viele Menschen unterschiedlicher Herkunft aufeinander wie auf dem Fußballplatz. Zudem ist auch das Fußballstadion ein Ort der gemeinsamen Begegnung unterschiedlicher sozialer Milieus. Im Vorfeld zum Stadionbesuch gilt insbesondere für die, die es vermeintlich besser als Fans* wissen könnten – und zwar meine ich hier die Fußball-Expert:innen, egal ob Ex-Profis oder Journalist:innen, ihr Wording im besten Wissen und Gewissen genaustens zu reflektieren. Sie müssen verstehen (lernen), welche Bilder sie schüren und was sie dabei bei den Fans* auslösen. Zu einer derartigen Sensibilisierung kommt es allerdings nur, wenn auch mehr Menschen mit Rassismuserfahrung Räume einnehmen, sprechen können und gehört werden.
[1] Hier ist explizit der Männer*-Fußball gemeint.
[2] Hiermit sind typische Formulierungen oder Ausdrucksweisen gemeint – Kommentaror:innen oder Journalist:innen haben sich auf ungeschriebene Sprachregeln im Fußball festgelegt, welche es zu hinterfragen gilt.